4.4 Oxo-Rhenium(V)-Komplexe

4.4.1 Einführung

In der Chemie des Lebens spielt Rhenium aufgrund seiner äußerst geringen natürlichen Verfügbarkeit keine Rolle. Seine Bedeutung bei der Untersuchung bioanorganischer Modellkomplexe beruht auf zwei sehr unterschiedlichen Aspekten. Zunächst diskutiert man die potentielle Redoxaktivität des Rheniums in analogen Enzymumgebungen zu den bekannten Molybdän- und Vanadiumspezies, da es die Schrägbeziehungstriade V, Mo, Re im Periodensystem vervollständigt [8]. Weiterhin sind Rheniumverbindungen in der Radiomedizin als Therapeutika (Radioisotope 186Re, 188Re), sowie als Modellkomplexe für das metastabile 99Tc in der Radiodiagnostik weit verbreitet [78]. In beiden Anwendungen ist eine gezielte Chelatisierung des Zentralatoms mit bestimmten Liganden in definierter geometrischer Anordnung notwendig. Das gilt sowohl für die Modellierung aktiver Zentren anhand nativer Baupläne [78, 79] von verwandten Enzymen, als auch für die Entwicklung geeigneter Radiotherapeutika und -diagnostika mit speziellen Eigenschaften. Dies betrifft z. B. die Lipophilie eines Komplexes zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke, um radiodiagnostische Untersuchungen des Gehirns durchzuführen oder die selektive Affinität zu kanzerogenem Gewebe für die Radiotherapie von Tumoren.

Die Modellierung von Oxo-Rhenium(V)-Komplexen erfolgt ausschließlich an verschiedenen Chelaten aus der aktuellen Synthesearbeit [80] (Tab. 13).

Da die bisher bekannten Strukturen der Oxo-Rhenium(V)-Komplexe sehr einheitlich sind, ist zu erwarten, daß auch weitere Verbindungen ähnliche Koordinationsgeometrien aufweisen. Deshalb werden auch Strukturen kristallographisch nicht untersuchter Verbindungen in die theoretische Bearbeitung mit aufgenommen.

In einem Fall wurde durch die katalytische Wirkung des Oxo-Rheniumkerns eine Kondensation von zwei dreizähnigen Liganden zu einem vierzähnigen Chelatbildner beobachtet [81,82]. Die prognostizierte Struktur des 1:2-Oxokomplexes mit dreizähnigen Liganden weicht hier natürlich stark von der Kristallstruktur ab. Derartige Besonderheiten bestätigen die vorher erwähnte potentielle katalytische Aktivität des Rheniums. Sie können jedoch nicht über diesen molekülmechanischen Ansatz zur Strukturberechnung berücksichtigt und untersucht werden.

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