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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     II, 3 (2001)
 
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Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde

 

6. Chronometer-Arbeiten in Südfrankreich und Spanien vor der Ausreise

Betrachten wir nunmehr den praktischen Einsatz der Uhr von BERTHOUD durch HUMBOLDT und einige mit diesem Zeitmesser erzielten wissenschaftlichen und kartographischen Ergebnisse. Als Grundlage dient zunächst seine Reisebeschreibung in der deutschen Ausgabe durch HAUFF.

Über die Umstände und den Verlauf der Anreise von Paris nach dem nordspanischen Hafen La Corunna berichtet HUMBOLDT in dem ersten Band der Reisebeschreibung nur kursorisch in der Einleitung. Wir wissen hierüber aber mehr durch einige Briefe, die HUMBOLDT aus Madrid und kurz vor der Abreise aus Corunna schrieb und die JAHN und LANGE (1973) verdienstvollerweise erneut als letzte der Jugendbriefe zugänglich gemacht haben.

HUMBOLDT hielt sich, von Salzburg über Straßburg kommend, vom 24. April bis zum 20. Oktober 1798 in Paris auf und nahm, wie bereits dargestellt, unverzüglich intensive Kontakte zu den Gelehrten des Institut de France bzw. der Académie des Sciences auf.

Was nun die BERTHOUD-Uhr und HUMBOLDTs wissenschaftliches Verhältnis zu BORDA anbelangt, ergeben sich aus einem erhaltenen Brief wesentliche nähere Einzelheiten aus einem sehr langen Briefbericht über die astronomischen Instrumente und Arbeiten, den HUMBOLDT am 12.5.1799 an den Astronomen Franz Xavier von ZACH abfaßt. Freiherr von ZACH, der 1754 in Pressburg geboren wurde und 1832 in Paris verstarb, war 1786 in den Dienst des Herzogs Ernst von Sachsen-Gotha getreten und war bis 1806 Direktor der seinerzeit berühmten Sternwarte auf dem Seeberg bei Gotha.

Das epistolarische Vermächtnis HUMBOLDTs ist auch in dem hier interessierenden Zusammenhang unerschöpflich, zugleich ergeben sich aus dieser Quelle auch wesentliche Gesichtspunkte zum Plan der großen Reise. Der Brief, der eigentlich eher ein Tätigkeitsbericht ist, findet sich unter der Nr. 475 bei JAHN und LANGE (1973, S. 667-676).

Es folgen hier einige kurze Auszüge:

"....Ich fange mit meinen Beobachtungen über Inclination der Magnet-Nadel an. Das Instrument, dessen ich mich bediene, ist der Inclinations-Compaß, den BORDA angegeben und LE NOIR für das Bureau des Longitudes in Paris ausgeführt hat. Das Bureau hat die Gefälligkeit gehabt, es mir bey meiner Abreise von Paris abzutreten. Der Azimut-Zirkel hat 0,5 Mètre im Durchmesser, die Nadel 0,3 Mètre Länge. BORDA betrachtete dieß Instrument als das erste, das uns sichere Inclinationen angeben würde....

Meinem Vorhaben treu, die heiße Zone zu besuchen, habe ich mich nach Spanien gewandt, und eben erhalte ich von der hiesigen Regierung die Erlaubniß, Mexico, Peru, Chili und die Philippinen durchreisen zu dürfen. Ehe ich Ihnen daher aus der andern Halbkugel Beobachtungen senden kann, erlauben Sie mir, Ihnen diejenigen zu schicken, welche ich im mittäglichen Frankreich und im östlichen Spanien angestellt habe...." Es folgt zunächst die Mitteilung von Inclinationsmessungen, die HUMBOLDT mit BORDA in Paris anstellte und die mit denen der französischen Nationalsternwarte verglichen werden. Das im Brief zunächst erwähnte und HUMBOLDT für seine Expedition "abgetretene" geomagnetische Instrument wird ausführlich in seinem Gebrauch beschrieben. Es ist nicht auszuschließen, daß das Bureau des Longitudes im Rahmen der "Abtretung" des "BORDA’ischen Compaßes" HUMBOLDT auch das Chronometer von BERTHOUD überlassen hat, denn zur Verwendung des Geräts als magnetischer Intensitätsmesser war eine Präzisionsuhr notwendig. Beide Instrumente bildeten also, wie unten weiter von HUMBOLDT ausgeführt, wissenschaftlich eine Einheit.

Interessanterweise führt HUMBOLDT auch die geomagnetischen Ergebnisse mit diesem Instrument für Marseille auf, die von THUILIS und BLANCPLAIN bezüglich der Inklination der Magnetnadel erzielt wurden. Jacques Joseph Claude THUILIS (1748-1810) war 1789-1793 zunächst Adjunkt, dann Direktor des Observatoire de la Marine in Marseille, wo sich HUMBOLDT vom 27. Oktober bis zum Dezember 1798 in Erwartung einer Überfahrtmöglichkeit nach Nordafrika aufhielt. Bereits am dritten Tag ist er nach einer meeresbiologischen Strandexkursion erstmals auf dem Observatorium und notiert in seinem Tagebuch (FAAK 2001, S. 45 f):

"30sten. Eine Herborisation an der Küste. Viel Fuci. Den Mittag zu Herrn Tuilis, dem Direktor der Seesternwarte. 31ten. Ich beobachte mit großer Genauigkeit die Inclination der Magnetnadel. Dann zu Tuilis. Er bildete mir durch falsche Rechnung ein, mein Chronometer habe 1'48" variiert. Das ließ mich sehr unruhig schlafen.

2. November: Morgens bei Tuilis auf der Sternwarte. Dort ein Perruguier, der jetzt Professor einer Seeschule ist, .... der ein Schiff ohne zu Landen von Isle de France nach Martinique geführt. Er versicherte, sich mit einem hölzernen Sextanten die Länge bis auf 1" zu bestimmen ...

4. -9. November: ... Alle Mittag nahm ich Sonnenhöhen ... , mit Barthés (Place de la Liberté), einem Uhrmacher, den Tuilis zum Mechanicus gebildet, brachte ich den Theodolit wiederum zu Stande... "

"Um die Stärke der magnetischen Kraft, das heißt, ihre Intensität zu messen, bediente ich mich ehedem des Saussure’schen Magnetometers, eines in Hinsicht des Transportes äußerst zarten Instruments. Borda hatte mir geraten, mich der Oscillationen der Neigungs-Nadel als eines Magnetometers zu bedienen. Er war sehr neugierig, die Geschwindigkeiten dieser Oszillationen in verschiedenen Breiten zu wissen, für die Beobachtungen, die er während der Entrecasteau’schen See-Reise zu machen gerathen hatte, die ihm nie zu Gesicht gekommen waren. Ich habe mit großer Sorgfalt die Oscillationen der in den Magnet-Meridian gestellten Nadel mit dem Gange eines Berthoud’ischen Chronometers verglichen. Diese Oscillations-Geschwindigkeiten sind so gleichförmig, daß wenn beyde Personen, deren eine die Nadel, die andere den Chronometer beobachtet, genau sind, sie nicht um 0,2 voneinander abweichen. Die Zahl dieser Oszillationen war in 10 Minuten zu Paris 245, zu Marseille 240,...zu Valenzia 235....

Obgleich die Gegenden, die ich bis jetzt durchreiste, für astronomische Geographie nicht viel Merkwürdigkeiten darbieten, so glaube ich doch, Ihnen einen kleinen Auszug meiner Arbeiten liefern zu können. Ich habe die Sonne und die Sterne erster Größe so oft beobachtet, als die Umstände mir es haben erlauben wollen, mehr als 28mahl von meiner Abreise von Barcelona vom 9.1.1799 bis zum 9.2., als ich Valenzia verließ....Meine Hülfsmittel zu diesen Beobachtungen sind zwey Chronometer, einer von Louis Berthoud, der andere von Seyffert in Dresden, ein achtzolliger Theodolit von Hurter et Haas, ein Reflections-Zirkel von Borda, ein Dolland’isches 94 bis 114 mal vergrößerndes Fernrohr, und ein anderes von Carroche. Der Berthoud’ische Zeithalter ist äußerst genau. Er ist, als er mit den Sternen im Passage-Instrument von Marseille verglichen ward, vorgeeilt."

Es folgt eine Tabelle mit 13 Daten für die Zeit vom 3.11.-9.12.1798, die für den Zeitraum von einem Tag oder für mehrere Tage den Gang des Chronometers gegenüber der astronomischen "Himmelsuhr" der Sterne exakt dokumentiert. Somit kannte HUMBOLDT die Ganggenauigkeit und konnte entsprechende Korrekturen anbringen. Er kalibrierte also seinen Zeitmesser durch andere ihm gut vertraute Methoden zur Bestimmung der geographischen Länge.

"Seit Mitte Januar 1799, oder seit der Hitze von Valenzia hat er angefangen, zurückzubleiben, aber nicht weniger regelmäßig. Die mittlere Vorrückung über die mittlere Zeit ist daher 1,''5. Der Chronometer ist während dieser Zeit getragen worden, und die Temperatur hat 15°R. variiert. Ohnerachtet der Stöße der Diligence habe ich die Länge von Marseille 12’25'',4 bestimmt, da Méchain sie 12'14'' gefunden hat. Derselbe Chronometer hat mir den Längen-Unterschied von Barcelona und Pepignan zu 2'34'' angegeben. Méchain gibt Perpignan 2'14''O., Barcelona 0’'33''W. an; der Unterschied ist daher 2'47''. Aber zu Barcelona war ich auch um 2 oder 3'' in der Zeit ungewiß. Ich führe Ihnen diese Beobachtungen nicht an, um durch meine kleine Bemühungen Méchain’s Arbeiten bestätigen zu wollen, sondern nur um Ihnen etwas Vertrauen gegen meine Instrumente einzuflößen. Mein Seyffert’scher Chronometer, der nur zur Hälfte auf Diamanten geht, ist bis auf 4 bis 5'' täglich genau. Er kann mir daher freylich nicht zur Längen-Bestimmung dienen; aber doch um die Zeit vom Mittag bis zur nächsten Nacht zu übertragen. Wenn man ihn nicht bewegt, so variiert er oft um keine 2'' in drey bis vier Tagen."

Der in diesem auch andere Instrumente beschreibende Brief erwähnte Pierre Francois André MÉCHAIN (1744-1804) war ab 1772 hydrographischer Astronom bei dem Land- und Seekartenarchiv in Versailles und gab von 1786-1794 die "Connaissance des Temps" heraus (JAHN und LANGE 1973, S. 794). HUMBOLDT hat ihn vor seiner Ausreise in Paris kennengelernt. Die in dessen Tabellenwerk gegebenen topographischen Koordinanten verbesserte er mehrfach: "Die Breite der Marseiller Sternwarte ist nicht, wie in Connoiss. des Temps VII, S. 461 steht, 43°17'43'', sondern 49''. Zwey Beobachtungen des ersten und zweyten Jupiter-Trabanten haben mir die Länge 12'39'', selbst 13'2'' gegeben; aber ich war damals in dieser Art Beobachtungen viel zu wenig geübt". Dies ist eine bescheidene Untertreibung, wie die zahlreichen terrestrischen und nautischen Ortsbestimmungen sowie astronomischen Beobachtungen HUMBOLDTs zeigen, auf die besonders auch schon ausführlicher BRUHNS in seiner dreibändigen wissenschaftlichen Biographie (1872) unter Hinzuziehung der von OLTMANN in Band XVII des Reisewerks aufgearbeiteten Ergebnisse der Expedition einging. Auf die anderen von HUMBOLDT benutzten Instrumente und Methoden der Breitenbestimmung soll hier nicht weiter eingegangen werden, sein Chronometer war aber bei jeder Beobachtung dabei. HUMBOLDT war ein exakter Beobachter und offensichtlich ein Liebhaber wissenschaftlicher Instrumente allgemein. Diese Freude im Umgang mit ihnen zeigt sich immer wieder im Tagebuch, der Reisebeschreibung allgemein und den Instrumentenbeschreibungen in der französischen Originalausgabe sowie in dem hier ausgewerteten Bericht aus Madrid an ZACH. Er begeisterte sich selbst: "Von meinen Reflexions-Instrumenten ist der zehnzöllige Ramsden’sche Sextant das schönste...."(JAHN und LANGE 1973, S. 672).

Alexander von HUMBOLDT vereinigte mit seinem interdisziplinären und vernetzten Gesamtansatz in sich nicht nur eine ganze Akademie, sondern war während seiner Reise zu Lande und zu Wasser auch ein gut ausgestattetes ambulantes Observatorium. Wo immer er hinkam, packte er seine Instrumente aus und bestimmte zunächst die Position. Kaum in Madrid angekommen, begann er mit dieser Routinehandlung.

"Am 4. April fing ich meine Beobachtungen zu Madrid an, in dem Palast des Herzogs von Infantado, 200 Toisen südwärts von der Plaza major. Meine ersten Beobachtungen gaben mir die Breite im Mittel 40°24'42''.... Mein Chronometer hat mir die Länge gegeben 24'34''. ....Das ist das Wenige, daß ich Ihnen in diesem Augenblick schicken kann. Ich reise in drei Tagen für die Havanna und Mexico ab, und werde dort fleißig mit meinen Bird’ischen Quadranten beobachten...." schließt diese längere instrumentenkundliche Mitteilung an den Gothaer Astronomen von ZACH vom 12.5.1799. Die große Reise konnte beginnen, und es ist nicht verwunderlich, daß HUMBOLDT seine in Südfrankreich und Spanien bewiesenen Fertigkeiten auf die Nautik übertrug.

 

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