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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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1 (2000)
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3. Humboldts Briefwechsel mit romantischen Naturforschern
Auch zu anderen älteren Wissenschaftlern hatte A. v. Humboldt Kontakt, so zu dem Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi. Die große Gruppe der romantischen Naturforscher war in ihren Auffassungen sehr inhomogen und wird auch noch heute unterschiedlich beurteilt.(45) Zwischen ihnen gab es jedoch biographische Zusammenhänge - sie kannten einander, regten sich gegenseitig an, kritisierten sich und waren keineswegs immer freundlich miteinander verbunden.(46) Die Bewertung ihrer Arbeiten und Positionen kann im Rahmen dieser Studie nicht vorgenommen werden - Engelhardt verweist zurecht darauf, daß sie von der eingenommenen wissenschaftstheoretischen und sozialhistorischen Perspektive abhängt - als Möglichkeiten kommen in Betracht: "1. Verhältnis von Empirie und Philosophie oder von Beobachtung, Experiment und philosophischer Spekulation; 2. Verhältnis von Naturforschung, Philosophie und Theologie; 3. Verhältnis von Wissenschaft und Politik, Gesellschaft und Geschichte; 4. Phänomenale und disziplinäre Weite und schließlich 5. Anwendung formaler Prinzipien wie Identität, Differenz, Polarität, Analogie, Potenz, Metamorphose oder auch mathematische Kategorien."(47) Inwieweit die romantischen Naturforscher Humboldt angeregt haben und wie lange er ihren Ansatz für produktiv hielt, bedarf weiterer Erforschung.
Belegt ist sein früher wissenschaftlicher Austausch mit dem heute als Vitalmaterialisten"(48) charakterisierten Johann F. Blumenbach. Mit ihm korrespondierte Humboldt in seiner Jugend zu physiologischen Problemen,(49) 1806, nach Humboldts Rückkehr von der Amerika-Reise, informierte er ihn auch über ethnologische Beobachtungen und brachte ihm sogar Gegenstände mit.(50) Später bekam sein Briefwechsel mit Blumenbach einen mehr sozialen Charakter - 1831(51) ging es beispielsweise um eine Empfehlung, die Humboldt für einen jungen Franzosen, den Mitherausgeber der "Annales des Voyages", gab. Im I. Band des "Kosmos" erwähnte Humboldt zwar Blumenbach als seinen "alten Lehrer" und stellte dessen Auffassungen auf dem Gebiet der Ethnologie dar, ließ aber Distanz erkennen, indem er zweimal den seiner Meinung nach wichtigeren Anteil anderer Forscher hervorhob.(52)
Humboldt engagierte sich zusammen mit einigen seiner Bekannten bei der Herausgabe einer Zeitschrift - so gehörte er dem Beirat einer von dem Chemiker K. W. G. Kastner herausgebenen Reihe mit dem programmatischen Titel "Archiv für die gesammte Naturlehre" an. Dort arbeitete er mit Wissenschaftlern wie Leopold Gmelin, F. P. v. Gruithuisen, G. Chr. Lichtenberg, Heinrich Wilhelm Olbers und Johann Joseph Ritter von Prechtl zusammen - auch sie gehörten neben dem Herausgeber K. W. G. Kastner zu den Korrespondenten Humboldts. Im 1824 veröffentlichten ersten Band seiner Zeitschrift druckte Kastner einen Brief Humboldts (53) an ihn ab. In ihm äußerte sich Humboldt sehr lobend über den 1823 erschienenen ersten Band von Kastner veröffentlichte zweibändigem "Handbuch der Meteorologie" und verwies darauf, welchen großen Nutzen das Studium dieser Schrift für ihn gehabt habe. Besonders lobte er, daß Kastners Meteorologie den ganzen physikalischen Teil der Geognosie enthalten habe, und bei der Wechselwirkung des Luftkreises mit der festen und flüssigen Erdrinde sei eine solche Ausdehnung des Gebiets dieser Wissenschaft nicht zu tadeln. Humboldt gab an, ihn und seinen Freund Joseph-Louis Gay-Lussac habe insbesondere seine Erklärung der Ursache der vormaligen Tropenwärme in nördlichen Breiten interessiert (Farnkräuter und Rhinoceros in Sibirien etc.), weil seine Erklärung unabhängig von der "häufig beliebten Annahme" einer gewaltsamen Veränderung der Neigung der Erdachse zu sein scheine. Humboldt bat ihn um eine ausführlichere Erläuterung seiner Ansichten, da dieser Gegenstand für seine, Humboldts, Arbeit von "unendlicher Wichtigkeit" sei.(54) Ähnlich geartete Korrespondenz zu wissenschaftlichen Einzelfragen ist auch mit anderen romantischen Naturforschern überliefert - so mit C. G. Carus. Der junge Humboldt behauptete, Carus habe ihn nicht nur durch Fakten beeindruckt, sondern auch durch Wertungen und Ansichten. Aber auch noch 1828 bekannte er, ihn habe lange nichts so bewegt, wie Carus´ Ansichten von der Natur (55) - wobei er vor allem die Darstellung von Fakten meinte. Er verfolgte die Arbeiten sehr genau - so ist belegt, daß Humboldt die Veröffentlichungen seiner Korrespondenzpartner sammelte - in seiner Bibliothek wurden Publikationen von nahezu allen seiner Briefpartner gefunden - manche sind auch mit Anstreichungen und Kommentaren Humboldts versehen. Bei der Durchsicht des "Kosmos" fällt jedoch auf, daß Humboldt nur sehr wenige romantische Naturforscher zitierte. Von mindestens 14 Naturphilosophen bzw. Naturforschern, mit denen Humboldt Kontakt pflegte, (56) wurden im "Alterswerk" Humboldts drei sehr kurz zitiert (Carus, Kastner, Johann Salomo Christoph Schweigger), die Arbeit eines weiteren erwähnt Humboldt, ohne nachgewiesenen Kontakt mit ihm zu haben (Goldfuss). Eine Ausnahme ist H. Chr. Ørsted - seine Arbeiten kommentierte er im "Kosmos" ausführlich. Humboldts Begeisterung für Ørsted hatte vermutlich mehrere Gründe - erstens hatte Ørsted im Frühjahr 1820 eine wichtige experimentelle Entdeckung gemacht, den Elektromagnetismus, zweitens war er dabei von den für die romantische Naturphilosophie so wichtigen Ideen von der Einheit und den beiden polaren Kräften (57) ausgegangen, die im dynamischen Gleichgewicht stehen sollen. Ursprünglich hatte Ørsted als Vertreter der Kantschen neuen kritischen Philosophie der romantischen Naturphilosophie ablehnend gegenüber gestanden, das änderte sich aber nach einem längeren Aufenthalt bei Johann Wilhelm Ritter im Jahre 1801.(58)
Ørsted wurde über seinen Tod hinaus von Humboldt verehrt. Die Arbeit des früher von ihm hochgeschätzten J. Chr. Reil hingegen, die er 1795 in seiner Abhandlung über die gereizte Muskelfaser (59) erwähnte und dessen Abhandlungen er Johann Wolfgang von Goethe sogar anstatt seiner eigenen empfohlen hatte,(60) verschwieg er.(61) Auch G. Schubert und J. Schweigger spielten im "Kosmos" keine Rolle, desgleichen Wilbrand, dessen Abhandlung über die wiederkehrende Blutbewegung, besonders über die venöse Strömung, Humboldt in einem Brief (62) vom 18. 9. 1826 als besonders geistreich gelobt hatte. Oken kritisierte er hart - vor allem mit dessen Bericht über die Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte (63) des Jahres 1822 war er nicht einverstanden - er bescheinigte ihm zwar eine im ganzen sehr zu lobende Arbeit, der Stil des Aufsatzes sei zwar "im Eingange edel in den Gedanken", dann geschmacklos, grob und fahrlässig,(64) in einem anderen Brief an Heinrich Lichtenstein bezeichnete er ihn schlicht als verfehlt.(65) 1834 äußerte A. von Humboldt gar die Befürchtung, "Cottas geplantes Naturhistorisches Werk" könnte Oken Konkurrenz bringen.(66)
Das Weglassen seiner frühen, der Romantik nahestehenden Korrespondenzpartner im "Kosmos" ist nicht vorrangig konzeptionell bedingt - zwar hatte sich A. v. Humboldt die Behandlung der Lebenswissenschaften für den V., unvollendet gebliebenen Band des "Kosmos" vorbehalten, ließ es sich aber trotzdem nicht nehmen, Namen von jungen Biologen und Medizinern auch schon in früheren Bänden seines Alterswerkes zu nennen.
Anmerkungen:
(45) Brief A. v. Humboldt an G. Chr. Lichtenberg vom 3. Oktober 1790. Vgl. Zaunick 1939 sowie Jahn/Lange 1973, S. 109. (46) R. Mocek ordnet beispielsweise den Dresdner Arzt C. G. Carus der romantischen Medizin zu. Vgl. Mocek 1989. (47) Vgl. D. v. Engelhardt 1991. (48) Vgl. v. Engelhardt 1992, S. 33. Löw (vgl. Löw 1977, S. 286) beispielsweise versuchte, auf den Versuch von Nees von Esenbeck, die Prinzipien der Naturphilosophie auf die Pflanzenchemie anzuwenden - dieser ließ aus dem "Urstoff" Wasser durch Anwendung formaler Prinzipien wie Analogie und Reihe theoretisch alle verschiedenen Pflanzenstoffe entstehen. Dieser Auffassung soll an anderer Stelle nachgegangen werden. D. v. Engelhardt zitiert die Französin Madame de Staël, die deutsche Gelehrte in 2 Gruppen einteilte, die empirischen (G. Werner, F. W. Herschel, J. H. Schröter, F. Xaver von Zach, J. E. Bode, M. H. Klaproth, Chr. F. Buchholz) und die metaphysischen (J. W. Ritter, F. X. Baader, H. Steffens, G. H. Schubert, F. W. J. Schelling). Vgl. D. v. Engelhardt 1998, S. 247. (49) Diese Bezeichnung stammt von T. Lenoir, der drei Gruppen von Forschern nach ihren Auffassungen zur Lebenskraft unterschied. Die "vital materialists" (J. F. Blumenbach, K. F. Kielmeyer u. a.) verwenden den Begriff "Lebenskraft" in Analogie zu dem physikalischen Begriff der Kraft (vgl. Lenoir 1989). B. Wahrig-Schmidt interpretierte dies so, daß die "vital materialists" diese Kraft nur an ihren Wirkungen zu erkennen glaubten, ihr Wesen sei nicht zu erforschen, und doch wirke sie. Die Lebenskraft werde damit zu einem ontologisch mißverstandenen "Ding an sich". Sie erlaube eine dynamische Auffassung vom Organismus, ohne dessen Logik prinzipiell außerhalb der Logik des neuzeitlichen physikalischen Denkens ansiedeln zu müssen (vgl. Wahrig-Schmidt 1992, S. 46). (50) Vgl. Brief A. Humboldt an J. F. Blumenbach vom 17. 11. 1795. In: Jahn/Lange 1973, S. 465-471. (51) Vgl. Brief A. v. Humboldt an J. F. Blumenbach vom 26. 4. 1806, SUB Göttingen, Handschriftenabteilung, Nr. 1. (52) Vgl. Brief A. v. Humboldt an J. F. Blumenbach vom 1. 6. 1831, SUB Göttingen, Handschriftenabteilung, Nr. 2. (53) So erklärt Humboldt, u. a. Blumenbach habe zwar das Verdienst, durch die wissenschaftliche Anwendung einer feineren vergleichenden Anatomie den osteologischen Teil der Paläontologie zuerst aufgeklärt zu haben, aber die eigentlich geognostische Ansicht der Versteinerungslehre, die glückliche Verbindung der zoologischen Charaktere mit der Alters- und Auflagerungsfolge der Schichten, verdanke man der großen Arbeit von G. Cuvier und A. Brongniart. Vgl. Humboldt 1845, S. 286. An anderer Stelle stellte Humboldt Blumenbachs Klassifikation der Menschen nach 5 Rassen andere Systeme entgegen und meinte, es sei kein durchgeführtes natürliches Prinzip der Enteilung in solche Gruppierungen zu erkennen. Vgl. ebenda, S. 382-383. (54) Vgl. Kastner 1824, Bd. 1, S. 329ff. (55) Vgl. Brief A. v. Humboldt an K. W. G. Kastner o. D. . In: Kastner 1824, S. S. 329. Kastner kam dieser Bitte in der Zeitschrift nach und lieferte eine sehr umfängliche Erklärung, die von der periodischen Wärmeausdehnung des Erdkerns bis zum allmähligen Erkalten vulkanisch geschmolzenen Massen bis zur Kristallisation vieler Felsmassen reichte. Die Begründung blieb sehr hypothetisch. (56) Humboldt äußerte sich sehr positiv über eine paläontologische Arbeit von C. G. Carus (vgl. Brief A. v. Humboldt an C. G. Carus vom 15. 6. 1828 ). Das Buch von C. G. Carus Von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalengerüstes (vgl. Carus 1828) befand sich in Humboldts Bibliothek (vgl. Stevens 1863, S. 125). (57) Damit ist in erster Linie Korrespondenz gemeint, allerdings ließ Humboldt manche Wissenschaftler, darunter K. F. Kielmeyer, lediglich grüßen. Zu zahlreichen Wissenschaftler hatte Humboldt keinen Kontakt, darunter Karl Eschenmayer, G. A. Goldfuss, Johann Christian August Heinroth, E. T. A. Hoffmann, K. F. Kielmeyer, F. A. Mesmer, Novalis (alias F. v. Hardenberg), F. A. Ritgen, J. W. Ritter, Ph. O. Runge, F. J. Schelver, H. Steffens, I. P. v. Troxler, J. J. Wagner, K. J. H. Windischmann. Ihre Werke fehlen in der Humboldtschen Bibliothek - sieht man von kleineren Arbeiten F. A. Ritgens und von H. Steffens ab. (58) Diese Vorstellung geht auf Heraklit zurück. (59) Vgl. Snelders 1990. In: Cunningham/Jardine 1990, S. 228 - 240. (60) Vgl. Brief A. v. Humboldt an S. Th. v. Soemmering vom 7. 6. 1795. In: Jahn/Lange 1973, S. 108-110. (61) Vgl. Brief A. v. Humboldt an J. W. v. Goethe vom 16.7.1795. In: Jahn/Lange 1973, S. 449. (62) Humboldt hatte sehr gute persönliche Beziehungen zu Reil - 1806 wandte er sich an Graf Pierre Daru im Interesse der Professoren der Universität Halle, von denen er J. Chr. Reil als Physiologen unter den hervorragenden sechs nannte. Er erhoffte von Napoleon einen Akt der Milde zugunsten der Halleschen Universität.Vgl. Brief A. v. Humboldt an P. C. Daru vom 18. 11. 1818, Archives Nationales, Paris, Fonds Daru. (63) Vgl. Brief A. v. Humboldt an J. B. Wilbrand vom 18. 9. 1826, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Neuerwerbungen 58-60, Nr. 1. (64) Oken spottete in einem Bericht für die Zeitschrift "Isis" über angeblich typisch deutsche Eigenschaften der Teilnehmer und meinte, sie hätten jede Art von Bedenken und Vorsicht erkennen lassen. Zum Inhalt dieser Darstellung vgl. Sudhoff 1922, S. 8. (65) Vgl. Brief A. v. Humboldt an H. Lichtenstein von Anfang März 1829, SA Wolfenbüttel, Nr. 56. (66) Vgl. Brief A. v. Humboldt an H. Lichtenstein vom 10. 4. 1829, SA Wolfenbüttel, Nr. 49. (67) Vgl. Brief A. v. Humboldt an J. F. v. Cotta-Cottendorf vom 28. 6. 1834, DLA Marbach.