La diabla en el espejo

Christian Rohde

 

La diabla en el espejo (span.; dt.: Die Spiegelbeichte, 2003), Roman von Horacio Castellanos Moya, erschienen 2000 in Spanien. Nominiert für den Rómulo- Gallegos- Preis, einer der wichtigsten Literaturpreise Lateinamerikas. Der Roman gliedert sich in 9 Kapitel, in denen die erzählte Zeit episodisch vorangetrieben wird, während die eigentliche Handlung retrospektiv erzählt wird.

Die zentrale Figur des Romans ist Olga María, die scheinbar unerwartet in ihrem Haus in San Salvador vor den Augen ihrer Kinder erschossen wird. Die Erzählerin ist Laura Riviera, eine enge Freundin der Ermordeten, die in Monodialogform [Oralität] einem imaginären Gegenüber ihre Gedanken und Schlussfolgerungen schildert. Ausgelöst durch den Mord, reflektiert sie sowohl über ihr Leben als auch über das von Olga María und verknüpft die daraus resultierenden Erkenntnisse mit ihren persönlichen Ermittlungsergebnissen. Durch das Stilmittel des Monodialogs kann der Leser sich in die Rolle des Gegenübers hineinversetzen und wird somit unmittelbar in die Handlung hineingezogen. Laura versucht den Mord an ihrer Freundin auf eigene Faust zu klären und eröffnet dem Leser nach und nach die kleinen dunklen Geheimnisse, die die Ermordete umranken. Daneben werden dem Leser auch die Verhältnisse und Strukturen einer Gesellschaft näher gebracht, die sich vor kurzem noch in einem langen Bürgerkrieg fand.

Die Handlung spielt sich dabei auf zwei Zeitebenen ab. Auf der ersten Zeitebene, der Gegenwart, wird das imaginäre Gegenüber sporadisch angesprochen. Ausgehend von dieser Zeitebene wird eine zweite Zeitebene eröffnet, in der die Protagonistin dem imaginären Gegenüber die Haupthandlung retrospektiv schildert.

Der Roman beginnt mit dem Mord an Olga María de Trabanino, die in ihrem Haus in San Salvador kaltblütig erschossen wird. Ihre Freundin Laura Rivera ist fassungslos, wie jemand eine so bewundernswerte, vitale, lebensfreudige, ehrenhafte und intelligente Frau umbringen kann. Die polizeilichen Ermittlungen werden von dem energisch nachforschenden Unterkommissar Handal geführt, dem Laura am Anfang nicht über den Weg traut, da er, anders als sie, einen politisch motivierten Mord für unwahrscheinlich hält.

Bereits im ersten Kapitel beginnt die makellose Fassade Olgas, einer liebenden Ehefrau, Mutter zweier Kinder und erfolgreichen Geschäftsfrau der salvadorianischen Oberschicht, zu bröckeln. Laura erzählt von Olgas erster Affäre mit dem Spanier Julio Iglesias, einem Geschäftspartner ihres Mannes Marito, den sie heimlich zwei Mal in seiner Wohnung trifft, es dann aber auf Grund seiner Aufdringlichkeit dabei belässt. Auch ihre zweite Affäre mit dem Fotografen José Carlos ist kurz aber leidenschaftlich. Für Laura sind diese beiden kurzweiligen Affären zunächst nur die Reaktion Olgas auf die Untreue und Nichtbeachtung ihres Ehemannes Marito. Schnell zeigt sich aber auch, dass Olga María eine besondere Wirkungen auf die Männer zu haben scheint, denn obwohl die Affären kurz waren, verfielen ihr die Männer hoffnungslos, was die Theorie eines leidenschaftlichen Tatmotives des Unterkommissars Handal untermauert.

Im zweiten Kapitel spielt die Handlung in der Kirche, in der die Beerdigungszeremonie von Olga María abgehalten wird. Laura berichtet von Olga Maria und deren Beziehung zu El Yuca (Gastón Berrenchea) einem Politiker und Kandidat der antikommunistischen Partei San Salvadors, der sich von dem Vater (Don Federico) seiner Ehefrau Kati finanzieren lässt. Don Federico ist nach der Agrarreform zu Reichtum gekommen und unterstützt nun die politische Arbeit seines Schwiegersohns. El Yuca war der Schulschwarm von Olga María, der sich aber als kokainsüchtig erweist, was für ihn unkontrollierbare Aggressionen während des Sexualaktes zur Folge hat. Trotzdem versucht er sie für sich zu gewinnen und beginnt eine Therapie in Boston. Der Unterkommissar scheint von der Beziehung zwischen El Yuca und Olga María zu wissen und sieht auch hier ein Tatmotiv, woraufhin er Laura näher befragt.

Im folgenden Kapitel berichtet Laura von ihrem Gespräch mit dem Unterkommissar Handal, der sie erneut aufsucht, um sie mit dem Aktfoto von Olga María zu konfrontieren, das er wohl in der Wohnung von José Carlos gefunden hat. Auch befragt er sie erneut zur Beziehung von Olga María zu El Yuca, was Laura mit einer deutlichen Abneigungsbekundung abblockt. Des Weiteren teilt er ihr mit, dass der Mörder von Olga María (Robocop) gefasst sei.

Im vierten Kapitel spricht Laura zu ihrem Gegenüber in einem Café, in dem sie früher auch mit Olga María verkehrte. Sie erinnert sich an den letzten gemeinsamen Besuch dort, als Olga María ihr ihre sexuellen Phantasien offenbarte und Laura das erste Mal erkannte, dass Olga María eine zweite Seite hat. Eine Seite, die ihre sexuellen Wünschen und Neigungen auslebte und von der Laura kaum etwas wusste. José Carlos offenbart Laura, dass er von der Beziehung zwischen Olga und El Yuca wusste und dass er vermutet, dass dieser den Mord beauftragt hat, weil sie über seine Kokainabhängigkeit informiert war.

Im Folgenden gerät El Yuca, forciert durch die Presse, immer mehr ins Fadenkreuz der Ermittler. Laura vermutet eine Hetzkampagne, um El Yuca politisch in Verruf zu bringen. Daraufhin stellt sie sich immer häufiger die Frage, wer der Auftraggeber des bereits verhafteten Mörders sein könnte. Ein Privatdetektiv (Pepe Pindonga) wird von Olga Marías Schwester (Diana) beauftragt, um in dem Mordfall als Externer zu recherchieren. Er fängt Laura nach einem Besuch beim Friseur ab, um sie zu dem Fall zu befragen. Es stellt sich heraus, dass Pepe Pidonga über exzellente Kontakte zur Polizei verfügt. Er erzählt ihr, dass auch ihr Exmann A Alberto bereits vor ihrer Scheidung ein Verhältnis mit Olga María hatte. Laura spürt weder Wut noch Trauer, jedoch reift in ihr der Gedanke, dass dieser Umstand als Tatmotiv gegen sie selbst ausgelegt werden kann. Ihr Vertrauen in ihre Umwelt wird geschwächt und ihr namenloser Gegenüber bleibt nunmehr als ihr einziger Vertrauter.

Kurze Zeit später ruft sie Alberto an, um ihn mit ihren neuen Erkenntnissen zu konfrontieren. Alberto erklärt ihr, dass seine Firma Finapro Konkurs gegangen sei und er mehr als 100 Mio. US- Dollar verloren habe. Auch Olga María, Marito, Doña Olga und El Yuca hatten ihr Geld in diesem Unternehmen angelegt, so dass von dem Geld für die beiden Kinder von Olga María kein Geld mehr übrig blieb. Laura vermutet einen engen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Konkurs. Olga María dürfte gewusst haben, was mit dem Geld passiert ist, so dass Alberto und sein Partner Toñito Rathis sie deshalb loswerden mussten.

Im vorletzten Kapitel ändert sich das Verhältnis zwischen dem namenlosen Gegenübe und der Erzählstimme Lauras. Während bis dahin immer rückblickend mit einer gewissen Distanz erzählt wurde, treffen erzählte Zeit und Erzählzeit zusammen und erzeugen eine stärkere und dramatischere Bindung des Lesers an die Erzählung. Der Mörder ist aus dem Gefängnis ausgebrochen und Laura meint, ihn vor ihrer Wohnung zu sehen. Daraufhin flüchtet sie panisch die Wohnung von ihrer Gesprächspartnerin, von wo aus sie die Polizei verständigt, die sie aber nicht richtig ernst nehmen will. Sie versucht auch vergeblich den Unterkommissar Handal zu erreichen, da sie den Verdächtigen bereits in der Nähe ihres momentanen Standorts wähnt. Als der vermeintlich Geflohene bereits an der Haustür klingelt, taucht endliche die Polizei und der Unterkommissar auf.

Statt den vermeintlichen Verbrecher festzunehmen, unterhalten sie sich mit ihm, und Laura vermutet eine große Verschwörung. Sie erleidet einen Nervenzusammenbruch und wacht erst einen Tag später in einer psychatrischen Klinik auf. Sie hatte dem Zeitungsreporter mit Robocop verwechselt. Der eigentliche Täter, so versichert ihr der Unterkommissar Handal, habe bereits das Land verlassen. Für Laura ist klar, dass der Unterkommissar Geld von Toñito Rathis bekommen hat, um den Auftragsmörder entkommen zu lassen. Somit ist der Einzige, der die Drahtzieher des Mordes identifizieren könnte, verschwunden. Sie erwartet auch, dass der Unterkommissar nun ihr den Mord anhängen will. Pepe Pindonga erzählt ihr, dass das Geld von Finapro weder in einem Wahlkampf noch in eine Fußballmannschaft geflossen ist, sondern zur Begleichung einer Schuld bei einem Drogenkartell diente. Nun ist für Laura der Fall klar: Olga María wusste von diesem Geldtransfer, und deshalb musste sie sterben. Im bevorstehenden Erholungsurlaub will sie nun entscheiden, ob sie weiter versuchen wird, die Schuldigen zur Strecke zu bringen.

Soweit zur inhaltlichen Ebene des Romans. Bei einer ersten Lektüre neigt der Leser dazu, den Roman für eine mit sehr bildlicher Sprache arbeitenden Unterhaltungsliteratur zu halten. Die Geschichte erinnert an eine Telenovela [Oralität], in der schöne, wohlhabende Menschen der sozialen Oberschicht in Intrigen und Affären verstrickt sind. Die Abfolge der Episoden wirkt auf den Leser einfach strukturiert, oberflächlich und wenig realistisch, so dass er sich in der Geschichte selbst kaum wieder finden kann. Diese fehlende Identifikation kompensiert der Autor durch seine besondere Erzählperspektive, in der die erzählende Figur im ständigen Dialog mit dem Leser steht und ihn so in diese Scheinwelt hineinzieht. Das Konstrukt der Telenovela lässt sich in vielen Punkten wieder erkennen, aber am Ende der Geschichte wird es von Moya aufgebrochen und der Roman endet nicht in einem Happyend, sondern mit dem Sieg der korrupten Gesellschaft. Damit dreht Moya das Konstrukt der Telenovela um und holt den Leser in die harte reale Welt eines Nachkriegslandes zurück.

Moya schafft mit diesem Roman ein verzerrtes Abbild der salvadorianischen Gesellschaft und hält ihr auf diese Weise einen Spiegel vor. Einer Gesellschaft, die nach dem Krieg ihre innere moralische Grundordnung verloren hat. Auf ironische Weise lässt der Autor im Roman den Stellenwert dieser Kunstwelt der Wohlhabenden erkennbar werden. Etwa wenn Laura ein Telefongespräch abbricht, nur damit sie die eine Folge ihrer brasilianischen Lieblingstelenovela nicht verpasst, obwohl es in dem Telefongespräch um die Aufklärung des Mordes an ihrer besten Freundin geht. Oder wenn Laura nach ihrem Nervenzusammenbruch ihre Mutter als erstes fragt, wie die Telenovela weitergegangen ist, die sie ja leider verpasst hat. „Le pregunté sobre la telenovela brasileña. Vieras cómo me dar rabia perdiendo los últimos capítulos“[1]. So spiegelt der Leser genau den Teil der Gesellschaft wieder, in dessen Leben die Telenovelas häufig zum Zeitvertreib geschaut werden.

Der Autor bringt in diesem Roman in ironischen Episoden seine ablehnende Haltung zum gesellschaftlichen und literarischen Mainstream zum Ausdruck und bezieht damit eine klare Stellung im lateinamerikanischen Literaturpanorama.

 

[1] Castellanos Moya 2000: S. 175


Quellen

Castellanos Moya, Horacio (2000): La diabla en el espejo. Madrid: Lindeo.

Castellanos Moya, Horacio (2003): Die Spiegelbeichte. Übers. Jan Weiz. Zürich: Rothpunktverlag.

 

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La diabla en el espejo

 

Horacio Castellanos Moya, fotografiert von Moramay Herrera Kuri (Mexiko)