HiN - Humboldt im Netz

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Krzysztof Zielnica

Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und
Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen
Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts

8. Gefördert durch Aleksej Tolstoj

In den Jahren 1853-1858, nach dem Skandal, den die Klage gegen ihren Mann, Nikolaj Filippovič Pavlov, ausgelöst hatte, führte Karolina Karlovna ein unstetes Leben. Sie wohnte in St. Petersburg, Dorpat, Rom, Konstantinopel, Berlin.[1] Im Frühjahr 1858 fuhr sie nach Moskau, um ihre Vermögensangelegenheiten zu regeln. Vor dieser Reise kam sie aus Dresden nach Berlin, um die beiden ihr noch wohlgeneigten Personen Alexander von Humboldt und Varnhagen von Ense zu besuchen. In Dresden war sie dem berühmten russischen Schriftsteller, Dichter und Dramatiker Graf Aleksej Nikolaevič Tolstoj (1817-1875) freundschaftlich verbunden, der sie mehrmals besucht und mit ihr zahlreiche Briefe gewechselt hat. Er schätzte den Umgang mit Frau Pavlova besonders hoch und nannte sie „den besten Stimulanten” für seine dichterische Tätigkeit. Das Ergebnis dieser engen geistigen Verbindung und wechselseitigen Anregung waren vor allem die deutschen Übersetzungen der wichtigsten Dramen, Trauerspiele und Gedichte Tolstojs. Zu nennen sind hier vor allem „Don Juan”, „Der Tod Ivans des Furchtbaren”, „ Zar Fedor Ivanovič” und ein schmaler Band mit Gedichten.[2] Durch Vermittlung und Unterstützung Tolstojs konnte 1863 erstmals eine Sammlung von Gedichten Pavlovas in Moskau erscheinen. Graf Tolstoj hatte ihr auch in ihrer Notlage nach der Übersiedlung nach Deutschland geholfen. Ihr Vermögen, durch die Spielleidenschaft ihres Mannes stark geschmolzen, war damals durch die Reisen vollständig aufgezehrt und sie mußte von den bescheidenen Einkünften aus ihrem literarischen Schaffen leben. Die wirtschaftliche Lage der Dichterin verbesserte sich erst 1864, nachdem Graf Tolstoj als Freund und Hofbeamter des Zaren Alexander I., ihr eine Pension bei der Großfürstin Elena Pavlovna erwirkt hatte. In der Dresdner Periode war Aleksej Tolstoj ihr einziger Freund und Gesprächspartner. Die wenigen ihr freundschaftliche verbundenen Menschen schieden aus dieser Welt. Innerhalb von wenigen Monaten starben Alexander von Humboldt und Varnhagen von Ense, bei denen sie in hoher Achtung stand.[3]

Die Dichterin fühlte sich einsam und verlassen. In ihrer Heimat, in Rußland, war sie fast vergessen. Ihre Dichtung behandelte man als Zeugnisse einer ausklingenden Epoche. Mit ihren Gedanken kehrte sie immer öfter und wehmütiger in ihre Jugendzeit zurück, als sie Mickiewiczs Braut gewesen war. Als Dreiundachtzigjährige vertraute sie Władysław Mickiewicz, dem ältesten Sohn des Dichters, an:

Ich habe sein Portrait vor den Augen und auf meinem Tisch steht ein kleines Tontöpfchen, das er mir geschenkt hat, auf dem Finger trage ich einen Ring, geschenkt von ihm. Für mich hat er nicht aufgehört zu leben. Ich liebe ihn noch heute, so wie während seiner jahrelangen Abwesenheit. Er gehört mir, wie früher.[4]

Ihre letzte gedruckte Arbeit war die Übersetzung „Die drei Söhne des Lithauers Budrys v. Adam Mickiewicz. Uebersetzt von Karoline Pawloff im 81 Jahre ihres Lebens”.[5]

Die Humboldt-Episode muß in ihrem Leben von besonderer Bedeutung gewesen sein, denn noch 60 Jahre nach dieser Begegnung erwähnte sie sie in dem erwähnten Brief an Władysław Mickiewicz vom 20. April 1890:

Humboldt, von seiner Uralreise zurückkehrend, hielt sich einige Tage in Moskau auf. Ich las ihm meine Handschrift [die Übersetzung von „Konrad Wallenrod“]; er nahm sie mit, um sie dem Goethe zu zeigen. Seine [Goethes] Schwiegertochter, Frau Ottilie, die ich [erst] viel später kennengelernt hatte, hat mir gesagt, ihr Schwiegervater bewahrte dies Sextern immer auf seinem Schreibtisch.[6]

Karolina Jaenisch-Pavlova starb am 2. Dezember 1893 im Dorf Hosterwitz bei Dresden. Das ihr von Mickiewicz geschenkte Tontöpfchen wurde mit Blumen in den Sarg gelegt und mit der Toten in Gotha eingeäschert. Zwei von ihr gemalte Porträts Mickiewiczs und den Ring schickte man dem Sohn des Dichters Władysław. So vollendete sich die romantische Geschichte der Liebenden, die nicht zueinander kommen konnten.



[1] Lettmann-Sadony, a.a.O., S. 74; Брюсов, a.a.O., S. XXXIX- XLIV.

[2] Don Juan. Dramatisches Gedicht von Alexis Grafen Tolstoj. In: Russische Revue. Bd. 1, St. Petersburg und Leipzig 1863, H.3, S. 256-275; Der Tod Iwan’s des Furchtbaren. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Alexis Grafen Tolstoy. Deutsch von Caroline von Pawloff. Dresden 1868; Zar Fedor Iwanowitsch. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Alexis Grafen Tolstoy. aus dem Russischen übersetzt von Caroline von Pawloff. – Den Bühnen gegenüber als Manuscript gedruckt. Dresden 1869; Zwölf Gedichte von Alexis Grafen Tolstoy. Aus dem Russischen übersetzt im Versmaß des Originals von Caroline von Pawloff. Dresden 1868.

[3] Varnhagen starb am 10.10.1858, Humboldt am 6.5.1859.

[4] Mickiewicz, Władysław, a.a.O., S. 273.

[5] Feuilleton der Deutschen Roman-Zeitung, Berlin 1890, Sp. 57.

[6] Mickiewicz, Władysław, a.a.O., S. 270.

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