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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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II,
3 (2001)
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Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde
5. Die BERTHOUDs und andere Chronometermacher
Die BERTHOUDs waren eine Schweizer Uhrmacherfamilie. Das von HUMBOLDT genutzte Gerät mit der Seriennummer 27 war älter als die bei SEEBERGER 1999 im Ausstellungskatalog abgebildete Uhr (Baujahr 1799), aber wohl ähnlich und mit einem großen Sekundenziffernblatt und einer dezentralen Stunden- und Minutenanzeige versehen. Es ist nicht überliefert, aber auch nicht auszuschließen, daß HUMBOLDT den Erbauer seiner Uhr vor seiner Ausreise oder nach seiner Rückkehr in Paris persönlich kennengelernt hat. Man kann sich aber gut vorstellen, daß HUMBOLDT ihm die Uhr nach fünfjährigem Übersee-Einsatz zur Wartung und Pflege für einige Zeit in dessen Werkstatt überlassen hat, da er nachweislich Kontakte zu französischen Marinebehörden pflegte. Für diese arbeitete der Uhrmacher mit dem Auftrag, die Flotte mit präzisen Chronometern auszurüsten.
Louis BERTHOUD wurde 1753 in Neuchâtel geboren und starb 1813 in Argenteuil. Er wurde in der Werkstatt seines Onkels in Paris ausgebildet und übernahm diese nach dessen Tod. 1804 beteiligte er sich an der Gründung der ersten Uhrmacherschule in Paris. Louis BERTHOUD fertigte viele ausgezeichnete Marine- und Taschenchronometer (v. OSTERHAUSEN 1999, S. 35).
HUMBOLDTs Chronometer muß einer der ersten Zeitmesser aus der Fertigung dieses Meisters gewesen sein, denn seine von BORDA überlassene Uhr war signiert mit der Baunummer 27. In dem Standardwerk über Taschenuhren von MEIS (1999, S. 234, Nr. 541) ist ein Taschenchronometer von Louis BERTHOUD mit der Nr. 2320, Paris um 1813, abgebildet und beschrieben. Eine so große Stückzahl kann aber unmöglich von einem einzelnen Uhrmacher zusammengebaut werden, und es ist davon auszugehen, daß die Modelle, wie im Schweizer Uhrengebiet um den Ort Le Locle, der berühmt für seine Präzisionschronometer wurde, in einem arbeitstätigen Produktionssystem unter Einbeziehung von mehreren kleinen Handwerksbetrieben oder Heimwerkstätten gefertigt wurden (vgl. v. OSTERHAUSEN 2000, S. 19).
Jedenfalls waren die für die französische Marine ausgelieferten Längenuhren dieser Provenienz berühmt und auch in England, dem klassischen Land der Marinechronometer, anerkannt.
Für die französische Marine arbeitete bereits der Onkel von Louis, Ferdinand BERTHOUD, der 1727 in der Nähe von Neuchâtel in der Schweiz geboren wurde und von 1745 bis zu seinem Lebensende 1807 in Paris lebte. F. BERTHOUD gelang mit der Erfindung der Chronometerhemmung eine wesentliche Verbesserung der Ganggenauigkeit der von Pierre LE ROY gefertigten französischen Seeuhren, wofür er in das Institute de France und die Royal Society in London aufgenommen wurde, eine sehr große Ehrung für einen Handwerker. Auch HARRISON wurde die letztgenannte Auszeichnung in London schließlich zuteil.
In Callwey's Uhren Lexikon (v. OSTERHAUSEN 1999, S.35) findet sich u.a. auch eine nähere Würdigung von Ferdinand BERTHOUD als bedeutender Chronometermacher und -pionier. Er lernte das Uhrmacherhandwerk bei seinem Bruder und bei VAUCHET in Fleurier. 1745 ging er nach Paris und arbeitete wahrscheinlich bei Julien Le Roy. Er wurde 1745 Meister. Bereits seit 1756 spezialisierte er sich auf den Bau von Präzisionsuhren und entwickelte um 1771 eigenständig die Chronometerhemmung mit Wippe und Federaufzug. Ein Jahr zuvor wurde er zum "Horloger mécanicien du Roi et de la Marine" ernannt. 1763 und 1766 wurde er nach England geschickt, um die Geheimnisse der HARRISON-Uhr H4 zu erkunden.
Ferdinand BERTHOUD schrieb auch mehrere wissenschaftlich-technische Abhandlungen (Essai sur l'horlogerie 1786, Traite des horloges marines 1773, Histoire de la measure du temps par les horloges (2 Bde. 1802).
Insgesamt erscheint nach dieser Kurzbiographie das Werk von F. BERTHOUD nach seiner Herkunft, seiner Ausbildung und innovativen Ausrichtung eigentlich überzeugender als die Leistung von dem Quereinsteiger John HARRISON in England. Der Erfolg war auch größer, wenn die "Marke" auch heute nicht mehr existiert. Beispielhaft sei nur auf die bei OSTERHAUSEN (1999, S. 35) abgebildete Astronomische Taschenuhr Nr. 3 verwiesen, die von BERTHOUD konstruiert und 1806 von Jean MARTIN gebaut wurde (ähnlich wie Abb. 1 zu diesem Beitrag vom gleichen Hersteller).
ANDREWES kommt im Textteil zu den hervorragend ausgewählten Abbildungen zu SOBEL/ANDREWES (2000, S. 186-187) zu einer ähnlichen Bewertung. Er bezeichnet Ferdinand BERTHOUD als "einen der profiliertesten Uhrmacher und horologischen Autoren aller Zeiten", der bei der Entwicklung der Chronometer mit führend war. Sein Werk zeichne sich aber durch eine zu große Zahl von verschiedenen Entwürfen aus, ohne zu einem fundamentalen Durchbruch zu kommen. Er soll selbst etwa 70 Schiffsuhren hergestellt haben, weitere wurden nach seinen Planvorlagen gefertigt von anderen Handwerkern.
ANDREWES, der als Kurator für historische wissenschaftliche Instrumente der Harvard University 1992 das Symposium "Longitude" in Cambridge (Mass.) organisierte, gilt als Experte auf diesem Gebiet (vgl. ANDREWES 1996).
Hier seien einige Anmerkungen zur früheren Entwicklung der noch heute führenden Uhrenproduktion der Schweiz angeführt. Sie geht zurück auf den Gewerbefleiß und den Geschäftssinn einiger Hugenottenfamilien, die aus Frankreich vertrieben wurden und sich in Genf niederließen. Sie organisierten die Produktion ab etwa 1700 im Fabrique-System, wobei reisende Etablisseure Handwerksbetriebe im Bereich Neuchâtel und bald im gesamten Schweizer Jura einbezogen. In Le Locle, dem Zentrum für Präzisionstaschenuhren war seinerzeit die Hälfte der berufstätigen Bevölkerung in dieser Branche tätig. In der französischsprachigen Schweiz gab es damals sieben Uhrmacherschulen und sogar zwei Observatorien zur astronomischen Kontrolle der Uhren (v. OSTERHAUSEN 2000, S. 19).
Ferdinand BERTHOUD und sein Neffe Louis sind nur deswegen in der Geschichte der Nautik gegenüber dem Autodidakten und zunftfremden John HARRISON (ursprünglich war er Schreiner) aus der Gegend von York weniger bekannt, weil unser maritimes Weltbild eben hauptsächlich angelsächsisch geprägt ist. Aus dem gleichen Grunde werden die Beiträge von FORSTER, HUMBOLDT und anderen frühen Reisenden aus Deutschland und besonders auch aus Frankreich zum Fortschritt der Meereskunde bis heute weniger in der internationalen Fachwelt wahrgenommen (vgl. DEACON 1971 und 1997). Dies betrifft auch die Entwicklung von nautischen Chronometern in Frankreich und ihre See-Erprobungen.
Es war kein geringerer als der uns heute eigentlich nur noch durch seine Science Fiction-Romane gegenwärtige Jules VERNE (1828-1905), der im Rahmen eines seiner vielen populärwissenschaftlichen, aber fundierten Sachbücher zur Entdeckungsgeschichte einen gut lesbaren Überblick über die französischen "Uhren-Reisen" gab, wobei er sich auf die Original-Berichte über diese Erprobungsfahrten stützte (in: Die großen Seefahrer des 18. Jahrhunderts, 1984, Bd. 2, S. 36-41). Diese Zusammenhänge sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Da sowohl BERTHOUD als auch BORDA hierbei involviert waren, sei folgendes zur Vorgeschichte von HUMBOLDTs Chronometer angemerkt:
VERNE bezieht sich auf den Bericht von Verdun de la CRENNE von 1778 und erklärt das nautische Problem, die Länge durch von dem Zustand des Meeres und jedem Wechsel der Temperatur unabhängige isochrone Uhren zu lösen. Hieran arbeiteten Mitte des 18. Jhds. SULLY, HARRISON, DUTERTE, GALLONDE, RIVAS, LE ROY und Ferdinand BERTHOUD. Auch in Frankreich wurden Preise für die Entwicklung einer zuverlässigen und ganggenauen Seeuhr angesetzt. Im Rahmen des ersten von der Akademie der Wissenschaften in Paris veranstalteten förmlichen Preisausschreibens lieferte LE ROY 1765 zwei Chronometer ab, die nach astronomischer Überprüfung tadellos funktionierten. Die See-Erprobung erfolgte auf einer längeren Reise auf der französischen Fregatte "L'Enjouée", die von Le Havre über St. Pierre, Neufundland, und Sale in Afrika sowie Cadiz zurück nach Brest ging und 4 1/2 Monate dauerte. Die Seeuhren funktionierten gut und LE ROY erhielt den Preis. 1771 wurde das Preisausschreiben der Akademie in Paris wiederholt. 1773 wurde das Preisgeld sogar verdoppelt. Auch andere Uhrmacher sollten nun ihre Chance erhalten.
Bereits Ende 1768 hatte der mit F. BERTHOUD und BORDA gut bekannte Claret de FLEURIEU im Hafen von Rochefort die 18-Kanonen-Fregatte "Isis" übernommen, die mit einer Uhr von F. BERTHOUD im November 1768 zu einer einjährigen Vermessungs- und Chronometerreise über Cadiz, die Kanarischen Inseln, zu den Kapverden nach Martinique und Neufundland aufbrach. Mit den neuen Seeuhren wurden wichtige Korrekturen auf den französischen Seekarten durchgeführt und viele Längenfehler auf der Karte des Geographen BELLINs festgestellt. Auf der Fahrt hatte der Kapitän die Prüfung des Chronometers wegen seiner Freundschaft zu BERTHOUD einem seiner Offiziere überlassen. Gerade diese Fahrt macht den engen Zusammenhang von Marinechronometern und Seevermessung deutlich, den wir auch bei HUMBOLDTs eigenen Arbeiten auf See noch kennenlernen werden. HUMBOLDT kannte sich in der zeitgenössischen französischen Reiseliteratur gut aus und nimmt insbesondere auf FLEURIEUs Bericht "Voyage fait par ordre du roi en 1768 et 1769 pour éprouver les horloges marines" mehrfach Bezug (HUMBOLDT/BONPLANDT 1815, S. 104, ferner S. 82, 85, 115, 128, 132 u.a.).
Bisher wurden die Seeuhren von LE ROY und F. BERTHOUD auf verschiedenen Reisen von unterschiedlichen Beobachtern getestet. Die erste gemeinsame Erprobung erfolgte dann unter Teilnahme von BORDA 1786 auf der Fregatte "La Flora" unter Verdun de la CRENNE auf einer Reise von Brest nach Cadiz, Madeira, Teneriffa, Guadeloupe und anderen Antillen nach St. Pierre in Neufundland und Island zurück. Auch auf diese Vermessungsreise und den Bericht von BORDA ("Voyage de la Flore") bezieht sich HUMBOLDT mehrfach (HUMBOLDT/BONPLANDT 1815, S. 112, 127, 131 u.a.).
J. VERNE schließt seinen Überblick über diese französischen Vermessungsfahrten mit dem Zitat aus dem offiziellen Reisebericht der Fahrt auf der "Flora". "Die Uhren bestanden die Probe sehr gut; sie hatten Hitze und Kälte, Unbeweglichkeit und Stöße ausgehalten; mit einem Worte, sie entsprachen den an sie gestellten Erwartungen, verdienten also das volle Vertrauen der Seefahrer und eignen sich vortrefflich zur Bestimmung der geographischen Länge auf offenem Meere (VERNE, 1984, Bd. 2, S. 40-41).
Übrigens: VERNEs fiktives Forschungs-U-Boot "Nautilus" unter Kapitän Nemo verfügte selbstverständlich auch über Seeuhren im Instrumentenraum, allerdings stellte diese der Illustrator in seinem Holzstich als kompakte Wanduhren im Ambiente des Biedermeiers dar. Auf HUMBOLDTs Werke wird in dem maritimen Bestseller "20 000 Meilen unter dem Meer" verschiedentlich hingewiesen. VERNE hat in seiner unerschöpflichen Utopie viele technische Errungenschaften von heute vorweggenommen, aber sein "Nautilus"-Kapitän navigiert mit Sextant und Seeuhr, nicht mit Hilfe von Funkortung durch Satelliten.
In MEIS (1999, S. 288-244, Abb. 523, 569) sind in dessem Standardwerk "Taschenuhren" unter dem Abschnitt Präzisionstaschenchronometer auch zwei von Louis BERTHOUD gefertigte abgebildet und erläutert (S. 234, Nr. 541: mit Serien-Nr. 2320, Baujahr 1813, und 542-43, Nr. 2390). Auch die englischen Konkurrenzerzeugnisse von Thomas EARNSHAW (S. 230, Nr. 530) und besonders John Roger ARNOLD werden beschrieben.
Zur Definition sei noch angemerkt, daß aus einer Taschenuhr ein Taschenchronometer wird, wenn sie einen hochpräzisen Gang aufweist und diese Eigenschaft geprüft und mit einem entsprechenden Prüfzeugnis mit Korrekturangaben versehen wird. Die Größe des Zeitmessers spielt hierbei zunächst keine Rolle. Zumindest nach damaligem Sprachgebrauch war eine kardanische, die Schiffsbewegungen ausgleichende Anbringung in einem Mahagoni-Holzkasten und ein Durchmesser des Ziffernblattes von 10-15 cm nicht notwendig. Die HARRISON-Uhr "H 4", die schließlich das Preisgeld des Board of Longitude erbrachte, war gegenüber den schweren und großdimensionierten "H 1" und "H 3" schon sehr miniaturisiert und hatte ein Ziffernblatt von nur etwa 10 cm Durchmesser. Es bleibt aber festzustellen, daß wir heute im Zeitalter der billigen Digital- und Quarzuhren mit fast derselben Zuverlässigkeit die feinmechanische Kunstfertigkeit der damaligen Uhrmacher nur bewundern können.
Alte klassischen Zeitmesser finden derzeit wieder ein hohes Interesse in Sammlerkreisen. Entsprechend vielseitig sind neuere Veröffentlichungen zu diesem Thema, auf die hier nur hingewiesen werden kann (EDER 1987, MEIS 1990, 1999, MIKLOSCH, 2001, v. OSTERHAUSEN 1999, 2000).
Es ist wohl die Freude an sicht- und hörbarer mechanischer Präzision, die heute im digitalen Zeitalter wieder Wertschätzung erlangt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei eindeutig klassische Marinechronometer und sog. Beobachtungstaschenuhren. Diese waren ursprünglich Taschenuhren für die Seefahrt, mit denen im Ausgangshafen die genaue Zeit von einer ortsfesten Präzisionsuhr zum Schiffschronometer transportiert wurde. Sie wurden auch für den Tagesbetrieb an Bord und für Landexkursionen verwendet und wurden täglich mit dem noch genauer gehenden Schiffschronometer verglichen (vgl. v. OSTERHAUSEN 2000, S. 139). Nach heutiger Definition war die oben bereits beschriebene SEYFFERTsche Uhr von HUMBOLDT ein derartiges Zeitmeßinstrument. Man erkennt diese Beobachtungsuhren an einer gesonderten Anzeige für die Aufzugspannung.
Ferdinand BERTHOUD tauchte 1763 unerwartet mit einer Gruppe führender französischer Horologen in London auf, nachdem sich in Frankreich herumgesprochen hatte, daß es den Engländern nach über Jahrzehnte laufender Bemühungen der Uhrmacherfamilie HARRISON offensichtlich endlich gelungen sei, das Längenproblem mit Präzisionschronometern zu lösen. Nun gewinnt die hier ausgeführte instrumentenkundliche und wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung sogar eine spannende politische Dimension: Der Auftrag der Franzosen war klar: Spionage. Aber John HARRISON schöpfte Verdacht und wies die Besucher ab. "Der alte Uhrmacher, inzwischen verständlicherweise mißtrauisch, schickte die Franzosen fort und bat seine Landsleute, dafür Sorge zu tragen, daß niemand seine Erfindung plagiieren werde. Das Parlament bat er, ihm nochmals 5 000 Pfund zu bewilligen und sich nachdrücklich für den Schutz seiner Rechte einzusetzen...", beschreibt SOBEL in ihrem Roman "Längengrad" (1996, S. 165) diese kritische Situation.
Man vergesse nicht, es war die Zeit vor der Seeschlacht von Trafalgar (1805), die Britannien schließlich über 100 Jahre die unumstrittene Seeherrschaft auf allen Ozeanen brachte. Schließlich mußte man exakte Seekarten haben und genau wissen, wo man ist und wie man schnellstmöglich zu einem bestimmten Punkt kommt. Die britischen Präzisionschronometer waren Grundlage für alle Flotteneinsätze, als strategisch wichtige "Geheimwaffe" durften sie keinesfalls in die Hände des Rivalen gelangen. Insofern ist die finanzielle und persönliche Auseinandersetzung des Board of Longitude mit Vater und Sohn HARRISON um die Zuerkennung des Preises auch aus heutiger Sicht mehr als unwürdig. - Die HARRISONs hatten Gegenspieler und mächtige Feinde in englischen Astronomenkreisen, aber auch in Frankreich hatten die BERTHOUDs Konkurrenten. Es ist überliefert, daß Pierre LE ROY, dessen Vater Julien bereits wie er als "Königlicher Uhrmacher" bestellt war, bereits 1738 in London war, um die erste HARRISON-Uhr "H 1" auszukundschaften, die bei dem Londoner Uhrmacher GRAHAM in dessem Geschäft längere Zeit öffentlich ausgestellt war.
England gilt als das Land der klassischen Marinechronometer. Zur Zeit von HUMBOLDTs Reise nach Amerika war die jahrzehntelange Entwicklung, wie sie von SOBEL/ANDREWES (2000) im einzelnen aufgezeigt wurde, im wesentlichen abgeschlossen. Ausgereifte und auf See erprobte "time keeper" standen zur Verfügung. HUMBOLDT hielt viel von den Londoner Instrumentenmachern, hatte er doch in seiner Ausrüstung u.a. ein Teleskop von DOLLAND, einen Quadranten von John BIRD, einen Spiegelsextanten von Jesse RAMSDEN, einen Taschensextanten von Edward TROUGHTON und insbesondere ein Reisethermometer und Barometer von CARY (vgl. SEEBERGER 1999). Umso erstaunlicher ist es, daß HUMBOLDT sich nicht auch einen englischen Präzisionszeitmesser beschaffte. Er führte auf seiner Reise mehrere Thermometer und Barometer verschiedener Hersteller mit sich, aber nur, von dem SEYFFERTschen Halb-Chronometer abgesehen, eine präzise Längenuhr.
Die Entwicklung der englischen Seeuhren vollzog sich in einem nahezu 50jährigen Prozeß, der im wesentlichen mit den Namen des Chronometerpioniers John HARRISON (1693-1776) verbunden ist. 1714 hatte das britische Parlament in dem Act of Longitude die sehr hohe Geldsumme von 20.000 Pfund Sterling als Preis für denjenigen ausgelobt, der eine Uhr für die Marine entwickeln würde, mit der die geographische Länge chronometrisch auf einen halben Grad bestimmt werden kann. Dies bedeutet, daß die Uhr selbst nach einer sechswöchigen Reise in die Karibik nach Rückkehr nur um zwei Minuten von der mitgenommenen Zeit von Greenwich abweichen durfte, also um zwei Sekunden im täglichen Gang genau sein mußte.
Erst 1773 bekam der 80jährige HARRISON nach jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit für seine "H4" einen Teil des Preisgeldes. Diese hochgenaue Uhr wurde Grundlage der britischen Seeherrschaft. Wesentlich für die Fertigung war einmal die Verwendung von Bimetall zum Ausgleich von Temperaturunterschieden und zum anderen die gleichzeitig und unabhängig in England und Frankreich erfundene Chronometerhemmung. Hierdurch erst konnte die erforderliche Präzision erreicht werden.
Die vierte HARRISON-Uhr (H4) hatte 1761/62 auf einer 147tägigen Versuchsfahrt nach Jamaika und zurück nach England nur eine Minute und 54,5 Sekunden verloren. An der letzten Phase der Chronometerentwicklung in England war bereits der Sohn von John HARRISON, William, beteiligt.
Es ist hier nicht der Ort, die von SOBEL/ANDREWES (2000) in hervorragender Weise dargestellte Entwicklung der englischen "time-keeper" nachzuzeichnen. Hier mögen einige wenige Anmerkungen genügen. Die praktische Taschenuhr-Lösung für präzise Chronometer deutete sich bereits in einer 1753 von John JEFFREYS nach einer Vorlage von John HARRISON gefertigten Uhr mit Temperaturkompensation und einer Kraftreserve für die Zeit des täglichen Aufziehens an.
Die gegenüber ihren Vorgängermodellen überraschend kleine H4 wurde erstmals 1755 in einem Protokoll der Längenkommission in London erwähnt, war aber erst vier Jahre später fertig. Die See-Erprobung fand dann auf einer Fahrt nach Jamaika 1761/62 und auf einer zweiten 1764 nach Barbados statt. Die penibel durchgeführten astronomischen Kontrollen begannen damit, daß die Uhr vor der Ausreise exakt auf die Zeit des Meridians der Marineakademie in der britischen Flottenbasis Portsmouth eingestellt wurde. Die erste Testfahrt ergab, daß die H4 nach 147 Tagen auf See nur 1 Minute 54,5 Sekunden verlor; nach späteren Nachberechnungen von John's Sohn William HARRISON sogar auf der Hinfahrt von 81 Tagen nur 5,1 Sekunden. Auf der Barbados-Testfahrt mit der "Tartar" unter Kapitän Sir John LINDSAY vom 28. März - 31. August 1764 ergab das amtliche Prüfergebnis, daß diese berühmte Uhr in den 156 Tagen nur 54 Sekunden gewann, die Länge von Barbados wurde bis auf 10 Seemeilen genau gefunden.
Auf der ersten Reise (1768-1771) von James COOK (1728-1779) zur Untersuchung des Venus-Durchgangs auf Tahiti im Jahre 1769 verließ man sich nur auf die Methode der Monddistanzen und Jupitermond-Bedeckungen zur Ermittlung der geographischen Länge. Erst auf der zweiten Reise (1772-1775) wurden Chronometer getestet. An dieser Pazifikfahrt nahmen Reinhold und Georg FORSTER teil. An Bord der "Resolution" wurden drei Uhren des Chronometermachers John ARNOLD sowie ein genauer Nachbau der H4 von Larcum KENDALL (genannt K1) mitgeführt. Nach den Eintragungen, die jeden Mittag von COOK in Gegenwart des begleitenden Astronomen William WALES beim Aufziehen der Uhren in das Prüfbuch erfolgten, war die K1 den Modellen von ARNOLD überlegen. WALES schrieb 1794 ein Buch mit dem Titel "The Method of Finding Longitude by Timekeepers".
KENDALLs Uhren verhalfen dann den englischen Chronometern zum Durchbruch. Die zweite Uhr aus seiner Werkstatt, die K2 erlangte ebenfalls besonderen Ruhm: Sie wurde von Kapitän BLIGHT 1789 auf der "Bounty" mitgeführt, verblieb nach der Meuterei aber an Bord und kam auf Umwegen von Pitcairn über einen amerikanischen Walfänger nach Chile und dann 1843 nach England zurück. Dieser elegante Taschenchronometer hatte eine große zentrale Sekundenanzeige und zwei kleinere dezentrale Anzeigen für Stunden und Minuten (Abb. in SOBEL/ANDREWES 2000, S. 188). HUMBOLDT hat übrigens Kapitän William BLIGHT (1754-1817) persönlich bei seinem ersten Besuch in England mit Georg FORSTER im Juni 1790 im Umfeld des englischen Naturforschers und Forschungsreisenden Sir Joseph BANKS (1743-1820) kennengelernt. Dieser hatte James COOK auf dessen ersten Reise nach Tahiti begleitet. HUMBOLDT schrieb am 27.6.1790 aus London an Paul USTERI lapidar "Ich habe den BLIGHT hier öfter bei BANKS gesprochen." (JAHN/LANGE 1973, S. 98). Die "wundersame Rettung des Lieutenant William BLIGHT" nach der Meuterei war damals Tagesgespräch in London. HUMBOLDT war bei seinen besonderen Interessen für Pflanzengeographie über die Hintergründe der "Bounty"-Reise wohl informiert: "Die Bounty wurde ausgeschickt, um Brodbäume in der Südsee zu sammeln und sie nach Westindien zu bringen. Nie schien eine wohlthätige Absicht glücklicher erfüllt zu werden als diese. Mr. Blight, als er am 4. April 1789 von Otaheiti absegelte, hatte 1015 Brodbäume ... am Borde." (JAHN/LANGE 1973, S. 97).
Wir sehen also, daß HUMBOLDT anfangs durchaus auch Kontakte zu englischen Marinekreisen und naturwissenschaftlich interessierten Seefahrern suchte und fand, Georg FORSTER war durch seine Teilnahme an der zweiten Reise von COOK der beste Vermittler. Später setzte er dann aber auf die französische "Karte"- und auch Chronometer.
Obwohl seine drei Seeuhren auf COOKs zweiter Reise weniger gut abschnitten, wurden die zahlreichen von John ARNOLD (1753-1799) gefertigten Chronometer (insgesamt sollen es über 1000 Stück gewesen sein) ab Baunummer 36 nach Verbesserungen in Uhrwerk und genauer Prüfungen auf der Sternwarte von Greenwich zum Standard, zumal die Produktionskosten und Bauzeit von ihm durch verbesserte Fertigungsmethoden erheblich gesenkt werden konnten.
Für die weitere Verbreitung von preisgünstigen Taschenchronometern sorgte in England auch Thomas EARNSHAW (1749-1829). Dieser Uhrmacher konnte seinerzeit den britischen Längengradpreis von 1774 leider nicht gewinnen, erst 1805 wurden ihm für seine Bemühungen mit Unterstützung des Königlichen Astronomen Nevil MASKELYNE 3000 Pfund zugesprochen, eine gleichhohe Summe ging an die Erben von John ARNOLD.
Die soliden EARNSHAW-Uhren verbreiteten sich schnell in Kreisen der Schiffahrt. Sie kosteten nur noch 65 Guineen. Jetzt wurde eine Aufbewahrung in abschließbaren Holzkästchen bei kardanischer Aufhängig üblich.
HUMBOLDT benutzte, wie bereits erwähnt, einen EARNSHAW-Chronometer auf seiner Reise nach Sibirien 1829, neben einer Breguet.
1860 verfügte die Britische Admiralität über 800 geeichte Chronometer zur nautischen Ausrüstung ihrer Flotte. Diese Zeitmesser waren Grundlage der hervorragenden englischen Seevermessung.
Die HARRISON-Uhren waren mithin Unikate und gelangten nie zur Serienreife. Sie begründeten aber die Fertigungen in den Werkstätten von John ARNOLD und Sohn Roger von Thomas EARNSHAW, der Gebrüder BROCKBANK und von Larcum KENDALL, um nur die wichtigsten Namen aufzuführen. Die englischen Präzisionschronometer wurden Grundlage der über 100 Jahre währenden englischen Seeherrschaft (nähere Einzelheiten bei SOBEL/ANDREWES 2000).
Immerhin, auch die Franzosen bauten schließlich durch die Einführung der Chrometerhemmung ausgezeichnete Chronometer und griffen hierbei auf das traditionsreiche Uhrmachergewerbe der westlichen Schweiz zurück. Hiervon profitierte, wie oben ausgeführt, auch HUMBOLDT. Er hatte zwar keine HARRISON, aber immerhin eine BERTHOUD. Allerdings erfahren wir in einer einleitenden Bemerkung zur berühmten Liste der physikalischen und astronomischen Instrumente, die HUMBOLDT seit 1797 für seine Reise gesammelt hatte, dass er sich ein englisches Chronometer nach Amerika nachschicken lassen wollte. "Ich verlangte vergeblich nach unserer Rückkehr vom Oronoco, dass man ihn [d.h. den meteorologischen Apparat, den HUMBOLDT in Marseille zurückgelassen hatte] mir nach der Havana schicke; weder dieser Apparat, noch die achromatischen Fernröhren und das Chronometer von Arnold, die ich von London verschrieben hatte, kamen mir nach Amerika zu" (HUMBOLDT/BONPLANDT 1815, S. 74).