4.3.4 Zusammenfassung
Die gute Übereinstimmung zwischen Kraftfeld- und Kristallstruktur aller untersuchten trigonal-prismatischen Vanadiumkomplexe bestätigt die Zuverlässigkeit der Parametrisierung des CFF91 für diese Komplexgeometrien. Die erfolgreiche Konformationsanalyse der Komplexe 19, 20 und 21 durch Moleküldynamik zeigte, daß die Potentialhyperflächenapproximation mit dem angepaßten CFF91 auch in der weiteren Umgebung der direkten Fit-Parameter (RKSA) gültig ist. Das Auftreten tiefliegender Minima mit relativ hoher Abweichung zur Kristallstruktur war generell zu beobachten. Ursache dafür ist die Vernachlässigung der im Kristall vorhandenen intermolekularen Wechselwirkungen bei der Simulation von Einzelmolekülen. Diese Vereinfachung verfälscht für derartig relativ rigide Systeme zwar nicht sofort die strukturellen Parameter der Moleküle, aber sie hat einen gewissen Einfluß auf die energetische Reihenfolge verschiedener Konformationen eines Moleküls.
Für die Simulation mit dem angepaßten CFF91 muß man außerdem noch berücksichtigen, daß die Parametrisierung für Vanadium vollkommen neu eingeführt wurde. Eine Abstimmung und Anpassung neuer Atomtypen in ein Kraftfeld erfordert jedoch längere Tests und umfangreiche experimentelle Referenzdaten, um auch kleinere Inkonsistenzen in der Parametrisierung aufzudecken und zu beheben. Eine weitere konsequente Nutzung des Kraftfeldes wird derartige Probleme schrittweise reduzieren und zu immer zuverlässigeren Ergebnissen führen.
Die Untersuchungen zur Beschreibung und Erklärung der Strukturen von 28 und 29 mit einem kombinierten molekülmechanisch-quantenchemischen Ansatz ermöglichen eine detaillierte Analyse der Bindungsverhältnisse und ihrer elektronischen Ursachen. Auch in diesem Fall bestätigte sich die Annahme, daß mit dem ESFF und dem CFF91 erzeugte Kraftfeldstrukturen als Eingabestrukturen für single-point-Rechnungen genutzt werden können und qualitativ äquivalente Ergebnisse zu vollständigen ab-initio-Geometrieoptimierungen geben.
Die Ergebnisse der Berechnungen gehen mit theoretischen (z.B. Jahn-Teller-Effekt [24, 29, 32], Orbitalaufspaltung im Ligandenfeld [24, 29, 32, 76, 77]) und empirischen Befunden (z.B. Trans-Effekt [67], Bent`s Regel [75]) für die Komplexbindung konform. Die Ursache für die Unterschiede in der Komplexgeometrie von 28 und 29 trotz isoelektronischer Ligandensysteme liegt in einer spezifischen Veränderung in der Elektronenstruktur der Liganden unter dem Einfluß des koordinierenden Zentralatoms. Die mögliche Präferenz von d1-Übergangsmetallen für trigonal-prismatische Koordinationspolyeder kann mit dem Liganden L1 wegen seiner höheren p-Wechselwirkung zum Zentralatom und einer leicht erhöhten Flexibilität im Ligandengerüst realisiert werden. Die Verzerrung der Oktaederstruktur im Komplex 29 hingegen basiert auf der schwächeren p-Wechselwirkung der Donoratome und seiner höheren Rigidität, was ein Ausweichen in die trigonal-prismatische Koordination erschwert. Die höhere trans-Destabilisierung von p-Donoren führt zu längeren koordinativen Bindungen. Durch die Möglichkeit des fließenden Übergangs von oktaedrischer zu trigonal-prismatischer Koordination stellen die Strukturen der Komplexe 28 und 29 zwei alternative Extreme eines Koordinationsschemas dar, dessen Ursachen mit dem gewählten theoretische Ansatz qualitativ und quantitativ untersucht werden können.
Eine derartig umfassende Analyse elektronischer und struktureller Parameter und ihrer möglichen Beziehungen erlaubt die Determination und Voraussage der Strukturen von oxofreien Vanadium(IV)-Chelaten.