"Con la congoja de la pasada tormenta"

Daniela Kozian

 

Die Erzählung Con la congoja de la pasada tormenta, deren Titel Castellanos Moya dem ersten Teil des Don Quijote (Kap. 17) entnommen hat, wurde 1995 in San Salvador veröffentlicht. Sie ist in 16 Kapitel unterteilt. Das zu Beginn stehende Zitat

 „[...] que no había hecho más mal que levantarle dos chichones algo crecidos, y lo que él pensaba que era sangre no era sino sudor que sudaba, con la congoja de la pasada tormenta.“

ermöglicht den LeserInnnen die Position des Ich-Erzählers nachzuvollziehen, der unschuldig und unwissend in einen Todesfall verwickelt wird. Diese Kriminalerzählung, die in den letzten Monaten des Krieges spielt, ist ein Text, der das damalig existierende Maß an Korruption, Machtmissbrauch und Gewalt thematisiert, in dessen Kontext kein ritterliches Handeln mehr möglich scheint.

Der Leser verfolgt die Geschichte aus der Perspektive des homodiegetischen Erzählers, eines Barmanns, dessen Name nie genannt wird und dem es, im Gegensatz zu dem, was andere unter dem System erdulden müssen, zu Beginn noch recht gut geht. Dieser beginnt seine Erzählung mit der Schilderung eines Gastes, der ihm in der Bar La cueva de los melancólicos, durch seine regelmäßigen Besuche und seine Schweigsamkeit auffällt. In kurzen Gesprächen erhält er ein paar wenige Daten „se llamaba Luis, el capitán Luis Raudales, piloto de la línea aérea LASA. ...32 años de edad,...“ (Castellanos Moya 1995: 12). Aus den Nachrichten erfährt er vom Selbstmord Luis’, der sich eine Woche vor dessen Hochzeit das Leben genommen haben soll.

Nach zwei Wochen, er hatte den Vorfall schon fast vergessen, taucht auf einmal ein Mann, dem Anschein nach vom Militär, auf und fängt an ihn auszufragen. Er bekundet seine Zweifel an dem Selbstmord, den es demnach von ihm zu untersuchen gilt. Kurz darauf erscheint jemand, der sich als alter Freund des Toten ausgibt „se identificó como José Maria Lima, capitán adscrito al Estado Mayor Conjunto de la Fuerza Armada“(15), um alles über seinen „compañero de promoción“ zu erfahren. Nachdem er dem Ich-Erzähler seine Karte gegeben hat, beginnt dieser sich unwohl zu fühlen und darüber nachzudenken, seine Arbeit in der Bar aufzugeben, da ihm bewusst wird „que el capitán Luis Raudales ya se había metido en mi vida, sin pedir permiso, quizás casualmente, pero con una profundidad insospechada“ (15).

Einige Tage später, nachdem er sich schon fast wieder beruhigt hat, taucht in seiner Bar Pepe Pindonga auf (zu Pepe siehe auch Donde no estén ustedes und La diabla en el espejo), der seine Absichten den Fall zu klären, anfangs nicht klar äußert, sondern den Barmann darum bittet, ihn als Touristenführer durch die sich veränderte Großstadt und die besten Bordelle zu führen, da er aufgrund des Krieges nach Mexiko auswandern musste und nun gerade erst zurückgekehrt ist. Er soll in seiner Funktion als Journalist eine Reportage über das Nachtleben in San Salvador schreiben. Bei der Beschreibung dieses Nachtlebens und der Erlebnisse der beiden Männer führt Castellanos Moya den LeserInnen die von Gewalt geprägten gesellschaftlichen Zustände des Landes vor Augen. Die Bordelle werden von Militärs geführt und die Frauen ausschließlich als Konsum- und Gebrauchsgegenstände betrachtet, die so wenig bekleidet wie möglich herumlaufen müssen „para que el cliente supiera exactamente lo que estaba comprando“ (20). Durch den Einsatz von einfacher Sprache wird die kühle und ernüchternde Atmosphäre verstärkt.

Nachdem Pepe den Barmann im Bordell eingeladen hat ist dessen Vertrauen gestärkt und Pepe eröffnet ihm nun seine eigentlichen Absichten, die Hintergründe des Mordes an Raudales in Erfahrung zu bringen. Beauftragt wurde er von Diana, der Schwester, die einige Briefe von ihrem Bruder erhielt, deren Inhalt vermuten lässt, dass hinter seinem Tod mehr als nur ein Selbstmord steckt. Der Protagonist, der seiner Meinung nach  mit der ganzen Sache nichts zu tun hat, lässt sich, unter anderem durch seine Naivität, tiefer in die Geschehnisse hineinziehen. Schließlich agiert er sogar als Kontaktperson und Vermittler zwischen Capitán Lima und Pepe, die sich in seiner Bar treffen und Informationen austauschen.

Durch sein Handeln und eine gewisse Neugier, die er nicht unterdrücken kann, wird er immer mehr zur Zielscheibe, da ihm von allen Seiten mehr Wissen über den Toten unterstellt wird als er besitzt. Die Situation wird für ihn stetig gefährlicher. Von der ersten Person, die nach Raudales fragte, dem Mayor Agustín Berríos, einem früheren Vorgesetzten Raudales, wird er entführt und misshandelt. Zudem verlangt dieser von ihm alle Informationen, die er von Lima und Pepe bisher erhalten hat und weiterhin, nach seiner Freilassung, erhalten wird, was ihn in die Position eines Spions versetzt. Außerdem berichtet dieser ihm auch von einer Verschwörung gegen la Fuerza Aérea, in der Pepe ein wichtiger Bestandteil ist und bei der der Tod Raudales als vorsätzlicher Mord dargestellt werden soll „por sus compañeros de armas, con el objeto de luego lanzar una campaña de difamación internacional“ (33).

Unfähig aus diesem Netz voller Intrigen und Verschwörungen auszubrechen sieht der Erzähler sein Leben nun ernsthaft bedroht. Alle Beteiligten üben Macht auf ihn aus und lassen kein Mitgefühl erkennen. Er ist eine Marionette, dessen Leben nur der Informationsweitergabe dient und die sich, bis zur Erfüllung ihres Zwecks, nicht zurückziehen darf. Nun überstürzen sich die Ereignisse, die Handlungsabfolge ähnelt der eines Thrillers, etwa bei einer Verfolgungsjagd. Das Geschehen ist nicht mehr zu kontrollieren, dem Protagonisten werden alle Handlungsoptionen genommen. Diese fehlende Selbstbestimmung zeigt Castellanos Moya besonders stark, was sich auch auf die LeserInnen auswirkt, die aufgrund seiner Erzählweise diese beschriebene Hilflosigkeit und Unfähigkeit mitempfinden können. Pepe und Ramiro, dessen Freund und Redakteur bei der gleichen Zeitung, sind die einzigen, die sich auf ihn als Individuum einlassen, jedoch erst zu dem Zeitpunkt als die Situation zu eskalieren droht und noch ein weiteres Menschenleben in Gefahr ist, und zwar das der Señora des Barmanns. Inzwischen konzentrieren sich die Ermittlungen auf die von Raudales verfassten Briefe.

Der Mayor verlangt diese Informationen aus den Schriftstücken und beschattet den Erzähler, da er denkt, dass es diesem möglich ist, in deren Besitz zu gelangen. Nach einem ungeplanten und unerwünschten Zusammentreffen mit den anderen ermittelnden Seiten zieht er seine Schlüsse und denkt, der Barmann würde ihm nicht weiterhelfen, sondern ihn betrügen. Daraufhin flüchtet er, entführt die Señora des Protagonisten und bedroht deren Leben. Zu diesem Zeitpunkt ist die Untersuchung für ihn beendet. Er, Gesandter des Militärs, soll verhindern, dass weitere Erkenntnisse gewonnen werden und so der vermeintliche Selbstmord in Frage gestellt wird. Mit der Señora als Druckmittel stellt er die Bedingung, die Ermittlung fallenzulassen und die Forderung, dass Pepe so früh wie möglich das Land verlassen soll „meterse con militares es un pésimo negocio, [...]“ (58).

Somit soll die Version gewahrt bleiben, dass Raudales, der einst einer der besten Piloten war, zurückgetreten ist und sich später aufgrund von Depressionen und nervösen Zuständen eine Woche vor seiner Hochzeit umgebracht hat. Die einzige, die dem noch Indizien entgegenzusetzen hat, ist Diana, die die etwas verworrenen Briefe ihres Bruders erhielt und nach deren Lektüre zu dem Schluss kommt,dass nicht alles mit rechten Dingen zuging. Diese Vermutung ihrerseits wird durch die drei ca. zeitgleich stattgefundenen Todesfälle anderer Kapitäne bestärkt. Nach Pepes Meinung wurde der Capitán zu dieser Tat gezwungen, da er über bestimmte illegale Aktionen Bescheid wusste

„unas semanas antes de que el capitán Raudales pidiera la baja, su jefe inmediato, el mayor Agustín Berríos, junto a un grupo de oficiales, habían sido seperados de la Fuerza Aérea, luego que la prensa de Estados Unidos difundiera informes sobre la existencia  de una red que, desde el aeropuerto militar de Ilopango, traficaba armas para los contras nicaragüenses a cambio de cocaína procedente de los narcos colombianos“ (63).

Um das Leben weiterer Unschuldiger zu retten, ziehen sie sich zurück. Pepe verlässt das Land und alle Beteiligten entscheiden gemeinsam, ihre Vermutungen für sich zu behalten.

Jedoch wurde durch diese Kette der Ereignisse, die dem Ich-Erzähler widerfahren, ein weiterer Mensch (der Barmann) auf die Missstände und korrupten Machtverhältnisse im Land aufmerksam gemacht. Wissen hat sein Leben verändert und wird auch zukünftig immer eine Gefahr bergen [Link zu Überlebenswissen]. Diese neue Realität, in der seinem apolitischen Dasein ein Ende gesetzt wird, wird von Castellanos Moya in den Momenten deutlich gemacht, in denen der Erzähler versucht, aus seinem Marionettendasein auszubrechen und in ein normales Leben, in dem er die soziale Realität ignorieren konnte, zurückzukehren. Dieser Weg bleibt ihm jedoch verwehrt.

Zum Schluss erhält er von Pepe eine Kopie des von Raudales verfassten Briefes, um eine  Sicherheit für sich und das Leben seiner Señora in der Hand zu haben. Mit diesem Brief endet die Erzählung. Es wird nicht weiter darauf eingegangen, inwiefern der Erzähler mit der neuen Information seine Sichtweise ändert oder beibehält. Den LeserInnen allein wird die Deutung überlassen.

Am Inhalt des Briefes wird, wie schon in anderen Werken Castellanos Moyas, die Position einer Person, in diesem Fall Raudales, die sich selbst marginalisiert hat, aufgezeigt, die in der ihr zugewiesenen Stellung der Gesellschaft nicht mehr zurechtkommt, sich dem Alkohol hingibt und so versucht der Realität zu entfliehen. „Sólo otra ginebra me permitirá soportar lo que queda de noche. [...] Matar, oficio de un ciego enloquecido por la velocidad“ (68).

Ihm, Raudales, wird  keine andere Möglichkeit zugestanden, als durch seinen Tod auf die herrschenden Zustände, jener vom Krieg geprägten Zeit, aufmerksam zu machen.

Bereits in diesem frühen Werk verdeutlicht Castellanos Moya die fest vorgeschriebenen Gesellschaftstellungen und Regeln aus denen es kein Entkommen gibt und die es den Menschen unmöglich macht frei zu agieren und ihre Meinung zu äußern. Castellanos Moya zeigt in seiner Literatur eine vom Bürgerkrieg geprägte Welt und in dieser Figuren, die zum Scheitern verurteilt sind oder dem Wahnsinn verfallen. Den westlichen LeserInnen bleibt so kaum Platz für Hoffnung, genauso wenig ist eine Identifikation mit den Protagonisten möglich, zurück bleibt ein Schrecken, der die Situation und Position der Menschen El Salvadors sichtbar macht.

 

Primärliteratur

Castellanos Moya, Horacio (1995): Con la congoja de la pasada tormenta. San Salvador.

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Bücher

"Con la congoja
de la pasada tormenta"

 

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Horacio Castellanos Moya, fotografiert von Moramay Herrera Kuri (Mexiko)