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Krzysztof Zielnica
Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und
Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen
Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts1. Einführung
Während seines Aufenthalts in Moskau im Jahre 1829 traf Alexander von Humboldt auch mit Personen zusammen, die nicht den offiziellen oder wissenschaftlichen Kreisen angehörten. So begegnete er mehrmals Karolina Jaenisch (1810-1893), einer jungen Dichterin, mit der er sich ausführlich über die neueste russische Literatur unterhielt. Die später bekannte Autorin hinterließ bei ihrem ehrwürdigen Gesprächspartner einen nachhaltigen Eindruck.
Karolina Jaenisch Pavlova (1807-1893), nach Biermann (W. Mickiewicz: Żywot Adama Mickiewicza, Poznań 1929)
Zu den Briefen, die zwar nicht aus der Feder Humboldts stammten, in denen jedoch sein Namen mit den beiden Dichterfürsten des 19. Jahrhunderts, Johann Wolfgang von Goethe und Adam Mickiewicz (1798-1855) in enger Verbindung steht, gehört ein Schreiben von Karolina Jaenisch, der späteren Karlovna Pavlova,[1] an Goethes Schwiegertochter, Ottilie Wilhelmine von Goethe (1749-1872). Der Brief hat „Konrad Wallenrod” zum Inhalt, ein Poem von Adam Mickiewicz, das Karolina für ein „vorzüglichstes Gedicht“ hielt und aus dem Polnischen ins Deutsche übertragen hatte.
Das Thema ist aus der preußischen Geschichte des 14. Jahrhunderts entnommen und dem Kampf der Litauer gegen den Deutschen Ritterorden gewidmet. Konrad Wallenrod ist ein Litauer, der in den Kreuzritterorden eintritt und dessen Heermeister wird. Er führt das Heer nach Polen und läßt ihm durch List und Verrat eine schreckliche Niederlage beibringen, um sein Vaterland zu rächen. Mickiewicz verlegte die Handlung des Poems in die ferne Vergangenheit, um die Aufmerksamkeit der zaristischen Zensur von der politischen Aktualität des Gedichts abzulenken. Im Grunde genommen enthält das Werk nämlich einen tiefen, zeitgenössischen Sinn und wurde zur Verehrung der unterworfenen und unterdrückten slawischen Völker verfaßt, um sie zur Tat und zum Befreiungskampf zu ermutigen und zu erheben.
Humboldt erfüllte einen heißen Wunsch Karolinas. Er brachte ihre Übersetzung – oder wenigstens ein Bruchstück davon – nach Deutschland und sandte sie Goethe in Weimar. Über diese literarische Episode wußten die zeitgenössischen polnischen Zeitungen stolz zu berichten:
„Fräulein Jaenisch, eine in Moskau (sic!) geborene Deutsche, lernt Polnisch, um die Dichtungen Adam Mickiewiczs im Original lesen zu können. Sie ist in der Kenntnis des Polnischen schon soweit vorangekommen, daß sie den „Schmaus” [„Uczta”] aus ‚Konrad Wallenrod’ ins Deutsche übertragen hat. Diese Übersetzung nahm Humboldt – auf der Durchreise [in Moskau weilend] – mit und brachte sie Goethe. Für jeden Polen ist es ohne Zweifel gut zu hören, daß die berühmtesten europäischen Gelehrten unseren Dichter mit Interesse begleiten.”[2]
Der hier behandelte Brief von Karolina Jaenisch Ottilie von Goethe lautet folgendermaßen:
Es wird Ihnen ohne allen Zweifel unerwartet seyn, von einer Bewohnerin Moskwa’s die mit Ihnen in keiner anderen Berührung steht, als daß Sie zu Ihren eifrigsten und wärmsten Bewunderern
gehört, den Versuch der Uebersetzung eines Ihnen wahrscheinlich aus dem Namen nach bekannten
Gedichts zu erhalten. Ich hätte es nicht gewagt, Ihnen diese Arbeit, die nur ein Bruchstück ist, zu übersenden, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß der Dichter des Originals, Herr Mitskewitsch (sic!), der Ihnen vor kurzem persönlich bekanntgegeben ist, Sie genug interessiert, um den Wunsch in Ihnen zu erregen, seyn vorzüglichstes Gedicht, Konrad Wallenrod, einigermaßen kennenzulernen. – Herr von Humboldt, dessen Bekanntschaft zu machen ich jetzt das Glück gehabt, bestärkte mich in diesem Entschlusse durch seinen mir so schmeichelhaften Beifall und hatte die Güte, mir zu versprechen, die Uebersetzung an Sie zu übernehmen. – Während der letzten Jahre des Aufenthaltes des Hr. Mitskewitsch (sic!) in Moskwa habe ich sehr oft seinen geistreichen Umgang im Kreise unserer Familie genossen; er war es auch, der mir den ersten Unterricht in der polnischen Sprache erteilte, die ich hauptsächlich seiner Dichtungen wegen zu erlernen gewüscht, deren Schönheiten selbst eine schwache Uebersetzung nicht entstellen kann; die meinige hat wenigstens das Verdienst, das Original beinahe wörtlich treu wiederzugeben; und dieses ist es nur, was mich hoffen läßt, daß Sie einigen Wert darauf legen werden. – Mehr wünsche ich nicht zu erlangen; es ist nicht im geringsten meine Absicht, diese Arbeit bekannt zu machen; denn könnte sie
Ihres Beifalls gewürdigt werden, was bliebe mir dann noch zu wünschen übrig. – Ich füge, von Herrn von Humboldt dazu aufgefordert, noch zwei im orientalischen Stile geschriebene Sonette hinzu; die ich aber, um gänzlich treu zu seyn, nicht gewagt habe, in der Originalform zu übersetzen.–
Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlseyn
habe ich die Ehre zu seyn
Ihre
ergebenste Dienerin
Caroline v. Jaenisch
Moskwa, d. 15/27. October, 1829. - [3]Dieser Brief kann gewissermaßen als ein kleiner Teil der Nachlese der gerade abgeschlossenen russisch-sibirischen Reise Alexander von Humboldts behandelt und untersucht werden. Der Reisende hielt sich bekanntermaßen sowohl zu Anfang (24.-28. Mai) als auch gegen Ende (3.-9. November 1829) seiner achtmonatigen russischen Expedition in Moskau auf, wo er gesellschaftlich herumgereicht und mit überschwenglicher Gastfreundschaft verwöhnt wurde. Als ihm Nikolaj Aleksandrovič Mel’gunov (1804-1867)[4] zehn Jahre später seine Aufwartung in Berlin machte, sprach der Gastgeber immer noch sehr lebhaft über seine Moskauer Erlebnisse und über die dort geknüpften Bekanntschaften:
Humboldt’s Reise durch Rußland, sein Aufenthalt in Moskau etc. waren ebenfalls Gegenstände unseres Gesprächs. Er gedachte mit Vergnügen, jedoch nicht ohne das ihm eigenthümliche Lächeln, der treuherzigen Gastfreundschaft Moskau’s, der Soireen, welche daselbst ihm zu Ehren gegeben wurden und in denen ein Jeder es für seine Pflicht hielt, mit ihm in der Kreuz und Quer „von Byron oder von wichtigen Dingen“ zu sprechen; auch gedachte er mehrerer ihm bekannter Personen, fragte nach Puschkin, der damals noch in der vollen Blüthe des Lebens stand, und erkundigte sich besonders nach dessen historischen Arbeiten; ebenso nach K. K. Jenisch, und drückte sein Bedauern aus, daß sie, nachdem sie angefangen habe, Französisch zu schreiben, nun aufgehört habe, uns mit ihren vortrefflichen Deutschen Uebersetzungen aus dem Russischen, Polnischen und anderen Sprachen, so wie mit ihren eigenen Gedichten, zu beschenken.”[5]
Alexander von Humboldt im 63. Lebensjahre (Nach einem Gemälde von François Gerard, Paris 1832)
[1] Der Namen der Dichterin ist in verschiedener Schreibweisen und in mehreren Varianten zu finden: Jaenisch, Jänisch, Janisch, Jaenisch-Pawloff, Karlowna Pawlowa, Karoline Pavlova, Caroline Pavlof, née Jaenisch.
[2] Kurjer Polski, Nr. 139 v. 25. April 1830, S. 707.
[3] Original im Besitz des Goethe- und Schiller Archivs in Weimar. Sign. Nachl. Ottilie von Goethe. Teildruck in: Fahrten nach Weimar. Slawische Gäste bei Goethe. Auswahl aus Briefen, Berichten und Aufzeichnungen, mit einem Vorwort von Rudolf Fischer und mit Anmerkungen von Peter Kirchner und Rüdiger Ziemann. Weimar 1958, S. 79.
[4] Nikolaj Aleksandrovič Mel’gunov, Schriftsteller und Publizist. Er war eng verbunden mit V. A. Belinskij (1811 -1848) und A. I. Gercen (Herzen) (1812-1870) und mit Slawophilen. In den 1860er Jahren brach die Beziehung zu Gercen ab. Er wurde aktiver Mitarbeiter der von N. F. Pavlov, dem Ehemann von Karolina Jaenisch, herausgegebenen reaktionären Zeitung „Naše Vremja“ (Наше Время).
[5] N. Mellgunoff: Ein Besuch bei Alexander von Humboldt. In: Magazin für die Literatur des Auslandes Bd. 17: 1840. Nr. 38 v. 25. März (1840), S. 151. Auch in: Gespräche Alexander von Humboldts. Hrsg. im Auftrage der Alexander von Humboldt-Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Hanno Beck. Berlin 1959, S. 151.
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