Variaciones sobre el asesinato de Francisco Olmade
Erzählung
Heike Kickel
Die Kurzgeschichte Variaciones sobre el asesinato de Francisco Olmedo ist die erste von fünf Erzählungen in Horacio Castellanos Moyas viertem Erzählband El Gran Masturbador – Relatos, der 1993 - also zum Ende des Bürgerkrieges - in El Salvador vom Verlag Arcoiris publiziert wurde. Variaciones sobre el asesinato de Francisco Olmedo soll hier stellvertretend für das gesamte Buch vorgestellt werden.
Der Titel gibt bereits den entscheidenden Hinweis auf den Inhalt der Erzählung: Es geht um die Recherche des Mordes an Francisco Olmedo, der sich vor mehr als zehn Jahren zugetragen hat. Im Verlauf der Geschichte wirft der Autor sowohl ein Portrait der auftretenden Figuren, als Stellvertreter der damaligen Gesellschaft, als auch ein Bild der salvadorianischen Landschaft in Angesicht des herrschenden Krieges auf. Die Erzählung ist in neun kurze Kapitel unterteilt, die immer unvermittelt an unterschiedlichen Orten beginnen. Es wird durchgehend aus der Ich-Erzähler-Perspektive berichtet. Die Erzählerinstanz, ein Emigrant, der seinem Heimatland noch vor dem Tode Pacos, wie Francisco Olmedo genannt wird, den Rücken gekehrt hat, kommt zurück, scheinbar um das Verbrechen an seinem ehemaligen Jugendfreund aufzuklären. Während seiner Nachforschungen durchstreift der Leser verschiedene Milieus und kommt mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten des El Salvador der neunziger Jahre in Berührung. Zudem werden bruchstückhaft die Folgen des Bürgerkrieges sowie die daraus resultierenden Ängste der Menschen angesprochen.
Die Gesprächspartner des Erzählers bewegen sich meist in ihrer vertrauten Umgebung. So lernt der Leser das Umfeld der „colonia clasemediera“, der gutbürgerlichen Schicht, kennen, dem das Bild der unteren Klasse gegenübergestellt wird, das Umfeld, zu dem Paco sich mehr hingezogen zu fühlen scheint als zu seinesgleichen. Im Verlauf der Schilderung wird die Figur des Paco von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Diese Charakterisierung bleibt von der Erzählerinstanz größtenteils unkommentiert, was dem Leser Raum für ein eigenes Bild des Protagonisten lässt. So wird er von der eigenen Schwester Margarita, die behauptet, er habe sie nie gemocht, sondern regelrecht verachtet, als jemand beschrieben, der nicht den Weg einschlagen will, der aus ihrer Sicht für einen Mann seiner Klasse vorbestimmt ist:
[…] No supo aceptar que estaba destinado a ser un hombre decente, a casarse, tener hijos, estudiar una profesión que le permitiera superarse. Creyó que esto era sinónimo de mediocridad. Lo aterraba la idea de madurar […]. (Castellanos Moya 1993: 22)
Sie ist hingegen ihrer Herkunft treu geblieben und hat mit dem, ebenfalls der gutbürgerlichen Schicht entstammenden, Efren eine Familie gegründet, die in entsprechenden Verhältnissen lebt.
Eine Schlüsselfigur, die, verschiedenen Annahmen nach, den Mord an Paco begangen haben soll, ist Ezequiel. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen und versucht seine Herkunft durch Alkoholmissbrauch, Drogengeschäfte und andere kriminellen Handlungen, zu verdrängen oder zu kompensieren, verachtet von den Mädchen aus den Siedlungen der Bürgerschicht, denen er so gerne imponieren würde. Jedoch gibt es auch bezüglich der angeblichen Tat Ezequiels verschiedene Varianten: Einmal wird Ezequiel als derjenige gesehen, der Paco in die Welt von Gewalt und Verbrechen eingeführt habe; dieser hält den Anforderungen jedoch nicht stand und versagt, als er seinen ersten Mord begehen soll. Ezequiel fühlt sich daraufhin dazu verpflichtet, seinen alten Freund aus dem Weg zu räumen.
Eine andere Version, die dem Erzähler durch den Kopf geht, ist die, dass Pacos Schwester Margarita sich zu jener Zeit der Guerilla angeschlossen habe und von den Regierungstruppen, denen Ezequiel angehört, verfolgt wird. Als dieser Paco keinerlei Informationen über den Aufenthalt Margaritas abringen kann, folterte er ihn zu Tode. Dafür spricht, dass Pacos Tod und die damalige Zeit für Margarita ein Tabuthema zu sein scheinen; sie spricht nur über die von ihr zurecht gelegten Fakten und lässt keine anderen Hypothesen zu. Im Verlauf der Erzählung kommt noch eine dritte mögliche Erklärung des Mordes auf, Paco sei aus Rache getötet worden, aufgrund eines Eifersuchtsdramas um Mercedes, die als eine weitere Schlüsselfigur in der Geschichte auftaucht. Mercedes, eine ehemalige Prostituierte, hatte ein kurzes Verhältnis mit Paco, der allerdings seine Versprechungen, ihr ein besseres Leben zu bieten, nie wahr machte. Mercedes ist mittlerweile mit einem führenden Militär verheiratet, der ihr wiederum glaubhaft macht, Paco sei als Terrorist in eine seiner Truppen eingeschleust worden und Ezequiel habe als neuer Truppenführer den Auftrag zu seiner Beseitigung durchgeführt. Weiter spricht der Erzähler, der sich Mercedes gegenüber später unter dem Pseudonym Guillermo Prieto vorstellt, von einer Intrige gegen Paco, der im Rahmen von Drogengeschäften, in die er und Ezequiel verwickelt waren, von diesem die Verantwortung für eine gescheiterte Operation in die Schuhe geschoben bekommen habe.
Ob und warum Ezequiel tatsächlich seinen Jugendfreund getötet hat, lässt sich anhand der unterschiedlichen Anhaltspunkte lediglich mutmaßen. Er wird kurz nach dem gewaltsamen Tode Pacos ebenfalls umgebracht. Deutlich wird aber im Verlauf der Erzählung, dass eine der ursprünglichen Annahmen des Ich-Erzählers, Paco sei Opfer der politischen Umstände in El Salvador geworden, („Siempre pensé que lo de Paco tenía que ver con la política.“, 13) anderen Möglichkeiten gegenübergestellt wird. Wie sich zum Ende der Erzählung zeigt, wünscht er sich eine viel banalere Auflösung der Geschichte: Der Racheakt einer alternden Prostituierten an Paco, der sich nach Jahren des Zusammenseins in eine junge Frau verliebt und sie verlässt, ist für ihn vielleicht die am wenigsten schmerzliche Variante, wenn er auf seine einstige Heimat zurückblickt.
Im Ablauf des Geschehens fragt der Erzähler sich immer wieder, wozu er eigentlich diese lang zurückliegende Geschichte noch einmal aufrollt. Ihm wird klar, dass dieses Ereignis nur ein Anlass ist zurückzukehren, vielleicht um sich zu vergewissern, dass sein Heimatland es tatsächlich nicht mehr wert ist, dort zu leben. Er durchlebt einen zweiten Abschied von dem Land, in dem er geboren wurde und das er vor zwölf Jahren verlassen hat, um in die USA zu gehen. In einer Begegnung mit seinem altem Bekannten Moncho wird ihm bestätiget was er auf gesellschaftlicher Ebene vorfindet: “En este país o hacés plata y vivís bien, o hacés política y te terminan matando.“ (27). Er spricht nicht direkt über die Dinge, die ihm in der Vergangenheit widerfahren sind, doch zeigen seine Gedanken, welche Ängste sein Unterbewusstsein produziert; beispielsweise im fünften Kapitel, als er mit seinem Bekannten, dem Chino, von einer Reifenpanne in den Bergen außerhalb der Stadt überrascht wird. Ängste, die durchaus berechtigt sind, denn wie sich an dieser Stelle zeigt, sind die Aktivitäten der operierenden Militärs noch immer unmittelbar spürbar. Hier wird auch deutlich, welche Rolle gute Beziehungen zu jener Zeit spielen: Die Militärkontrolle, mit der sie konfrontiert werden, endet nur deshalb glimpflich, weil der Bruder des Chino als Arzt im Militärkrankenhaus tätig ist und so beinahe sämtliche Offiziere, die bei den kriegerischen Auseinandersetzungen Verletzungen erlitten haben, behandelt hat.
Die Bedrohung durch Militäreinheiten taucht an verschiedenen Stellen immer wieder auf, sei es durch Andeutungen in Gesprächen oder direkt, etwa als während der Konversation des Erzählers mit Pacos Schwester ein Hubschrauber in beunruhigender Nähe über ihnen kreist. Die Aussage Margaritas („Uno se acostumbra“, 19) weist auf die nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg eingetretene Abstumpfung der Menschen bezüglich der permanenten Bedrohung hin.
Der Ich-Erzähler lässt sich im Verlauf seiner Aufklärungsarbeit mit in das sumpfige Milieu ziehen, in dem sich sein Freund Moncho bewegt. So lässt der Autor den Leser ausführlich an einem Bordellbesuch und später an einer Nacht in einem Stundenhotel, in dem wieder die gleichen Prostituierten als Protagonistinnen auftauchen, teilhaben. Der Erzähler begibt sich hier auf die selbe Ebene, auf der sich der gut situierte und machtgewohnte Moncho bewegt. Die Erlebnisse werden von ihm hinterher nicht reflektiert, genauso wenig wie die Nacht, die er schließlich mit Mercedes verbringt. Eine Begegnung, die er lange plant und ersehnt, allerdings ursprünglich mit dem Ziel den Hintergründen der Ermordung Pacos nachzuspüren.
Danach kommt er lediglich zu der nüchternen Feststellung, dass weder seine zuvor erfundene Erbschaftsgeschichte, mit der er sie geködert hat, noch die Leidenschaft dieser Nacht in Wirklichkeit existieren:
Había sido una noche, nada más, y mi confusión permanecía igual con respecto a Paco […] (53).
Am Ende bleiben ihm nur Langeweile und Ernüchterung. Um diese zu überwinden oder seiner Mission einen Sinn zu geben, überlegt er sich, während er auf seinen Rückflug wartet, eine fiktive Geschichte, in der er als Geheimagent der Guerilla den Auftrag zu erfüllen hat, über Mercedes den führenden Militär Orlando Cañas - ihren Mann - zu erreichen, um ihn schließlich zu töten.
Anstelle eines Epilogs kommt er im letzten Kapitel zu der reflektiven Erkenntnis, dass ein schwermütiger Typ wie er keine andere Wahl hat, als dieses Land zu verlassen. Sein Erleben generalisiert er:
Este texto pudo ser escrito en cualquier ciudad, en cualquier país, porque el regodeo en la reconstrucción de Paco fue el último intento por aferrarme a una tierra desde siempre ajena [...] (54).
Dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit für ein verlorenes Land begleitet den Leser bis an das Ende der Erzählung, an dem der Ich-Erzähler sich noch einmal an eine Begebenheit erinnert, in der sich ihm die ganze Machtlosigkeit gegenüber dem ungesühnten Vorgehen des herrschenden Militärregimes offenbart. An dieser Stelle erfindet er die bereits erwähnte Aufklärung des Mordes an Paco, die trotz der These, diese Variante sei vielleicht die für ihn noch am leichtesten zu Ertragende, wenig Zuversicht verbreitet, schon allein deshalb, weil in dieser Version noch einmal die Leiden der Menschen während des Bürgerkrieges anhand der Aussage Raquels, einer kriegsgeschädigten heruntergekommen Prostituierten, deutlich gemacht werden:
Era el comienzo de esta guerra de mierda que todo lo pudrió, de esta penitencia con que el Señor nos ha castigado y nos castigará quién sabe por cuanto tiempo. A veces pienso que éste es ya el infierno […], como si fuéramos una raza maldita (56).
Quellen
Castellanos Moya, Horacio (1993): El Gran Mastubador – Relatos. El Salvador: Arcoiris.
http://www.sololiteratura.com/hor/horobras.htm vom 19.05.2006.