HiN - Humboldt im Netz

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Krzysztof Zielnica

Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und
Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen
Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts

7. Begegnung nach 30 Jahren

Während seines Aufenthalts in Moskau hatte Alexander von Humboldt Karolina Jaenisch eingeladen, ihn in Berlin zu besuchen. Diese Begegnung kam aber erst im Jahre 1858 zustande. Varnhagen von Ense hat dies Geschehen in seinem Tagebuch so registriert:

Donnerstag, den 20. Mai 1858.
Besuch bei Frau von Pawloff in British Hotel. Eigenthümliche, reichbegabte Frau, geistvolle, kräftige Lebhaftigkeit, spricht männlich. Sie reist nach Moskau um ihre 1800 Bauern freizulassen, sie will ihnen Land geben ohne Entgelt, sie denkt freisinnig, revolutionair, und will auch so handeln [...]. Sie hat einen Empfehlungsbrief an mich von Humboldt, vor zwei Jahren geschrieben, fand mich aber damals nicht in Berlin. Sie spricht und schreibt viele Sprachen, sie hat Europa bereist, war lange in Konstantinopel. Sie dringt in uns, wir sollen sie zu Humboldt  begleiten, den wir aber nicht zu Hause treffen. Dafür zeigt uns Herr Seifert bereitwillig die Wohnung, die Büsten, die Bilder, die Prachtbücher [...]
Abends nach 8 Uhr kam Frau von Pawloff zum Thee. Sie erzählte uns die unterhaltendsten Geschichten, gab uns die lebendigsten Schilderungen des russischen Volks, von dem sie sehr gut denkt, dasselbe sei nicht knechtisch, es habe vielmehr unter dem härtesten Druck ein tiefes Freiheitsgefühl bewahrt, dabei die frömmste Geduld, die zäheste Ausdauer, den eisernsten Muth. Sie erzählt merkwürdige, erschütternde Züge davon. Wir bedauerten, daß Pfuel dies nicht mit uns hörte. Schöne Anekdoten von Puschkin, Lermontoff, Gogol, Baratinsky, Chomäkoff, strenge Urtheile über leichtere litterarische Sachen. Lob Granofskii’s und Sergius Raczinsky’s. Frau von Pawloff war einst die Braut von Mickiewitsch, rettete ihn aus Rußland vor dem Ausbruche der polnischen Revolution, beweint noch heute seinen frühen Tod; sie sagt Mickiewitsch sei ein Jude gewesen. Sie nahm Abschied und ging gegen 11 Uhr fort, auf Wiedersehen im September! Eine begabte, tapfre, werthe Frau!
[1]

 

HiN | K. Zielnica "Alexander von Humboldt und Karl August Varnhagen von Ense (H. Klencke: Alexander von Humboldt’s Leben und Wirken und Wissen. 7. Aufl., Leipzig 1876)"

Abb. 8    

Alexander von Humboldt und Karl August Varnhagen von Ense (H. Klencke: Alexander von Humboldt’s Leben und Wirken und Wissen. 7. Aufl., Leipzig 1876)

Als Humboldt seine Freundin aus Moskauer Tagen nach fast 30 Jahren in Berlin wiedersah, begrüßte er sie mit folgenden Worten: „Gnädige Frau, Sie werden zugeben, daß ich zu Ihnen liebenswürdig war: ich wartete auf Sie dreißig Jahre; ein anderer wäre an meiner Stelle längst gestorben.” [2]

Da Karolina Pavlovas Nachlaß bisher nicht gefunden worden ist, bleibt auch ihr Briefwechsel mit Humboldt unzugänglich. Bekannt geworden ist nur ein gedruckter Brief aus dem Jahre 1858, in dem sich der unermüdliche und zuverlässige Förderer der Kunst und Wissenschaft bereit erklärt, die gerade auf dem Weg nach Paris befindlichen Literatin dem berühmten Mitglied der Académie Française Saint-Marc Gérardin, einem Professor der Literatur in Collège de Françe, zu empfehlen. Humboldt bedauert, der Empfohlenen sein Schreiben nicht persönlich „zu Füßen legen zu können“, denn er weiß nicht, ob er rechtzeitig vor ihrer Abreise Potsdam verlassen können. Der Brief lautet so:

A madame de Pavloff, née Janisch (de Moscou).
Berlin, Hôtel de l’Europe.
Madame! Les journaux viennent d’annoncer que m-r de Lamartine a quitté Paris pour plusieurs mois. J’ai donc dû préférer de Vous mettre en rapport avec un autre membre de l’Académie Française, également illustre et regardé comme beaucoup plus profond dans la connaissance des littératures de l’Europe. Celle dans laquelle Vous brillez, madame, et cependant pour lui une terre inconnue, une île inabordée. Il sera heureux de Vous entendre lui révéler l’existence des trésors accumulés dans ces derniers temps. M-s Saint-Marc Gérardin est professeur de littérature au Collége de Françe. Il connaît l’Orient qui attire Votre noble curiosité. L’élévation des idées et une heureuse généralisation des aperçus dominent dans sa critique littéraire. J’aurais voulu mettre ces lignes moi-même à vos pieds, demain dans la matinée, mais je suis encore incertain si je pourrai quitter Potsdam. Je fais les voeux les plus ardents pour le succès des vos beaux et grands voyages. Que d’inspirations et de souvenirs vous rapporterez – objets de vos nouvelles créations.
Agréez, je vous supplie, madame, les respectueux hommage de mon admiration et de ma vive reconnaissance.
A. Humboldt.

A Potsdam, ce 19 juin [1858], la nuit.[3]



[1] Varnhagen von Ense: Tagebücher. Bd. XIV. Hamburg 1870, S. 62-63.

[2] Tatevskij sbornik, a.a.O., S. 109-110; Oissar, a.a.O., S. 23.

[3] Tatevskij sbornik, a.a.O., S. 112-113.

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