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Krzysztof Zielnica
Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und
Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen
Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts2. Karolina Jaenisch – die von Humboldt bewunderte Dichterin
Dank ihrer persönlichen Ausstrahlung, umfassenden Bildung, Belesenheit und ihrem dichterischen Talent, soll die zwanzigjährige, reizende Moskauerin einen bleibenden Eindruck auf den sechzigjährigen Junggesellen gemacht haben. Vor der Ausreise aus Moskau am 9. November 1829 soll der Uralreisende einige sehr schmeichelhafte Zeilen in ihr Stammbuch geschrieben haben. Bald verbreiteten sich Gerüchte, Alexander von Humboldt sei in sie verliebt. Böse Zungen behaupteten, sie selbst hätte diese Märchen in Umlauf gesetzt. Wie sie später noch mehrmals betonte, hatte gerade Humboldt sie in ihrem Vorhaben bestärkt, die russische Literatur den Westeuropäern zu vermitteln. Diese Bewunderung genügte ihr nicht. Ihre Geltungssucht trieb sie, sich der Anerkennung durch Humboldt unentwegt zu rühmen.[1] Sie soll sogar erzählt haben, der Reisende habe den Abstecher nach Moskau nur ihretwegen gemacht, weil er ihre Verse schon früher gekannt habe.[2] Diese Prahlerei konnte der Aufmerksamkeit der Moskauer Gesellschaft nicht entgehen. In den literarischen Kreisen und Salons kursierte ein beißendes Epigramm von dem populären Bibliophilen, Satiriker und Freund Puškins, Sergej Aleksandrovič Sobolevskij (1803-1870)[3], das in Abschriften und in einer längeren Variante von Ivan Vasil’evič Kireevskij (1806-1856) von Hand zu Hand ging. In dem Spottgedicht wird die erste Begegnung Alexander von Humboldts mit der jungen Karolina Jaenisch glossiert:
Дарует небо человеку
Der Himmel schenkt dem Menschen
Замену слёз и частных бед:
Einen Ersatz von Tränen und häufigen Unglücks:
Блажен, кто мог библиотеку
Selig ist der, wer sich in alten Jahren
Себя завесь под старость лет!
Eine Bibliothek anlegen konnte!
Блажен, кто дикаго Урала
Selig ist der, wer des wilden Urals
Проник таинственный хребет:
Geheimnisvolle Gebirgskette durchdrang:
Огнем топаза и берила
Mit Feuer von Topas und Opal
Его сіяет кабинет.
Glänzt sein Arbeitszimmer.
Но тот блаженней, Каролина,
Aber, Karolina, noch seliger ist der,
Кто брилліанты полюбя,
Wer die Brillianten liebgewinnend,
За ними ездил из Берлина
Nach diesen aus Berlin reiste
И здесь в Москве нашел тебя.[4]
Und hier, in Moskau dich fand.[5]
Die schöne polnische Übersetzung bei Wacław Lednicki lautet:
Zapewnia niebo człowiekowi
Zamianę łez i częstych bied:
Szczęsny kto zdołał bibliotekę
Zebrać u schyłku swoich lat.
Szczęsny, kto dzikich gór Uralu
Przebył tajemnic pełny grzbiet,
Ognia topazów i berylów
Gabinet jego chowa blask.
Lecz ten szczęśliwszy Karolino,
Kto po brylantów drogi trzos
Pojechał aż z Berlina
I w Moskwie znalazł ciebie.[6]
[1] Ivan Panajev stellt in seinem Tagebuch die Dichterin und ihren übertriebenen Stolz mit einer beträchtlichen Dosis beißender Ironie dar, indem er den Besuch in ihrem Moskauer Haus erwähnt: „Es stand vor mir eine große, magere Frau von ernstem, majestätischem Aussehen, wie lady Loch Leven bei Walter Scott [...] Mich überfiel ein Gefühl, daß ich auf die Knie fallen sollte, um [ihre] Hand zu küssen [...]. Innerhalb von nur fünf Minuten habe ich von Frau Pavlov erfahren, daß sie bei Alexander von Humboldt und bei Goethe in großer Gunst steht, der einige Zeilen in ihr Stammbuch eingeschrieben hatte. Hierauf wurde das Stammbuch mit diesen wertvollen Zeilen hergebracht.” (И. И. Панаев: Литературные Воспоминания. Moсква 1950, S. 177; polnische Ausgabe: Iwan Panajew: Wspomnienia Literackie. Warszawa 1955, S. 191-192.)
[2] [Н. В. Берг:] Посмертныя записки Николая Васильевича Берга. In: Русская Старина. 22: 1891. T. LXIX, 2, S. 269.
[3] , С. А. Соболевский: Эпиграммы и экспромты, под ред. В. В. Каллаша. Москва 1912, S. 43.
[4] Татьевскiй сборник С. А. Рачинского [Tatevskij sbornik]. Ст. Петербург 1899, S. 109; nachgedruckt in: Kаролина Павлова: Собранiе Сочиненiй. Редакцiя и матерiалы для бioграфiи К. Павловой, Валерiя Брюсова. T. I. Moсква 1915, S. XVIII; Wacław Lednicki: Wiersze Karoliny Pawłow (Jaenisch) do Mickiewicza. In: Przyjaciele Moskale. Kraków 1935, S. 257. Ohne die mittlere Strophe und in etwas abweichender Fassung ist dieses Epigramm A. A. Jelagin zugeschrieben und veröffentlicht in: Русский Архив 31:1893. Nr.3, S. 317.
[5] E. Oissar: Zur Alexander von Humboldt-Forschung. IV. Spuren Alexander von Humboldts in Rußland. In: Alexander von Humboldt Stiftung Mitteilungen. Heft 31, Dezember 1975, S. 22-23; Eine etwas abweichende Übersetzung dieses Epigramms bei Barbara Lettmann-Sadony: Karolina Karlovna Pavlova. Eine Dichterin russisch-deutscher Wechselseitigkeit. München 1971, S. 61. Anm. 137.
[6] Wacław Lednicki: Przyjaciele Moskale. Kraków 1935, S. 257. Anm. 1.
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