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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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II,
3 (2001)
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Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde7. HUMBOLDTs Arbeiten mit dem Chronometer im Atlantik
HUMBOLDT hatte sich mithin vor der Einschiffung nach Amerika im Umgang mit den zahlreichen wissenschaftlichen Instrumenten ausgiebig an Land geübt und diese auch auf ihre Genauigkeit getestet.
Betrachten wir nunmehr den praktischen nautischen Einsatz der BERTHOUD-Seeuhr durch HUMBOLDT und einige mit diesem Zeitmesser erzielten wissenschaftlichen und kartographischen Ergebnisse. Als Grundlage dient hier nur die von HAUFF "nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers" besorgte deutsche Bearbeitung der "Reise in die Aquinoctial-Gegenden des neuen Continents" (in der COTTAschen Oktavausgabe Stuttgart 1861, Seitenangaben hiernach aus Erstem Band). Gelegentlich wird allerdings auf die ungekürzte erste Übersetzung von 1815 hinzuweisen sein.
Es reicht hierbei zur Veranschaulichung aus, nur die Atlantikquerung von La Corunna nach Cumana auf der spanischen Fregatte "Pizarro" vom 5. Juni - 19. Juli 1799 heranzuziehen, insgesamt eine (die Woche auf Teneriffa abgerechnet) schnelle und glückliche Überfahrt von 15 Seetagen (erster Abschnitt bis zu den Kanarischen Inseln) plus 22 Seetagen (Weiterreise bis Venezuela, vgl. Abb. 3). Die entsprechenden Distanzen betragen 1.078 bzw. 3.072 Seemeilen (1 sm = 1 mittlere Länge einer Bogenminute auf einem Meridian bzw. dem Äquator, gleich 1852 m). Die näheren Umstände dieser Überfahrt sind vielen aus eigener Lektüre wohl bekannt und bei KORTUM (1993 und 1999) unter ozeanographiegeschichtlichen Gesichtspunkten neu bewertet worden. Insgesamt hat HUMBOLDT während seiner Südamerika-Expedition an 205 Tagen auf See an Bord verschiedener Schiffe 16.471 sm zurückgelegt, mithin entfielen über 10 % der Gesamtexpeditionszeit von 1880 Tagen auf Seetage, an denen HUMBOLDT wertvolle nautische, geodätische, meereskundliche und meteorologische Beobachtungen oder Messungen machen konnte, die bisher viel zu wenig Beachtung fanden. Fehlen doch die Meeresabschnitte der Südamerikareise in vielen Neuausgaben ganz oder sind durch Kürzungen entstellt. Diese Teile der Reisebeschreibung sind aber zur Gesamtwürdigung der Reise und HUMBOLDTs Gesamtwerks nicht unwichtig. Teilweise lesen sie sich als mit meereswissenschaftlichen Erläuterungen vertieftes Logbuch. Sie sind in größerem Zusammenhang der wissenschaftlich begleiteten Weltumsegelungen jener Zeit als klassisches ozeanographiegeschichtliches Dokument zu werten.
Das "Reise-Journal zur Überfahrt von den Küsten Spaniens an die des südlichen Amerikas, oder von Corunna nach Cumana" findet sich mit täglichen Eintragungen von 43 Positionen, der Oberflächentemperatur des Meeres und geomagnetischer Beobachtungen auf S. 405-421 in der ungekürzten Übersetzung von 1815 (A. v. HUMBOLDT und A. BONPLANDT, 1. Theil, Kapitel III). "Die Längen wurden nach dem Chronometer von Hrn. Louis BERTHOUD Nro. 27 bestimmt", heißt es in der Vorbemerkung (S. 405).
Auf weitere nicht in der HAUFFschen gekürzten Ausgabe enthaltenen Erwähnungen des besagten Chronometers in dieser Übersetzung sei hier nur hingewiesen. Beispielhaft sei zu den Chronometerarbeiten in Spanien hieraus nachgetragen:
"Ich machte die nöthigen Beobachtungen, um mich des Gangs meines Chronometers von Louis Berthould zu versichern und sah mit Vergnügen, daß es in seinem täglichen Zurückbleiben gleich geblieben war, trotz der Erschütterungen, denen es auf der Reise von Madrid nach Corunna ausgeesetzt war ..." (HUMBOLDT / BONPLANDT 1815, S. 67/68).
Diese Mühen HUMBOLDTs waren nicht vergeblich, denn es gab Zweifel an der exakten Länge dieses wichtigen spanischen Überseehafens. In der ungekürzten Reisebeschreibung heißt es hierzu weiter (HUMBOLDT/BONPLANDT 1815, S. 68/69):
"Dies war um so wichtiger, als noch viele Ungewissheit über die wahre Länge von Ferrol herrschte, welche Stadt mit ihrem Mittelpunkt 10 20" östlich vom Thurm des Herkules bei Corunna liegt. Eine Bedeckung des Aldebarans und eine große Reihe von Verfinsterungen des Jupiters-Trabanten, die von dem Admiral MAZARREDO beobachtet und von MECHAIN berechnet wurden, scheinen zu beweisen, dass in dem See-Atlas von TOFINNO, der sonst in den Angaben einzelner Entfernungen so genau ist, die absoluten Lagen von Corunna und von Ferrol um 2 3 Seemeilen fehlerhaft angegeben sind. Mein Chronometer bestätigte diese Zweifel und zeigte gegen die Bestimmung von TOFINNO. Ich fand das Observatorium der Marine zu Ferrol O h 42 21" westlich von Paris (hierzu Fußnote S. 68 unten: " ...Unter der Voraussetzung, dass mein Chronometer auf der Reise von Madrid nach Corunna sein tägliches Zurückbleiben nicht vergrößert hat, was direkten Beobachtungen, die ich zu Marseille anstellte, entgegen wäre, wäre die Länge von Ferrol noch um 23" Zeitmaß größer, als sie von Hrn. TOFINNO angegeben ist.") Das Mittel von allen Beobachtungen, die durch spanische Astronomen und kürzlich von Hrn. ESPINOSA bekannt gemacht wurden, gibt O h 42 21" 5. Ich habe bereits an einem anderen Ort bemerkt, dass, da viele Expeditionen von Ferrol ausgingen, die irrige Lage, die man diesem Seehafen gab, sehr fehlerhafte Bestimmungen der Länge mehrerer Städte Amerikas hervorbrachte, da man dabey nicht von absoluten Beobachtungen ausging, sondern die bloße Berechnung der Zeit zum Grund legte. Die Seeuhren, so sehr sie die Masse unserer geographischen Kenntnisse vermehren, tragen oft den Irrthum, der über die Länge des Orts, von dem man ausgeht, Statt findet, auf andere Orte über, in dem sie von diesem einzigen Punkte die Lage der Küsten in den entferntesten Ländern abhängig machen."
Im Rahmen dieser instrumentenkundlichen-horologischen Abhandlung muß auf eine Heranziehung weiterer Aufzeichnungen und Texte HUMBOLDTs zu den Reisen in dem "Antillischen Meer" unterbleiben (23 Seetage stürmische Überfahrt von Nueva Barcelona nach Havanna, 24.11.-19.12.1800, 1563 sm; Rückfahrt durch die Karibik von Trinidad de Cuba nach Carthagena 9.3.-30.3.1801, 21 Seetage, 547 sm). Auch HUMBOLDTs berühmte, aber bisher leider wenig im Detail analysierte Südsee-Fahrt von Callao/Lima über Guayaquil nach Acapulco (47 Seetage, 863 plus 2264 sm) und die Rückreise von Vera Cruz durch den Golf von Mexico nach Havanna und von dort aus weiter mit dem Golfstrom nach Philadelphia sowie die Atlantikquerung nach Bordeaux, über die wir nicht einmal durch Tagebuchaufzeichnungen HUMBOLDTs genau informiert sind, wären zur weiteren Vertiefung der Beschreibung seines Chronometergebrauchs heranzuziehen (vgl. KORTUM 1999, s. Abb. 3).
Die wesentlichen Punkte werden aber bereits auf der Seereise von Spanien nach Venezuela deutlich. Es ist schon richtig, HUMBOLDT, der "den Trieb zur See und zu weiten Fahrten von früher Jugend fühlte" (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 3), hatte "eine eigentümliche Vorliebe für das Meer" (Kosmos, Bd. 1, 1845, S.332). Er schreibt auch über sich, daß "ich vermöge meiner Constitution nie seekrank wurde, und sooft an Bord eines Schiffes war, immer einen großen Trieb zur Arbeit fühlte" (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 28). Die Ergebnisse dieser Arbeit auf See und ihre Auswirkung auf die Fortschritte der Meereskunde stärker aus seinem Gesamtwerk herauszuarbeiten und bewußt zu machen, bleibt weiterhin eine Aufgabe der HUMBOLDT- Forschung.
Daß sich Marinechronometer zur Längenbestimmung und Feststellung der exakten Schiffsposition ab 1770 gegenüber anderen astronomischen Methoden immer mehr durchsetzten, wurde bereits erwähnt. Aus der hiernach berechneten Position und dem "gegißten", sich nach Kompaß, Log und Strömung ergebenen Schiffsort können Tag für Tag die Versetzungen genau ermittelt werden. Dies blieb lange Zeit die beste Methode für die hydrographischen Dienststellen der seefahrttreibenden Nationen, unter Heranziehung einer großen Zahl von Schiffstagebüchern Karten für die oberflächennahe Ozeanzirkulation zu erarbeiten (vgl. die Kapitelgliederung in PETERSON, STRAMMA and KORTUM 1996: The Era prior to Sea-going Chronometry/The Era of Chronometric Observations in der historisch-meereskundlichen Gesamtübersicht "Early Concepts and Charts of Ocean Circulation").
HUMBOLDTs eigene Arbeiten im Atlantik und Pazifik fielen in die Anfangsphase der zweiten Epoche. Brauchbare Chronometer gehörten bereits zur nautischen Standardausrüstung von Seeschiffen. HUMBOLDT hatte ein sehr gutes Taschenchronometer und war somit gut gerüstet. Bereits wenige Tage nach dem Auslaufen werden die ersten wichtigen Ergebnisse mitgeteilt (folgende Zitate nach der Reisebeschreibung HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), in der Bearbeitung von HAUFF, 1861, Bd. 1, zunächst S. 29):
"Am 9. Juni (1799), unter 39°50 der Breite und 16°10 westlicher Länge vom Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an, die Wirkung der großen Strömung zu spüren, welche von den azorischen Inseln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den canarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudschen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinsten Änderungen in der Richtung und Geschwindigkeit der Strömungen bemerken. Zwischen dem 37. und 30. Breitengrad wurde das Schiff in vierundzwanzig Stunden zuweilen zwischen 18 und 26 Meilen nach Ost getrieben. Anfangs war die Richtung des Stromes Ost 1/4 Südost, aber in der Nähe der Meerenge wurde sie genau Ost....."
Es folgt ein Vergleich mit den Angaben zahlreicher anderer Seefahrer über dieses auch heute in der Meeresforschung gerade von deutscher Seite (besonders vom Institut für Meereskunde an der Universität Kiel) weiterhin bearbeitete Rezirkulationsgebiet des Kanarenstroms mit Tiefenausstrom aus dem Mittelmeer (EU-Projekt CANIGOCanary Islands Açores Gibraltar Observatíons) und eine längere, in der Oktavausgabe 18 Seiten umfassende klassische Beschreibung der nordatlantischen Zirkulation, die disziplingeschichtlich vor dem damaligen Wissensstand HUMBOLDTs sehr wichtig ist. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei der Golfstrom ein, den HUMBOLDT selbst 1804 von Havanna bis Philadelphia mit zahlreichen eigenen Messungen erfaßt hatte.
Sextant, Chronometer und Thermometer kamen dabei ständig zum Einsatz. HUMBOLDTs letztes Thermometer aus der Werkstatt des englischen Instrumentenmachers ARNOLD (er baute, wie erwähnt, auch hervorragende Chronometer) zerbrach auf der Rückfahrt bei der Azoreninsel Corvo. Zur besseren Erforschung des großartigen Naturphänomens Golfstrom und der Nordatlantikzirkulation schlug HUMBOLDT ein bahnbrechendes Konzept für ein internationales meereskundliches Großprojekt vor, daß sich aus gutem Grunde sehr wesentlich auf eine genaue Zeitmessung und Längenbestimmung gründete ( ibid. S. 41 f.):
"Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfstroms, so wie über die Fortsetzung desselben gegen die Küsten von Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufälligen Beobachtungen einiger unterrichteter Männer, welche in verschiedenen Richtungen über das atlantische Meer gefahren sind. Da die Kenntniß der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so wäre es von so großem Belang für die praktische Steuermannskunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn Schiffe mit vorzüglichen Chronometern im Meerbusen von Mexico und im nördlichen Ozean zwischen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zum Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abstand sich der Golfstrom in den verschiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der verschiedenen Winde südlich von der Mündung des Mississippi und ostwärts von den Vorgebirgen von Hatteras und Codd hält... Neben der Richtung und Geschwindigkeit der Strömungen könnte sich eine solche Expedition mit Beobachtungen der Meerestemperatur, über die Linien ohne Abweichung, die Inclination der Magnetnadel und der Intensität der magnetischen Kraft beschäftigen. Beobachtungen dieser Art erhalten einen hohen Wert, wenn der Punkt, wo sie angestellt worden, astronomisch bestimmt ist. Auch in den von Europäern am stärksten besuchten Meeren, weit von jeder Küste, kann ein unterrichteter Seemann der Wissenschaft wichtige Dienste leisten...."
Diese Passage findet sich interessanterweise nicht in der ersten englischen Übersetzung. HUMBOLDT bedauerte kurz vor seinem Tode bei der erneuten Überarbeitung seines bis heute noch nicht veröffentlichten Manuskripts über Meeresströmungen (vgl. KOHL 1868/1966, ENGELMANN 1969 und KORTUM 1990), daß dieser große Plan leider nicht verwirklicht wurde. Es sollte noch gut ein Jahrhundert dauern, bis großräumige Multi Ship Surveys in der ozeanographischen Forschung organisiert wurden (vgl. KRAUSS 1996, DEACON 1997). So wirkte das HUMBOLDTsche Denken auch in dieser geowissenschaftlichen Disziplin bis in unsere Zeit fort.
Im übrigen zeigt der oben zitierte Textauszug, daß es HUMBOLDT nicht nur auf die Beförderung der Grundlagenforschung ankam. Er sah, vielleicht ein Ergebnis seiner praktischen Bergmannsausbildung, auch immer den Anwendungsbezug der Wissenschaften, hier für die Nautik bzw. "praktische Steuermannskunst".
Aus gleichem Grunde setzte er sich, amerikanischen Utilitaristen wie Benjamin FRANKLIN u.a. folgend, sehr für die Weiterentwicklung der "thermometrischen Navigation" ein (vgl. KOHL 1868 und Kortum 1990). Auch aus diesem pragmatischen Wissenschaftsverständnis heraus gewinnt HUMBOLDTs Werk sicher heute noch an Aktualität.
Ein wichtiges zusammenfassendes Ergebnis von HUMBOLDTs chronometrischen und nautischen Studien ist schließlich seine bis heute nicht wieder aufgefundene "Charte des nördlichen Theils des atlantischen Oceans, die ich dem Publikum übergeben habe. (Hierzu Fußnote: diese Charte, die ich anfing im Jahre 1804 zu zeichnen, enthält außer der Angabe der Temperatur des Meerwassers, Beobachtungen über die Neigung der Magnetnadel, die Linien, in denen keine Abweichung derselben stattfindet, die Stärke der magnetischen Kräfte, die Banden der schwimmenden varech (= Tange, Verv.) und andere Phänomene, die die physische Geographie interessieren). "Außer den Beobachtungen, die ich auf sechs Überfahrten gemacht habe, ..., habe ich darauf Alles angebracht, was mich eine thätige Neugierde in jenen Reisejournalen entdecken ließ, deren Verfasser astronomische Mittel anwenden konnten, um die Wirkung der Strömungen zu bestimmen" (HUBMOLDT/BONPLANDT 1815, S. 93-94).
Die Reise auf der spanischen Fregatte "Pizarro" geht weiter. Noch ist man auf der Fahrt zu den Kanarischen Inseln. HUMBOLDT hat neben seiner Instrumentenausrüstung auch eine kleine Handbibliothek im Gepäck. Auf der Fahrt über den Atlantik liest er immer wieder in der KOLUMBUS-Ausgabe von NAVARETE. Er folgt bewußt seinen Spuren (vgl. KORTUM 1993).
"Wir bekamen auf unserer Fahrt weder die Inseln Desiertas noch Madera zu Gesicht. Gerne hätte ich die Länge dieser Inseln berichtigt und von den Bergen nordwärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De BORDA berichtet, man sehe diese Berge auf 20 Meilen ..." (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach Hauff, S. 53). BORDAs Einfluß auf HUMBOLDT zeigt sich auch hier: "Es scheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzuweisen, weil sich mittels dieser Methode, deren in dieser Reisebeschreibung öfter Erwähnung geschieht und deren sich Borda, Lord Malgrave, de Rossel und Don Cosmo Churucca auf ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hinlänglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit sich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Insel befindet" (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 53 f.).
Den von BORDA übernommenen Taschenhronometer benutzte HUMBOLDT ständig, und dieses Instrument gab ihm gegenüber den Nautikern an Bord einen großen Vorteil. Er wetteiferte mit den altgedienten Steuerleuten, wer die bessere Positionsbestimmung lieferte. "Die Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lancerota, einer der sieben großen Canarien, anzulegen ... Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich fast immer zweimals des Tags bestimmte, indem ich zum Übertrag der Zeit Morgens und Abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um neun Uhr Morgens, als wir schon unter 29°26' der Breite waren, änderte der Capitän den Curs und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um zwei Uhr Nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont erschien" (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 54 f.). In dem Bordtagebuch findet sich bei den Notizen HUMBOLDTs zu diesem Tag der bezeichnende Zusatz: "Die Genauigkeit des Berthoudschen Chronometers setzte alle Schiffswelt in Erstaunen. Sonnenhöhe ... giebt longitudo 16°8'45" " (FAAK 2000, S. 68).
Nach der denkwürdigen Woche HUMBOLDTs auf Teneriffa vom 19.-25. Juni 1799, die sich im 3. Kapitel der Reisebeschreibung niederschlägt, beginnt der zweite Teil der Atlantikquerung: "Am 25. Juni Abends verließen wir die Rhede von Santa Cruz und schlugen den Weg nach Südamerika ein ... Es wehte stark aus Nordost und das Meer schlug in Folge der Gegenströmungen kurze gedrängte Wellen. Die canarischen Inseln ... verloren wir bald aus dem Gesicht ... Unsere Überfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem östlichsten Hafen von Terra Firma, war so schön als je eine. Wir schnitten den Wendekreis des Krebses am 27., und obgleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir den neunhundert Meilen langen Weg von der Küste von Afrika zur Küste der neuen Welt in zwanzig Tagen zurück" (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 179 f.).
Diese zwanzig Tage auf See im Regime der Passatwinde haben HUMBOLDT in besonderer Weise geprägt. Es werden in der Reisebeschreibung ausführliche meteorologisch-klimatologische Bemerkungen und navigatorische Hinweise zur Optimierung der Segelwege nach den Antillen eingefügt. Im übrigen stehen bei den wissenschaftlichen Einschüben nunmehr meeresbiologische Fragen im Vordergrund. Es geht hierbei hauptsächlich um die Lage, Ausdehnung und Ökologie der Fucus-Bänke in der Sargasso-See und die Physiologie der Fliegenden Fische. HUMBOLDTs Bemühungen um die mutmaßliche Ausbreitung der von ihm in besonders anschaulicher Weise in den "Ansichten der Natur" (Anmerkung 7 zu Essay "Über Steppen und Wüsten") beschriebenen atlantischen Tangwiesen nach geographischer Breite und Länge haben sich noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Karten wiedergefunden.
Ihm war bewußt, daß die Seekarten nur so gut sein konnten wie es die Methoden der Ortsbestimmung, besonders der Längenermittlung, erlaubten: "Am dritten und vierten (Juli 1799) fuhren wir über den Theil des Oceans, wo die Karten die Bank des Maalstroms verzeichnen, mit Anbruch der Nacht änderte man den Curs, um einer Gefahr auszuweichen, deren Vorhandensein so zweifelhaft ist, als das der Inseln Fonseco und Santa Anna. Es wäre wohl klüger gewesen, den Kurs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von sogenannten wachenden Klippen ... Die Lage der wirklich gefährlichen Punkte ist meist wie auf Gerathewohl angegeben; sie waren von Schiffern gesehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten, und meist kann man sicher darauf rechnen, keine Klippe zu finden, wenn man den Punkten zusteuert, wo sie auf den Karten angegeben sind (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 192 f., vgl. hierzu in Fußnote S. 192: Befände sich der Maalstrom, nach Von Keulens Angabe, unter 16° Breite und 39°30' Länge, so wären wir am 4. Juli darüber weggefahren).
Bei der Ansteuerung von Cumana konnte HUMBOLDT einige Tage später mit seiner Seeuhr mehrere Korrekturen auf vorhandenen Seekarten anfügen. Auf diesen Beitrag zur Seevermessung und damit Sicherung eines damals vielbefahrenen Schiffahrtswege war HUMBOLDT nicht ohne Grund etwas stolz. HUMBOLDT der Seefahrer: Wir erleben ihn nicht nur als Pionier der Meereskunde, sondern auch als erfahrener Nautiker, beides bisher zu wenig bekannte Aspekte seines vielseitigen Wirkens. "Am 15. Morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66°1'55'' der Länge befanden, waren wir noch nicht in dem Meridian der Insel St. Margarita ... Die Küsten der Terra Firma wurden vor Fidalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufügen, vor meinen astronomischen Beobachtungen in Cumana, so unrichtig gezeichnet, daß für die Schiffahrt daraus hätten Gefahren erwachsen können ... Küsten, aus der Ferne gesehen, verhalten sich wie Wolken, in denen jeder Beobachter die Gegenstände erblickt, die seine Einbildungskraft beschäftigen." (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 210 und S. 212).
Wiederum ist es ein Brief an den Astronomen von ZACH, vom September 1799, aus dem wir weitere Einzelheiten über den Einsatz des Chronometers bei HUMBOLDTs nautisch-kartographischen Arbeiten an der Küste von Venezuela erfahren (MOHEIT 1992, S. 212). HUMB OLDT überprüfte über einen Monat lang in Venezuela den Gang seines Chronometes durch korrespondierende Sonnenhöhen, die er mit seinem BIRDschen Quadranten nahm, und stellte fest, dass seine Längenuhr maximal in diesem Zeitraum um 1,5 sec abwich. In dem Brief erwähnt HUMBOLDT ferner, dass sein Chronometer auf die mittlere Zeit von Madrid eingestellt war und somit alle von ihm bestimmten Längen mit 24 8" Meridiandifferenz auf Paris bezogen werden müssen. Dieser Hinweis ist insofern wichtig, als die Länge von Madrid vor HUMBOLDTs Ausreise zwar von ihm selbst ermittelt wurde, der spanische Geodät José CHAIX aber erst den Auftrag erhalten hatte, die geographische Länge und Breite der spanischen Hauptstadt mit exakten astronomischen Methoden festzulegen. Diese "offizielle" Bestätigung seiner eigenen Beobachtungen lagen HUMBOLDT mithin noch nicht vor, er war aber darauf vorbereitet, seine zahlreichen amerikanischen Längenbestimmungen entsprechend zu korrigieren. In dem erwähnten Bericht an von ZACH fällt HUMBOLDT seine Längenberechnungen für Cumana, das Nordostkap von Tobago, Cabo Macanao auf der Insel Margarita, Punta Araya, die Insel Coche, Boca del Dragon und Cabo de tres puntas mit. Im wesentlichen stimmten HUMBOLDTs Längen recht gut mit den kartographischen Arbeiten der spanischen Marineoffiziere Joaquin FIDALGO und Cosime Damian CHURRUCA überein, die seit 1791 die Küsten Venezuelas und den Antilleninseln vermessen hatten. Dies gilt auch für Cartagena, dessen Länge HUMBOLDT im April 1801 mit seiner BERTHOUD-Uhr festlegte. Die HUMBOLDT bei der Ankunft an der Küste von Terra Firma vorliegende Seekarte von 1792 war jedenfalls fehlerhaft oder ungenau (vgl. hierzu auch HUMBOLDT/BONPLANDT 1815, S. 329, Fußnote 2). In dem erwähnten Brief heißt es hierzu:
"Wir selbst sind mit unserer königlichen Fregatte"Pizarro" in diese Gefahr geraten, indem wir der neuen Seekarte des atlantischen Ozeans aus dem Jahre 1792 folgten, welche sonst in anderen Teilen recht gut und allgemein im Gebrauch ist. Diese Karte setzt z.B. die Insel Tobago westlich von Trinidad (Punta de la Galera), da sie doch östlich davon liegt. Dumaná liegt darauf in 9° 52 nördlicher Breite, also über einen halben Grad falsch und zu weit nach Süden. Das westliche Vorgebirge von der Insel Margarita liegt da, wo das östliche liegen sollte usw. Nichts ist indessen den Seefahrern wichtiger als die richtige Lage von der Punta de la Galera auf Trinidad und von Tobago, denn das erste Land von Amerika, das die aus Europa kommenden und nach Caracas und den Inseln unter dem Wind bestimmten Schiffe zu Gesicht bekommen, sind diese Inseln. Das geringste Versehen kann sie den Kanal zwischen Trinidad und Tobago verfehlen lassen und sie in die Boca del Dragon führen" (MOHEIT 1992, S. 212).
Details dieser astronomischen und chronometrisch-kartographischen Vermessungsarbeiten an den Küsten von Paria finden sich ferner wiederum in den entsprechenden Tagebucheintragungen für den 14. Juli in der Ausgabe von FAAK (2000, S. 111-113). Mit gleicher Sorgfalt und Routine erfolgten die Angaben während der Karibikfahrten und HUMBOLDTs Pazifikreise von Peru nach Mexiko, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.