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Eberhard Knobloch
Berlin-Brandenburgische Akademie der WissenschaftenErkundung und Erforschung
Alexander von Humboldts AmerikareiseFrau Dr. Margot Faak zu ihrem 80. Geburtstag gewidmet.
5. Die Auswertung
Noch während der Reise hat Humboldt damit begonnen, seine Untersuchungen auszuwerten oder deren Auswertung wenigstens vorzubereiten. Immer wieder fügte er kleine, oft unfertig gebliebene Abhandlungen in sein Tagebuch ein. Wie mir denn das Unausgeführte, mehr noch das Unausführbare ein Charakteristikum des Humboldtschen Schaffens zu sein scheint.
Die Veröffentlichung des Fragment gebliebenen, 29 Bände umfassenden Reisewerks in Paris kostete Humboldt sein restliches Vermögen: ein Gemeinschaftswerk, an dem Georges Cuvier, Pierre André Latreille, Karl Sigismund Kunth, Jabbo Oltmanns, Achille Valenciennes beteiligt waren. Später hat Humboldt höchst unzufrieden gegenüber seinem Verleger Johann Georg von Cotta über dessen Rezeption in Deutschland geklagt (Humboldt an Cotta vom 20.9.1847; s. Leitner 1995, 20):
„Das beste, was ich in meiner amerikanischen Reise geliefert, hat nie Leben in Deutschland gehabt, weil ich leider nicht deutsch geschrieben, schlecht übersezt worden bin und weil die lebendigere Naturbeschreibung nicht von rein wissenschaftlichen und langweilig statistischen Elementen getrennt worden ist.“
Es ist derselbe Cotta, dem der greise Humboldt gesteht, er habe nur drei Verdienste: die Begründung der Pflanzengeographie, die Theorie der Isothermen und die Beobachtungen zum Geomagnetismus (Knobloch 2006, 120f.).
Tatsächlich hat Humboldt sein Reisewerk mit dem «Essai sur la géographie des plantes» in Paris 1805-1807 eröffnet. Die deutsche Fassung erschien 1807 unter dem Titel „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen“, eine Übersetzung, die von zeitgenössischen Veröffentlichungen Kants, Herders und Wilhelm von Humboldts angeregt war (Beck in Humboldt 1807, 298).
Er hat die erste Skizze dieser Arbeit in Guayaquil im Februar 1803 entworfen, manches am Fuße des Chimborazo niedergeschrieben, eine Programmschrift, die die Hauptresultate der von ihm beobachteten Erscheinungen in ein allgemeines Bild zusammenfasste, ein Naturgemälde, das nur allgemeine Ansichten, sichere und durch Zahlen auszudrückende Tatsachen aufstellen sollte (Humboldt 1807, 43f.): die Metapher der Optik ist bei Humboldt allgegenwärtig (Knobloch 2004, 13; Knobloch 2005, 13).
Er habe der empirischen Naturforschung treu die mannigfaltigen Erscheinungen mehr nebeneinander aufgezählt, als, eindringend in die Natur der Dinge, sie in ihrem inneren Zusammenwirken geschildert. Sein Naturgemälde der Tropenländer umfasse alle physikalischen Erscheinungen, welche die Oberfläche der Erde und die Atmosphäre zwischen dem 10. Grad nördlicher und 10. Grad südlicher Breite darbiete (Humboldt 1807, 74): ein west-östlicher Schnitt durch die Anden.
Abb. 3. «Tableau des Régions équinoxiales» (Humboldt 1807, Kopie nach Expl. der A. . v. Humboldt-Forschungsstelle Berlin).
Denn der Empiriker zähle und messe, was die Erscheinungen unmittelbar darböten (Humboldt 1807, 102). So knüpfen alle Erscheinungen an die Idee von Messung und Höhe an: Luftwärme, Luftdruck, Feuchtigkeit der Atmosphäre, Elektrischer Zustand der Luft, Himmelsbläue usf. Es folgen elf weitere Kategorien, darunter Verbreitung der Tiere, nach der Höhe ihres Wohnorts betrachtet.
Eine skalierte, extreme Verdichtung von maß- und zahlabhängigen Informationen, Beobachtungen mit dem Ziel, durch solche und ähnliche Visualisierungen empirische Gesetze abzuleiten. Humboldt hat im «Examen critique de l’histoire de la géographie» (Humboldt 1836/37 I, XXII; 1836, 15) betont, dass die Verbindung (la combinaison) von neuen und allgemeinen bekannten Tatsachen zu neuen Wahrnehmungen führt. Kombinatorik verfügt über Inventionskraft: ein Gedanke, der durchaus und nicht zufällig an die horazischen Worte erinnert, die 1751 dem ersten Band der «Encyclopédie française» als Motto vorangestellt wurden (Horaz, Ars poetica 242f.):
Tantum series juncturaque pollet
Tantum de medio sumptis accedit honoris.Soviel vermögen Reihung und Verbindung,
Soviel gewinnt das aus der Mitte Genommene an Ehre.Die mathematische Formulierung funktionaler Abhängigkeiten, von Theorien war seine Sache nicht, so wenig wie er angeblich in Instrumenten Theorien sah, die die Form von Werkzeugen angenommen hatten (Lepenies 2001, 8). Wenn man will, ein Tycho de Brahe, der eines Kepler bedurfte. Auch wenn er im Falle seiner Isothermen auf Joseph Fourier verwies (Knobloch 2006, 119), im Falle des Geomagnetismus meinte, Gauß angeregt zu haben: weder der eine noch der andere führte seine mathematische Theorie auf Humboldt zurück, eine Tatsache, die Gauß ihm unverblümt vorhielt.
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