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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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HiN
I,
1 (2000)
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Ingo Schwarz
"Es ist meine Art, einen und denselben Gegenstand zu verfolgen, bis ich ihn aufgeklärt habe"(1)
Äußerungen Alexander von Humboldts über sich selbst
Abstracts
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Alexander von Humboldt has been characterized as the second, scientific discoverer of the New World, as the last universal scientist, Aristotle of modern times, etc. However, more or less hidden in his correspondence we find certain self-characterizations which are not that well-known. Some of them are quoted and discussed in the paper. Thus, an attempt is made to answer the question why Humboldt liked to call himself "the old man from the mountains", and whether or not he found it appropriate to be called "Aristotle of our age."
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Alexander von Humboldt ha sido caracterizado como el segundo descubridor científico del Nuevo Mundo, como el último científico universal, el Aristóteles de la era moderna, etc. Sin embrago, se encuentran más o menos veladas autodescripciones en su correspondencia que no son tan conocidas. Algunas de éstas serán citadas y discutidas en la presentación. De esta manera se intentará responder a la pregunta sobre porqué le gustaba llamarse a sí mismo "el viejo de las montañas" y si halló apropiado llamarle el "Aristóteles de nuestra era".
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On the Author
Ingo Schwarz
Studium der englischen und russischen Sprache; 1979 Promotion am Fachbereich Amerikanistik der Humboldt-Universität; bis 1984 dort wissenschaftlicher Assistent. Seit 1989 in der "Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle" der Berliner Akademie der Wissenschaften. Mitherausgeber des Briefwechsels zwischen Alexander von Humboldt und Emil du Bois-Reymond (mit Klaus Wenig, 1997) sowie der persischen und russischen Wortsammlungen Humboldts (mit Werner Sundermann, 1998). Veröffentlichungen insbesondere über Humboldts Beziehungen zu den USA.
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Kosmopolit, Humanist, größter Geograph der neueren Geschichte, wissenschaftlicher Entdecker der neuen Welt, letzter Universalist der Naturforschung, Aristoteles der Neuzeit - so und ähnlich wird Alexander von Humboldt immer wieder charakterisiert.
In der Tat hat er als Forschungsreisender und Naturforscher Außerordentliches geleistet. Einige Wissenschaftsdisziplinen können sich auf Humboldt als Begründer oder wenigstens Mitbegründer berufen, so die physische Geographie, die Klimatologie, die Ökologie und thematische Kartographie. Mit seinen Berichten über Süd- und Mittelamerika machte er die europäische Wissenschaft auf die Neue Welt aufmerksam und förderte gleichzeitig das Selbstbewußtsein der Bürger Lateinamerikas, wodurch seine Berühmtheit in diesem Weltteil begründet wurde.(2)
Vor allem in seiner Vaterstadt Berlin wirkte Humboldt als Förderer junger Wissenschaftler, was ihm die Dankbarkeit einer ganzen Generation von Medizinern, Botanikern, Mathematikern, Historikern eintrug. Bleibende Verdienste erwarb er sich auch um die Popularisierung wissenschaftlicher Kenntnisse. Schon als junger Bergmeister organisierte er in Steben, anfangs auf eigene Kosten, eine Schule für Bergleute. Später wurden seine berühmten Kosmos-Vorlesungen zu einem Bildungserlebnis ganz besonderer Art für breite Kreise der Berliner Bevölkerung.
Humboldt war jedoch nicht nur der gefeierte Wissenschaftler und liberal gesinnte "Weltbürger". Seine Stellung als Kammerherr zweier preußischer Könige brachte ihm auch Feinde, denen er, wie er es einmal ausdrückte, "ein alter tricolorer Lappen" war, "den man conservirt, und der (kommt einmal die Noth wieder) deployirt werden kann."(3) Einer seiner Widersacher pflegte ihn nur "die enzyklopädische Katze" zu nennen.(4)
Welche Eigenschaften durch den Vergleich mit einer Katze bildhaft gemacht werden sollten, wollen wir hier nicht genauer untersuchen, die Charakterisierung als "enzyklopädisch" war auf jeden Fall verfehlt. Die große Vielseitigkeit Humboldtscher Interessen hatte mit "enzyklopädischer Oberflächlichkeit"(5) nichts gemein. Er legte vielmehr größten Wert auf Genauigkeit im Detail. Ein Beispiel mag das verdeutlichen.
Humboldt interessierte sich seit seiner Jugend für die Goldproduktion. Eines seiner Lieblingsprojekte als Bergbeamter war die Aktivierung der Goldförderung in Oberfranken. 1838 veröffentlichte er einen Essay "über die Schwankungen der Goldproduktion"(6), in dem er den Gesetzen nachspüren wollte, die den internationalen Austausch von Edelmetallen bestimmen. Zu diesem Zwecke sammelte er Daten über die Gold- und Silbergewinnung in den verschiedenen Erdteilen und verglich am Rande auch die Größe der in Rußland und in den Vereinigten Staaten gefundenen Goldklumpen. Schon während seiner Rußlandreise (1829) hatte er erfahren, daß man im Ural Klumpen von 6 - 10 kg gefunden hatte. Um entsprechende Informationen für die Alleghanies zu erhalten, wandte er sich 1836 an dem ihm seit langem bekannten ehemaligen Finanzminister der USA Albert Gallatin, der allerdings die Auskunft nicht geben konnte. Ein Jahr später schrieb Humboldt an den Gesandten der Vereinigten Staaten in Berlin und erneuerte seine Frage. Er hatte gehört, daß man in North Carolina einen Klumpen von 21,8 kg gefunden hatte, anderen Quellen zufolge sollte der größte Klumpen nur 12,7 kg gewogen habe. In dem erwähnten Aufsatz nannte der Autor beide Zahlen, betonte aber, daß er in der Lage gewesen sei, sie zu prüfen.(7) Damit war die Angelegenheit jedoch noch nicht erledigt. In August 1849, also 11 Jahre später, ergab sich eine neue Gelegenheit, dem US-Gesandten die Frage zu unterbreiten. Dieses Mal wurde sogar der Außenminister eingeschaltet, der die Antwort vom Direktor der Münze in Philadelphia erhielt und nach Berlin weiterleitete. So erfuhr Humboldt Ende 1849 endlich: Der größte Goldklumpen war tatsächlich in North Carolina gefunden worden, er wog 12,7 kg und hatte einen Wert von 4830 Dollar.(8) Der Gelehrte hatte einen Gegenstand über viele Jahre verfolgt, bis er ihn aufklären konnte.
Er blieb jedoch nicht bei Details stehen. In der Vorrede zu seinem Alterswerk Kosmos brachte er seine wissenschaftlichen Ziele auf einen Nenner:
"Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhang, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen."(9)
Wenn Humboldt seine Forschungen auch mit großem Ernst betrieb, so hatte er doch auch einen ausgesprochenen Sinn für Witz und Ironie.(10) So gab er sich und anderen gerne scherzhafte Namen. Den preußischen Kabinettsrat Niebuhr, der ihm sehr unsympathisch war, nannte er "die schielende Wanze", dem von ihm hochgeschätzten Beamten im Kultusministerium Johannes Schulze nannte er beinahe ehrfürchtig "Lokomotive". Sich selbst bezeichnete er in Anspielung auf seine Reisen gerne als "Waldmensch vom Orinoko" oder "Urgreis vom Ural". Seine mikroskopische, schwer zu entziffernde Handschrift war schon zu seinen Lebzeiten berüchtigt, so unterschrieb er manchen Brief entschuldigend: "Ihr unleserlicher Al. Humboldt".
Ab etwa 1853 nannte sich Humboldt gelegentlich "der Alte vom Berg" oder in der italienischen Form "Vécchio della Montagna".(11) Natürlich spielte er hier auf sein hohes Alter an. Welcher Berg aber war gemeint? Humboldt hat während seiner Reise in Süd- und Mittelamerika mehrere Gipfel bestiegen. Auf die Besteigung des Chimborazo im Jahre 1802 war er besonders stolz, wie wir in einem Brief an den Geographen H. Berghaus vom November 1828 lesen:
"Ich habe mir mein Lebelang etwas darauf eingebildet, unter den Sterblichen derjenige zu sein, der am höchsten in der Welt gestiegen ist - ich meine am Abhang eines Berges, am Abhang des Chimborazo!"(12)
In einem Brief aus dem Jahre 1854 nannte er sich in einem Atemzuge "Alter vom Berge" und "am Hofe sehr zahm gewordener Waldmensch vom Orinoko". Hier erscheint also die bewußte Anspielung auf die Amerikareise zweifelsfrei.
"Alter vom Berge" war jedoch schon zu Humboldts Zeit ein feststehender Begriff: (arab. Scheich al-Djebel), Titel, den sich Hassan ben Sabbah, der Gründer der mohammedanischen Sekte der Assassinen beilegte und den die Häupter derselben führten. Die Grausamkeit der Sekte wurde so sprichwörtlich, daß ihr Name mit der Bedeutung Mörder in verschiedene europäische Sprachen einging, z.B. frz./engl.: assassin. Humboldt hatte sich in Vorbereitung auf eine zweite Reise mit arabischer und persischer Geschichte beschäftigt; so war er auch mit dem Werk Marco Polos bekannt geworden, der die Kunde vom "Vécchio della Montagna" nach Europa gebracht hatte.
Im Jahre 1857 nannte die Wiener Kirchenzeitung Humboldt einen "Seelenmörder", weil er im Kosmos nicht in christlichem Sinne von Weltschöpfung sprach. Diese Charakterisierung ironisierte Humboldt in einem Brief an König Maximilian II. von Bayern vom August 1857, worin er sich in einem Atemzuge als "il Vécchio della Montagna" und "Assasin des âmes", d.h. "Seelen-Mörder", bezeichnete.(13) Hier ergab sich für den Gelehrten erneut die Möglichkeit, sich auf subtile Art gegen die Boshaftigkeit seiner Feinde zur Wehr zu setzen.
Bei all seiner Liebe zu den Wissenschaften und seiner Menschenfreundlichkeit war Humboldt nicht frei von Eitelkeit, und er war sich dessen auch bewußt. So schrieb er 1810 an Thomas Jefferson, den er 6 Jahre zuvor in Washington persönlich kennengelernt hatte:
"Ich wiederhole meine Bitte, aus Ihrer Hand das Geschenk Ihrer Arbeit über Virginia zu erhalten. Ich besitze sie seit 15 Jahren, aber ich möchte meinen Freunden ein Exemplar zeigen, in das Sie geschrieben haben, daß Sie es mir schenken. Danach strebt meine Eitelkeit und ich leugne sie nicht."(14)
Auf Auszeichnungen reagierte Humboldt sehr unterschiedlich. Als die Pariser Akademie der Wissenschaften den berühmten Forscher 1858 durch die Aufstellung einer Büste ehren wollte, stimmte er nicht nur zu, er sorgte auch dafür, daß sie einen besonders günstigen Platze erhielt.
Völlig anders hatte er allerdings reagiert, als die Berliner Akademie 1850 beschloß, ihn mit einer Büste zu ehren. Er war bestürzt über die "Schreckensnachricht", Himmel und Hölle setzte er in Bewegung, um dieses "Experiment in corpore vivo" zu verhindern. So wurde die Büste erst nach Humboldts Tod aufgestellt.(15)
Ähnlich bestürzt hatte sich Humboldt schon 1829 gezeigt, als er davon erfuhr, daß er auf einer Erinnerungsmedaille als "Aristoteles der Neuzeit" bezeichnet werden sollte. An den Medailleur Karl Pfeuffer schrieb er:
"Wer, ums Himmels Willen, hat Ihnen den Aristoteles und gar die Inschrift Arist. nostri aevi [Aristoteles unseres Zeitalters] rathen können!! Da wir an einem und demselben Orte leben, so würde eine solche Rükseite mir doppelt unangenehm sein müssen. Was ist denn Aristoteles, dem Philosophen, dem Zoologen und Thier-Anatomiker unähnlicher als ich? Dazu wissen Sie, wie sehr dies alles dem Publikum mißfällt und zum Gespötte dient. Was werden Sie für [Jöns Jakob] Berzelius, [Julius] Klaproth, [Wilhelm] Olbers, [Carl Friedrich] Gauß für Rükseiten ersinnen können, wenn der Weihrauch so zerstreut wird. Ich protestire förmlich dagegen, und glaube, daß Sie durch irgend einen amerikanischen Gegenstands die Rükseite viel passender würden bezeichnen können. Ich rechne auf Ihre Freundschaft und Schonung. [..] Der einzige Mann in Europa, der mit Aristoteles verglichen werden kann und oft verglichen worden ist, scheint mir [Georges] Cuvier zu sein, der wie Aristoteles tief in den Bau der Thiere eingedrungen ist; auf mich paßt Aristoteles eben so, als wenn Sie Klaproth mit Copernicus verglichen."(16)
Die Medaille erhielt übrigens eine neutrale Inschrift. Erst auf der 1859 nach Entwürfen von Antoine Bovy in Paris geprägten Erinnerungsmedaille für Humboldt war auf der Vorderseite zu lesen: «L'Aristote Moderne».
Humboldt blieb bis ins hohe Alter aktiv. Sein Leben vollendete sich am 6. Mai 1859. Zwei Monate später stellte man die von Christian Daniel Rauch ausgeführte Humboldt-Büste in den Räumen der Berliner Akademie der Wissenschaften auf. Damit wurde schließlich eine Persönlichkeit geehrt, die im Urteil vieler Fachkollegen "die erste wissenschaftliche Größe seines Zeitalters"(17) war.
Literatur
Berghaus 1850
Gold, Platina, Diamanten in den Vereinigten Staaten und in Californien. In: Geographisches Jahrbuch zur Mittheilung aller wichtigern neuen Erforschungen von Dr. Heinrich Berghaus, II, Gotha 1850, S. 52-55.Biermann 1990
Biermann, Kurt-R.: Miscellanea Humboldtiana. Berlin: Akademie-Verlag 1990. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 15)Biermann 1992
Biermann, Kurt-R.: Beglückende Ermunterung durch die akademische Gemeinschaft. Alexander von Humboldt als Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Berlin: Akademie-Verlag 1992. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 17)Biermann/Schwarz 1992
Biermann, Kurt-R. u. Ingo Schwarz: Warum bezeichnete sich Alexander von Humboldt als DER ALTE VOM BERGE? In: Mitteilungen der Alexander von Humboldt Stiftung AvH Magazin Nr. 60, Dezember 1992, S. 71-73.Biermann/Schwarz 1999
(Erscheint demnächst in HiN II,2).
Biermann, Kurt-R., und Ingo Schwarz: "Sibirien beginnt in der Hasenheide"- Alexander von Humboldts Neigung zur Moquerie.Borch 1948
Borch, Rudolf: Alexander von Humboldt. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten. Berlin: Verlag des Druckhauses Tempelhof 1948.Humboldt 1838
Humboldt, Alexander von: Ueber die Schwankungen der Goldproduktion mit Rücksicht auf staatswirthschaftliche Probleme. In: Deutsche Vierteljahrs Schrift (1838), H. 4, S. 1-40.Humboldt 1869
Briefe von Alexander von Humboldt an Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen. Leipzig: F. A. Brockhaus 1869.Humboldt 1999
Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Hrsg. u. kommentiert v. Hanno Beck. Teilband 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993. (Alexander-von-Humboldt-Studienausgabe, Bd. VII)Schwarz 1997
Schwarz, Ingo: Eine König-Medaille zum 225. Geburtstag Alexander von Humboldts nach Carl Pfeuffer. In: Numismatisches NachrichtenBlatt 46 (1997) H. 2, S. 68-69.Terra 1959
De Terra, Helmut: Alexander von Humboldt's Correspondence with Jefferson, Madison, and Gallatin. In: Proceedings of the American Philosophical Society. Vol. 103, Philadelphia 1959, S. 783-806.Trost 1894
Trost, Ludwig v.: Briefe Alexanders v. Humboldt an König Maximilian II. In: Freie Presse Nr. 10796, v. 13. 9. 1894, Morgenbl. S. 1-3.
Anmerkungen:
(1) Aus einem Brief Humboldts an den klassischen Philologen Karl Zell (1793-1874) vom 21. 5. 1836. (2) Vgl. Biermann 1990, S. 27 - 32. (3) Humboldt 1869, S. 51. (4) Borch 1948, S. 313. (5) Humboldt 1993, S. 13. (6) Humboldt 1838. (7) Humboldt 1838, S. 32. (8) Vgl. Berghaus 1850. (9) Humboldt 1993, S. 7. (10) Vgl. Biermann/Schwarz 1999. (11) Vgl. Biermann/Schwarz 1992. (12) Biermann/Schwarz 1992, S. 71. (13) Trost 1894, S. 1-2. (14) Terra 1959, S. 791 ( aus dem Engl.). (15) Vgl. Biermann 1992, S. 76-78. (16) Schwarz 1997, S. 69. (17) Biermann 1992, S. 83.
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