Perfil de prófugo

Erzählungen

 

Heidi Titze

 

Perfil de prófugo ist, nach ¿Qué signo es usted niña Berta? und La diáspora, das dritte Buch von Horacio Castellanos Moya. Er schrieb es im Jahr 1987 während seines Exils in Mexiko Stadt, einer Zeit, in der er seinen Glauben an Politik und Ideologien bereits verloren hatte und sich seine bissig-kritische Art literarischen Schreibens zu entwickeln begann. Veröffentlicht wurde dieses Buch jedoch erst 1989 in El Salvador vom UCA EDITORES-Verlag der mittelamerikanischen Universität José Simeón Cañas.

Perfil de prófugo ist eine Sammlung von acht Kurzgeschichten, die alle durch das gleiche Thema verbunden sind: die Angst, die einen politisch Verfolgten ständig begleitet, entstanden aus der Erfahrung von Krieg und Unterdrückung, die in den Jahren 1980 bis 1991 in El Salvador herrschten [Historischer Hintergrund]. Sie sind Reflektionen über die veränderte Realität während des Krieges, die von den Figuren jedoch erst im Exil ausgelebt werden. Gewalt und Angst sind vorherrschende Themen und Leitmotive in den Romanen von Horacio Castellanos Moya, wie zum Beispiel in Der Waffengänger und Die Spiegelbeichte [Bibliographie]. Dazu sagte der Autor in einem Interview:

Wissen Sie, ich finde, dass Künstler und Schriftsteller sensible Leute sein sollten. Wir haben eine Empfindsamkeit, welche uns auf extreme Situationen reagieren lässt. Wenn sie in einer Gesellschaft leben, in der extreme Situationen die Regel und nicht die Ausnahme sind, dann schreiben sie über das. Sie schreiben dann keine Liebesgeschichten, denn ihre tägliche Realität besteht aus Gewalt. Sie schreiben über die Angst der Menschen, ihre Angst hinauszugehen, spazieren zu gehen. Die Menschen bleiben aus Angst zu Hause oder im Auto. Sie haben sehr große Angst, wie damals, als es die Schreckensherrschaft gab. Heutzutage gibt es in El Salvador keinen Terrorismus mehr, aber Kriminalität. Dies sind die Themen, über die ich schreibe. [1]

Die acht Geschichten haben zwar alle eine unabhängige Handlung, werden jedoch durch das gemeinsame Thema des Schicksals der politischen Flucht in ein anderes Land zusammengehalten.

Die erste und titelgebende Geschichte Perfil de prófugo (Übers. v. Verf.: Flüchtlingsprofil) handelt von einer Gruppe Studenten, die sich in Toronto/Kanada befinden und enthält damit sicherlich autobiografische Elemente. Der Ich-Erzähler befindet sich kurz vor der Abreise in sein Heimatland El Salvador, als er Roxana, eine Mitstudentin, in die er verliebt ist, mit einem anderen Freund, Tom, zusammen im Bett erwischt. Bei einer Unterhaltung mit seinem Kommilitonen, der “El Catalán” genannt wird, stellt er fest:

Pensé que ese tipo [el Catalán] que apenas llegaba a los 18 años, […] había sido capaz de cambiar de carril mi vida, sin mucho esfuerzo, a punta de esas discusiones alcohólicas en las que yo terminaba enfrentando a mi perfil de prófugo. (13f.)

In Advertencia (Übers. v. Verf.: Warnung) erzählt Monica einer Unbekannten, eine neunzehnjährige Studentin, wie enttäuscht sie von der Männerwelt ist und von ihrem Verhältnis zu José Eduardo in Coyocán/Mexiko: „Ah, no, todo es que crea que te va a apantallar con el rollo de la situación política en El Salvador y no lo parás, te lo aseguro” (18). Nach dem scheinbar kurzen Verhältnis mit ihm, sieht sie ihn nicht wieder:

Supe que había regresado a San Salvador […]. Me dijieron que se contentó con Sonia [su mujer] y que ella vendrá a México en estos días. Supongo que a vivir con él. (20)

In En guinda (Übers. v. Verf.: In Eile) berichtet der 16-jährige Martín von seiner Flucht aus El Salvador zusammen mit seinem drei Jahre älteren Bruder Pepe, zu seinen Großeltern nach Tegucigalpa/Honduras, von wo aus er erzählt. Die zwei Jungen werden von ihrer Mutter zu einem Verwandten gebracht, von dem aus sie im Bus über die Grenze fliehen:

La casa de nosotros, en San Salvador, queda en la colonia Universitaria norte. Nos dirigíamos hacia donde Carlos, un primo por parte de mi ruco, bastante buena gente, pero medio dundo y reaccionario... (25)

Da die beiden Jungs an einer revolutionären Bewegung teilnehmen („Se me vino el coordine que realizamos la semana pasada…“(34), was im zweiten Teil der Geschichte ausführlicher beschrieben wird (41-50), mussten sie die Verfolgung fürchten: „Tres momentos, en tres lugares, para que los chicos malos (alias squash, escuadrón de la muerte, hijos de puta) nos jodieran...”. (32)

El Informe (Übers. v. Verf.: Der Bericht) wird erzählt von Prudencio Pérez, einem 35-Jährigen Angestellten, der mit seiner Familie in der colonia Miraflores, einer ruhigen Nachbarschaft, in Tegucigalpa/Honduras lebt. Seitdem vor drei Monaten die neuen Nachbarn gegenüber eingezogen sind, eröffnet sich ihm aber ein neues Bild der Realität. Eines Morgens findet er in seinem Vorgarten eine Zigarettenschachtel mit einem Brief: „Informe - Para: Jacinto responsable del partido en Ocote - De: Julia - Asunto: Problema local de vivienda - Fecha: 31 de agosto de 1981 - [...]” (52 - 54). Als einige Tage später sein Haus von den Streitkräften besetzt wird, muss er es verlassen. Tage später erfährt er:

Las autoridades afirman que se trataba de una célula de guerilleros salvadoreños, que se dedicaban al tráfico de armas. (55)

In Encierro (Übers. v. Verf.: Das Eingesperrtsein) geht es um einem Mann, der in einem Zimmer irgendwo in El Salvador versteckt ist, liest, Gedichte schreibt und auf Nachricht von seinem compa (62) wartet, um aus seinem Versteck raus zu kommen. Jedoch weiß er nicht genau, wo er sich befindet („Me gustaría saber dónde estoy“, 58). Bis er letztlich aus seiner Zurückgezogenheit befreit wird, denkt er über sein Eingesperrtsein nach:

He pensado que este encierro - la prática de encerrar al guerrero, quiero decir - tiene su remoto antecendente en los tres días que Jonás permaneció en el vientre de la ballena. La soledad, entendida como enclaustramiento (cárcel incluida), sería el punto de partida no sólo de toda gran experiencia mística, religiosa, sino de las grandes aventuras políticas. (64)

El poeta y el comandante (Übers. v. Verf.: Der Poet und der Oberst) erzählt in zwei Teilen verschiedene Geschichten zweier Männer. Der eine ist der 21-jährige Poet José Edwin Martínez Pérez, der neben seiner Arbeit als Dichter, Mitglied einer revolutionären Organisation ist und sich mit der Propaganda- und Pressearbeit für die Organisation Geld dazuverdient. Da diese geplant hatte, einen Informanten der Regierung hinzurichten, sieht er sich eines Tages gezwungen sein Land Richtung San José/Costa Rica zu verlassen um dort bei derselben Organisation seine Arbeit weiterführen zu können. Dort wird er aber abgelehnt, und widmet sich wieder seiner Arbeit als Schriftsteller. Die Enttäuschung, als Deserteur angesehen zu werden und die Trennung von seiner Familie, veranlassen ihn nach einigen Monaten zur Rückkehr in seine Heimat, wo er aber kurz nach seiner Ankunft am 4. Juli 1980 in San Salvador festgenommen wird. Desde entonces [había] ingresado a la lista de personas dadas como ‚desaparecidas’.“(73)

Im zweiten Teil wird die Figur des Dichters Pérez durch den Comandante Gestas, Roberto Castro, aufgenommen. Gestas befindet sich in Coyoacán, um dringende Angelegenheiten der mexikanischen Vertretung seiner Organisation zu regeln. Nach einem Kinobesuch des Films Amadeus im April 1985 fühlt er sich an vergangene Zeiten erinnert, unter anderem an die Festnahme des Dichters Peréz:

Se deleitó en lo íntimo al repetirse que ahora no era aprediz de poeta, sino un comandante revolucionario, un hombre en realidad histórico. Fugaz, la imagen del poeta Edwin Martínez Pérez - uno de los no pocos desertores que le había tocado sancionar - cruzó su memoria. (78)

Percance (Übers. v. Verf.: Missgeschick) handelt von der sexuellen Affäre zwischen Eloísa, die eigentlich mit Francisco verheiratet ist, und Juan Ramón. Während sie beide im Bett liegen unterhalten sie sich über Franciscos Ansichten über den Einwohnern Nikaraguas, Kubas, El Salvador und Honduras. (84)

Eloísa:
[Francisco] se lleva bien con los nicaraguenses y con los cubanos, pero los guanacos no puede ni verlos.
Dice que todo salvadoreño lleva un Marcialito adentro... (84)
Juan Ramón:
No todos somos asi. No te voy a negar que Marcial [2] hizo escuela, pero si todos fuéramos de esa manera [...]. Sí te acepto que somos medios extremistas, oscilamos entre el despije total y el dogma, pero esa imagen de monjes revolucionarios me cae a los huevos.
Es una falsa generalización... (85)

Die letzte Erzählung, Idéntica a Edwige Fenech (Übers. v. Verf.: Identisch mit Edwige Fenech) spielt in Costa Rica und beschreibt schlicht die Obsession eines für den Leser anonymen Mannes für Pornofilme und die italienische Schauspielerin Edwige Fenech. Er trifft auf der Strasse eine junge Studentin namens Yesenia, die seiner Meinung nach der Schauspielerin so ähnelt, dass er ihr vorgibt, es sei Fotograf und suche Models, um sie später in der Wohnung einer Bekannten zu verführen.

Durch die Zusammenstellung der Kurzgeschichten, welche durch ihre jeweiligen Figuren in der ersten Person erzählt werden, vermittelt Castellanos Moya unterschiedliche Blicke auf das Thema Exil. Dabei ist es schwierig die einzelnen Geschichten unabhängig voneinander zu betrachten, da sie eigentlich nur zusammen wirken und so ein Gesamtbild ergeben. Hauptthema sind nicht nur der Krieg und das Exil sowie die Sehnsucht nach Heimat, auch die Schicksale und Gefühle der verschieden Personen und eine gewisse Kritik des Revolutionsgedanken spielen eine wichtige Rolle.

 

[1] Claudia Buess / François Meienberg. Interview in: LiteraturNachrichten, Nr.78 (Juli - September 2003) externer link http://www.litprom.de/sites/castellanos_moya.htm (06.11.2006).

[2] Nachdem er sich vom Partido Comunista Salvadoreño losgelöst hatte, gründete Comandante Marcial, eigentl. Salvador Cayetano Carpio, 1970 die militante Organisation Fuerzas Populares de Liberación (FPL).
Vgl. externer link http://salvadorenos.bitacoras.com/archivos/2005/11/26/salvador-cayetano-carpio-seminarista-obrero-y-fundador-de-las-fpl (21.05.2006).

 

Quellen

Primärliteratur:

Castellanos Moya, Horacio (1989): Perfil de prófugo. El Salvador: UCA Editores.

 

Sekundärlitereratur:

Buess, Claudia/Meienberg, François. Interview in: LiteraturNachrichten, Nr.78 (Juli - September 2003) externer link http://www.litprom.de/sites/castellanos_moya.htm (06.11.2006).

externer link http://salvadorenos.bitacoras.com/archivos/2005/11/26/salvador-cayetano-carpio-seminarista-obrero-y-fundador-de-las-fpl (21.05.2006).

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Horacio Castellanos Moya, fotografiert von Moramay Herrera Kuri (Mexiko)