„Entziehen
Sie uns nicht Ihren Rath.“
Eine
Studie zum Briefwechsel Alexander von Humboldts mit den Ehefrauen berühmter
Gelehrter.
Ina
Lelke (Ina.Lelke@berlin.de)
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Resümee
5.1. Bemerkungen zur Bedeutung
der Korrespondenzen für Alexander von Humboldt
Die Existenz von Briefen an die
Ehefrauen belegt ganz augenscheinlich, dass diese Bestandteil der
gelehrten Korrespondenzen waren. Trotzdem sind sie aus den großen
Briefeditionen häufig ausgespart worden, teilweise unter dem
Vorbehalt, dass sie profane Themen zum Inhalt hätten. Damit beschnitt
sich die Forschung aber gerade um den familiären und häuslichen
Aspekt damaligen, wissenschaftlichen Arbeitens.
Am Beispiel der untersuchten
Korrespondenzen zeigte sich jedoch, dass die Briefe durchaus in die
wissenschaftsorganisatorischen Pläne und Unternehmungen Alexander von
Humboldts einzuordnen sind. Persönliche Bekanntschaften spielten für
Humboldt eine maßgebliche Rolle und er verstand es, sie in seine
Arbeiten zu integrieren. Ob er nun die Witwe Dietz unterstützte,
damit sie aus dem Werk ihres Mannes publizieren könne, ob er Hedwig
von Olfers oder Lucie Laugier um Informationen oder Gefälligkeiten für
das Kosmos-Werk bat – Humboldt nutzte die Briefwechsel als Ressource
und schätzte sie auch als solche. Er war über die jeweilige häusliche
Situation der Gelehrten zumeist bestens unterrichtet und nahm deshalb
auch zur Kenntnis, inwieweit bestimmte Frauen in das Lebenswerk ihrer
Ehemänner involviert waren. Ausgehend von dem Briefwechsel Humboldts
konnte ich daher verschiedene Formen der Beteiligung von Ehefrauen am
Werk ihrer Männer feststellen. Stark typologisiert lassen sie sich in
drei Gruppen unterteilen, in:
1.
Mitarbeiterinnen,
die an der Seite ihrer Ehemänner praktizierten
2.
„Mittlerinnen“,
die im geselligen Rahmen den Gelehrten eine Möglichkeit zur
gegenseitigen Kenntnisnahme boten
3.
und in
die durch den besonderen Status markierte Gruppe der Witwen, die für
die memoria ihrer
verstorbenen Ehemänner wirkten oder wirken mussten
Alexander von Humboldt wusste
auch deshalb mit ihnen zu korrespondieren, weil Frauen - wie z.B.
Lucie Laugier – eine Verbindung zwischen den gelehrten Kreisen
herstellen konnten, solange Wissenschaft als Familienbetrieb
funktionierte.
5.2. Ausblick | (zum Anfang)
Insgesamt konnte ich bezüglich für
ca. vier von insgesamt 15 Korrespondenzpartnerinnen darauf zurückschließen,
dass sie am Lebenswerk ihrer Ehemänner beteiligt waren. Die
restlichen Stichproben ergaben insofern keine Anhaltspunkte, da
oftmals nur kurze Grüße oder Einladungen an die Ehepartnerinnen
ausgesprochen wurden. Die Antwortbriefe der Ehefrauen fehlten häufig
ganz und waren aufgrund der unzureichenden Editionslage zumeist nicht
zugänglich. Sie müssten einzeln in den entsprechenden Nachlässen
recherchiert werden. Demzufolge ist nicht auszuschließen, dass bei
umfassenderen und längerfristigen Studien weitere Hinweise gefunden
werden. Als vielversprechend erscheint mir insbesondere eine
tiefergehende Untersuchung zu den Beiträgen Minna Mädlers und Lucie
Laugiers. Die Ergebnisse meiner Arbeit deuten darauf hin, dass der
Anteil ihrer Leistungen bislang hinter dem Forschungswerk der Ehemänner
verdeckt blieb.
Bezeichnen die von mir
unternommenen Recherchen auch Forschungslücken der
Wissenschaftsgeschichte, so kann es meiner Ansicht nach nicht darum
gehen, diese einfach nur aufzufüllen. Die Untersuchung der Leistungen
von Frauen im Bereich der Wissenschaft kann die Blickrichtung der
Fachgeschichte grundsätzlich ändern. So zeigte sich, dass zu Beginn
des 19. Jahrhunderts dem Privathaus des Gelehrten eine immense
Bedeutung zuzumessen ist, nicht nur als Ort der Arbeit, sondern auch
als Ort der Präsentation von Wissen und sozialem Status. Das
Privathaus bot Raum für beide Geschlechter (Vgl.
auch Gerhard 1978 sowie Habermas 2000), hier wurden
Arbeitsbeziehungen, ganze „family networks“ gestiftet (Shteir
1987, S. 41). Familiäre Verbindungen ermöglichten die Umsetzung
arbeitsteiliger Projekte. Noch heute erinnern beispielsweise die Namen
berühmt gewordener Geschwisterpaare, wie die der Gebrüder Grimm oder
der Geschwister Herschel daran. Bis zur Jahrhundertmitte war sogar die
Vergabe von Universitätsämtern von familiären Strukturen geprägt (Vgl.
Baumgarten 1997). Familiäre Zusammenarbeit wurde durch Eheschließung
begründet. So stellte Ann B. Stheir insbesondere für die Frühphase
der Botanik in England fest, dass Frauen durch die Ehe sowie durch häuslich-gesellige
Verbindungen einen Zugang zur Wissenschaft fanden: “Home was where
natural history enthusiast of both sexes and various social classes
pursued their hobbies, studying plants, consulting handbooks, and
corresponding with the likeminded.” (Stheir 1987, S. 41) Briefkorrespondenzen spiegeln derartige
Netzwerke wider und lassen Rückschlüsse auf Gemeinschaftswerke zu,
auch wenn diese „öffentlich“, d.h. in Form von Publikationen, als
Leistung eines einzelnen, zumeist mit einem universitären Amt
betrauten Gelehrten, erschienen. Obwohl Frauen keinen Zugang zu diesen
Ämtern hatten, waren sie informell jedoch Teil der gelehrten
Gemeinschaft: „Looking at science as a culture, rather than as an
intellectual activity, shows that some women were ensconed within a
community that formally excluded them.“ (Lindsay
1998, S. 631) Die umfangreichen Briefkorrespondenzen in dem von
mir untersuchten Zeitraum sind Ausdruck einer von Familie und
Geselligkeit geprägten Wissenschaftskultur und signalisieren darin
den Unterschied zu heutigen, professionalisierten Arbeits- und
Organisationsformen. Hier böte sich auch ein Ausgangspunkt für
weitere Studien zur Organisation und Funktion wissenschaftlicher
Arbeit in kultur- und alltagsgeschichtlicher Perspektive.
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