1 Einleitung und Problemstellung

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Die Belastung der Oberflächengewässer und teilweise auch Grundwässer mit Schwermetallen gehört mit zu den größten Umweltproblemen der Industriestaaten weltweit. In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, wie z.B. Dänemark, steigende Konzentrationen an Nickel (> 100 µg/L) aber auch an anderen Schwermetallen wie Blei, Kupfer, Zink, Arsen und Kobalt in oberflächennahen Grundwässern beobachtet, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden. Verschärfte gesetzliche Auflagen zur Reduzierung industrieller Emissionen erfordern neue Verfahren zur Behandlung von Abwässern und Prozesslösungen, um deren Belastungen zu minimieren. Die Vermeidung von Kontaminationen und Rückgewinnung der Metalle stehen dabei im Vordergrund. Durch das 1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz1 werden Betriebe zur Schonung der natürlichen Ressourcen – durch Kreislaufführung der Prozess- und Spülwässer – verpflichtet. Deshalb wurde in Deutschland eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen2 erlassen, die auf eine Minimierung der Schwermetallemissionen abzielen.

Konventionelle Technologien zur Schwermetallentfernung, wie chemische Fällung als Hydroxide bzw. Sulfide oder elektrochemische Verfahren sind vor allem im unteren Konzentrationsbereich weder effektiv noch ökonomisch. Durch Einsatz mehrerer Tonnen Säure zur Senkung der pH-Werte nach der Fällung kommt es zu deutlichen Änderungen der Eigenschaften von Prozesswässern. Große Salzfrachten erschweren zusätzlich die Kreislaufführung, da die produktionsspezifischen Qualitätsanforderungen an das aufbereitete Brauch- und Prozesswasser schwer einzuhalten und somit oft ein weiterer Zusatz von Frischwasser erforderlich ist. Bis heute mangelt es vielfach an technisch durchführbaren, kostengünstigen Verfahren zur effektiven Entfernung und Rückgewinnung von Schwermetallionen aus komplex zusammengesetzten Lösungen, wie sie z. B. in metallverarbeitenden Betrieben anfallen. Beispielsweise bereitet in der Praxis die Trennung von Ni- und Zn- bzw. Ni- und Co-Ionen erhebliche Schwierigkeiten. Für eine effektive Rückgewinnung werden hoch selektive Verfahren gebraucht, die eine Gewinnung möglichst reiner Metallsalzlösungen ermöglichen.

Synthetische metallkomplexierende funktionelle Polymere werden in der Wassertechnologie seit Jahren erfolgreich zur Eliminierung störender Kationen verwendet. Zur Entfernung von Schwermetallen aus neutralsalzhaltigen Lösungen – aus Ab- oder Spülwässern der metall- oder textilverarbeitenden Industrie – werden schwach saure chelatbildende Ionenaustauscher vorwiegend in der Alkaliform (Na-Form) eingesetzt.

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Die Selektivität eines Ionenaustauschers ist entscheidend, wenn eine gezielte Komplexierung von
z. B. besonders wertvollen oder giftigen Metallionen aus Lösungen mit hoher Konzentration an Begleitionen erfolgen soll. Steigende Anforderungen an die Qualität der aufzubereitenden Wässer verlangen nach leistungsfähigen Selektivaustauschern und effizienten Aufbereitungstechnologien. Vorteil der Ionenaustauschverfahren ist der Erhalt der Eigenschaften von Prozesslösungen (z. B. pH-Wert, Salzgehalt). Wichtige Kriterien für die Auswahl geeigneter Austauscher sind deren Selektivität für die Zielionen, die nutzbare Kapazität, kinetische Eigenschaften, mechanische und chemische Stabilität sowie deren Regenerierbarkeit und Kosten. Die Funktion dieser Materialien hängt in erster Linie von den Wechselwirkungen zwischen den polymergebundenen Liganden und den Metallionen ab, die entscheidend für die Reaktivität und Selektivität der Ionenaustauscher sind. Um beispielsweise die Selektivität gegenüber bestimmten Metallionen zu erhöhen, müssen deren Wechselwirkungen optimiert werden, was durch Variation der experimentellen Bedingungen bzw. der Matrixzusammensetzung3 realisiert werden kann. Das Austauschverhalten wird stark durch die strukturellen Gegebenheiten der Matrix bestimmt, denn sie hat wesentlichen Einfluss auf die Kinetik – Geschwindigkeit des Transportes der Metallionen oder der Eluenten ins Korninnere – und auf die Zugänglichkeit der Liganden für das Austauschmedium. Obwohl im Bereich der industriellen Abwasserbehandlung Selektivionenaustauscher seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich in der Praxis angewandt werden, wurde bisher in der Literatur zu strukturellen Matrixeinflüssen auf Beladung, Kapazität, Selektivität und Kinetik nur relativ wenig publiziert. Im von Hering veröffentlichten Standardwerk über chelatbildende Ionenaustauscher werden die Synthesen und spezifischen Eigenschaften der verschiedensten Chelon-Harze in Abhängigkeit möglicher Nebenankergruppen übersichtlich dargestellt [Hering 1967].

Seit 1990 werden verstärkt Arbeiten veröffentlicht, in denen die Nutzung von Selektivionenaustauschern zur Entfernung von Schwermetallionen in der Trinkwasseraufbereitung im Mittelpunkt steht. Matrixeffekte fanden jedoch wenig Beachtung [Rahm 1994] [Overath et al. 2002] [Stetter et al. 2006].

Aus diesem Grund ist es interessant, die Beeinflussung der Eigenschaften von chelatbildenden Ionenaustauschern durch Variation der Matrix und deren Auswirkungen auf das Trennvermögen näher zu untersuchen. Hierzu wurden verschiedene Ionenaustauscher-Polymere hergestellt, die Iminodiessigsäure (IDE) als komplexchemisch aktive Spezies enthalten. Auf Basis einer monodispersen Erstsubstitution eines Styren-Divinylbenzen-Copolymerisates wurde durch gezielten Einbau funktioneller Gruppen – Synthese mit differenziertem Substitutionsgrad – versucht, systematisch den Einfluss des Substitutionsgrades der Matrix auf die Eigenschaften des Ionenaustauschers anhand von experimentellen Untersuchungen zu analysieren. Zum Einsatz kommen sechs unterschiedlich substituierte Proben, deren Substitutionsgrade (TK/N ≡ Totalkapazität/Stickstoffgehalt) von 1,034 bis 1,875 variieren. Ein TK/N-Verhältnis von 1 bedeutet, dass nur ein Proton der NH2-Gruppe gegen eine funktionelle Gruppe substituiert wurde und Aminoessigsäure vorliegt. Beim TK/N-Verhältnis 2 wurden beide Protonen ausgetauscht und es existiert Iminodiessigsäure. Unterscheiden sich die Proben wie vorgesehen in Ligandenanordnung und Zahl der funktionellen Gruppen, so sind unterschiedliche Komplexierungseigenschaften gegenüber Metallionen zu erwarten. Als Vergleichssubstanz wurde der handelsübliche Ionenaustauscher Lewatit (TP207/BAYER AG/Leverkusen/Deutschland) untersucht. Durch spektroskopische Verfahren wie IR-Spektroskopie und Rasterelektronenmikroskopie in Kombination mit einer Röntgenmikroanalyse sollten wichtige Erkenntnisse zur Zusammensetzung und Struktur der Oberflächen der Austauscher und deren Einfluss auf den Ionenaustausch ermittelt werden. Zur weiteren Charakterisierung der Oberfläche wurden Stickstoffsorptions- und Hg-Porosimetriemessungen durchgeführt.

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Zu behandelnde Wässer enthalten gewöhnlich eine Vielzahl von Salzen, deren Ionen unterschiedlich gut sorbiert werden und mit um die verfügbaren Sorptionsplätze konkurrieren. Der Salzgehalt des Rohwassers hat einen großen Einfluss auf die Effektivität des Austauschprozesses. Aufgrund ihrer Fähigkeit zum Kationenaustausch - durch beide Carboxylgruppen – nehmen IDE-Ionenaustauscher Erdalkali-Ionen aus der Lösung auf, was ihre Kapazität verringert. Geringe Fremdsalzgehalte erlauben lange Laufzeiten bei relativ hohen nutzbaren Kapazitäten. Bei hohen Ca-Gehalten wurde ein gegenteiliger Effekt beobachtet [Overath et al. 2002]. Die Bevorzugung bestimmter Metalle durch den Ionenaustauscher ist jedoch so ausgeprägt, dass chelatbildende Austauscher - im Gegensatz zu stark sauren oder schwach sauren Kationenaustauschern - selektiv Schwermetallionen aus Wasser entfernen können, auch wenn dieses Wasser Na-, Ca- und Mg-Ionen in hoher Konzentration enthält [Dördelmann 2003].

Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Ionenaustauscher wurden bewusst in der Calciumform (Ca-Form) eingesetzt. Dadurch sollte eine starke Veränderung der Hintergrundzusammensetzung des Prozesswassers, z. B. durch Sorption von in hohen Konzentrationen vorhandenen Ca2+-Ionen, verhindert werden. Der Zusatz von Fremdsalz zur Beladungslösung (1 g/L Ca) simuliert bei den kontinuierlichen Untersuchungen im Säulenverfahren den Salzgehalt realer Prozesswässer. Der angestrebte Austausch kann somit allgemein nach Gleichung 1.1 formuliert werden:

(Gl. 1.1)

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SM steht in diesem Fall für die zweiwertigen Schwermetalle Kupfer (Cu), Zink (Zn), Nickel (Ni), Kobalt (Co), Blei (Pb) und Cadmium (Cd), die aufgrund ihrer Toxizität und hohen Umweltrelevanz ausgewählt und in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern untersucht werden.

Konzeptionell gliedert sich die Arbeit in drei Teilgebiete:

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Methodisch geordnet wurden zunächst die Versuche nach dem Batch- und anschließend nach dem Säulenverfahren durchgeführt und parallel dazu die Matrix charakterisiert. Ausgangspunkt der Arbeit waren Versuchsreihen zur Ermittlung der Austauschisothermen, um einen Überblick über Sorptionsverhalten und Selektivität der Ionenaustauscher zu erhalten. Hierzu wurden die Probe 1 - mit dem niedrigsten Zweitsubstitutionsgrad (TK/N 1,034 ≡ nur 51,7 % funktionalisiert, es liegt vorwiegend Aminoessigsäure vor) - und die Probe 2 - mit dem höchsten Substitutionsgrad (TK/N 1,857 ≡ 92,85 % der funktionellen Gruppen sind mit IDE-Gruppen belegt) - ausgewählt und vergleichend untersucht.

Primäres Ziel war die Ermittlung der maximalen Beladung (Kapazität) und der Affinität unterschiedlich substituierter Proben für die Schwermetallionen Cu, Zn und Ni. Die experimentell gewonnenen Daten wurden nach den Adsorptionsmodellen von Langmuir und Freundlich ausgewertet. Neben der durch das Adsorptionsgleichgewicht bestimmten statischen Beladungskapazität ist für die Dimensionierung von Adsorbern die Austauschkinetik von entscheidender Bedeutung. Die anschließenden zeitabhängigen Batchversuche sollten den Verlauf der Gleichgewichtseinstellung in Abhängigkeit vom pH-Wert der Beladungslösung und Substitutionsgrad der Ionenaustauschermatrix aufzeigen.

Von besonderem Interesse war das Verhalten der funktionellen Ankergruppen in Abhängigkeit vom pH-Wert. Es wurde der pH-Bereich von 2 bis 5 untersucht und der optimale Arbeitsbereich für die einzelnen Metallionen (Cu, Zn, Ni, Co, Pb, Cd) ermittelt. Die pH-abhängigen Untersuchungen wurden mit den Proben 1 und 2 durchgeführt, da sie sich in der Funktionalisierung am stärksten unterscheiden. Als obere Grenze wurde der pH-Wert 5 gewählt, da bei pH-Werten über 5 bereits Hydrolyse bzw. Fällungsreaktionen einsetzen [Hartinger 1976].

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Nach Ermittlung des optimalen Anreicherungs-pH-Wertes sollte geklärt werden, wie sich die unterschiedliche Funktionalisierung der Matrix der Proben auf das Beladungsverhalten auswirkt. Die nachfolgenden Batchversuche wurden deshalb beim pH-Wert 5 mit sechs systematisch abgestuft substituierten Proben und der Vergleichsprobe TP 207 durchgeführt. Für eine effektive Rückgewinnung steht in der Praxis neben einer hohen Selektivität und Kapazität für die Metallionen auch die Wiederverwendbarkeit der Ionenaustauscher im Vordergrund. Ergänzend zum Beladungsverhalten wurde zusätzlich die Regenerierbarkeit der synthetisierten Proben geprüft und dokumentiert.

Hauptziele der Batchversuche:

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Damit sollen grundlegende Zusammenhänge über die Abhängigkeiten der Beladungen von IDE-Ionenaustauschern mit zweiwertigen Schwermetallionen erarbeitet werden.

Diesen statischen Versuchen folgen dynamische Untersuchungen im Säulenverfahren, denn im Gegensatz zum statischen Batchverfahren kann beim kontinuierlichen Säulenverfahren eine große Anzahl lokaler Gleichgewichtseinstellungen verwirklicht werden. Unter Berücksichtigung der im Batchverfahren erzielten Ergebnisse wurden für die Säulenversuche die leistungsfähigsten Proben
(2, 3, 5) ausgewählt, da diese die unterschiedlichen Substitutionsgrade gut repräsentieren. Um möglichst praxisnahe Bedingungen zu simulieren, wurde den Beladungslösungen vorab zusätzlich eine konstante Salzfracht (1g/L Ca) zugesetzt.

Ziel der Säulenversuche war die Ermittlung des Durchbruchverhaltens und der -kapazität (DBK) der Proben bei optimalem pH-Wert in Abhängigkeit vom Substitutionsgrad gegenüber den Einzelmetallionen (Cu, Ni, Zn) und ausgewählten Paaren (Cu/Ni, Cu/Zn, Ni/Zn). Alternativ dazu wurden zusätzlich Säulenversuche ausgewählter Paare beim pH-Wert 2 durchgeführt, um die Verdrängungseffekte durch besser sorbierbare Metallionen bei unterschiedlichem pH-Wert beobachten und vergleichen zu können.


Fußnoten und Endnoten

1  Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz KrW-/AbfG vom 27.09.1994 (BGBI S. 2705)

2  BBodSchG 1998, TrinkwV 2003, AbwV 2000, IndV 2005

3  Komplexgerechtere geometrische Anordnung oder Anzahl der Liganden im Polymer



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21.05.2007