„Entziehen
Sie uns nicht Ihren Rath.“
Eine
Studie zum Briefwechsel Alexander von Humboldts mit den Ehefrauen berühmter
Gelehrter.
Ina
Lelke (Ina.Lelke@berlin.de)
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4.
Witwen als Verwalterinnen eines wissenschaftlichen Erbes
Mit
dem Verlust des Ehemannes verschloss sich für viele Frauen häufig
die Möglichkeit, über dessen Amt ein eigenes Betätigungsfeld zu
finden, mitunter setzte sogar der soziale Abstieg ein. Schiebinger
schilderte z.B. die Schwierigkeiten der Astronomin Maria
Kirch-Winkelmann, die nach dem Tod ihres Mannes gehofft hatte, sein
Amt in der Akademie der Wissenschaften übernehmen zu können (Schiebinger
1993, S. 138fff.). Sie hatte sich an der Seite ihres Ehemannes
durch eigene Leistungen ausgezeichnet und somit für die offizielle
Akademiemitgliedschaft qualifiziert. Doch obwohl alten
Zunfttraditionen gemäß ein Anspruch der Witwe auf dieses Erbe
berechtigt war, bestimmte die Gelehrtenkorporation einen Mann für die
freigewordene Stelle.
Gleichwohl
versuchten im 19. Jahrhundert Witwen auf andere, weniger sichtbare
Weise die Arbeiten ihrer Ehemänner zu vollenden und trugen damit
letztendlich zum Ruhm der bereits verstorbenen Gelehrten bei: Sie
ordneten den wissenschaftlichen Nachlass und sorgten dafür, dass er
der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Beispielsweise publizierte
Therese Huber, trotzdem sie geschieden und inzwischen neu verheiratet
war, aus dem Briefwechsel des verstorbenen Naturforschers Georg
Forster (Vgl. Huber 1829).
Dass
Alexander von Humboldt auch Witwen unterstützte und förderte,
insbesondere wenn sie ihm persönlich nahe standen, bezeugt am
deutlichsten sein Engagement für Henriette Herz. In der Forschung ist
seit langem bekannt, dass Humboldt als Berater des Königs eine
Pension für die Witwe erwirken konnte (Schmitz
1984, S. 402f.). Henriette Herz verfügte einstmals über einen
bedeutenden Salon. An der Seite ihres Ehemannes Markus Herz, der in
seinem Haus u.a. Privatvorlesungen über Physik hielt, führte sie
dort selbst kleine physikalische Experimente vor. Nach dem Tod ihres
gelehrten Mannes war sie auf Hilfe angewiesen, da die Eheleute keine
Kinder hatten.
Wie
ich nun anhand meiner Recherchen feststellen konnte, engagierte sich
Humboldt auch ein weiteres Mal für die Witwe eines Gelehrten. Am
1.8.1836 schrieb er an die Witwe des Mediziners Friedrich Reinhold
Dietz.
Dieser verfügte über ausgezeichnete altphilologische Kenntnisse, so
dass er vor allem auf dem Gebiet der Medizingeschichte tätig wurde.
Dietz gab kommentierte Texte aus der hippokratischen Sammlung heraus.
Daraufhin gewährte ihm die preußische Regierung eine
wissenschaftliche Reise durch Frankreich, Italien, England und
Spanien, um ihm Forschungen über die in den großen Bibliotheken
befindlichen Manuskripte der griechischen und arabischen Ärzte und
vorzugsweise vergleichende Untersuchungen über den Text der
Handschriften zu ermöglichen. Humboldt schätzte die Arbeiten so
sehr, dass er in dem besagten Brief versuchte, die Witwe Dietz zu
einer Publikation aus dem Nachlass des Professors anzuregen. Das
Vorhaben hatte Humboldt bereits schon vorbereitet: „Gleich in den
ersten Tagen, als die traurige Nachricht zu uns gelangte, that ich
Schritte bei dem Ministerium wegen der Manuscripte, unter denen sich
ein sehr wichtiges Heft über die chemischen Kenntnisse der späteren
Griechen finden muß, auf dessen Herausgabe ich lange schon drang.“
Er sicherte der Witwe auch weitere Unterstützung zu: „Der Herr
Minister v. Altenstein ist schlechterdings nicht zu umgehen. Sie müssen
bei ihm die Bitte um eine Entschädigungssumme für den litterarischen
Anlaß eingeben, er befürwortet dieselbe dann bei dem König und bei
den freundlichen Verhältnissen in denen ich mit dem Minister stehe,
werde ich die Zeit abmessen können wenn in dem Geh. Cabinett Sr. Maj.
eine Fürsprache von meiner Seite, als mit den Verdiensten des
Verewigten besonders bekannt, Ihnen hoffentlich nützlich werden
kann.“
Soweit
ich aufgrund des mir zur Verfügung stehenden Materials ermitteln
konnte, erschien im Jahr 1838 tatsächlich eine Schrift aus dem
Nachlass von Dietz. Allerdings handelte es sich nicht um die
chemischen Kenntnisse der Griechen, sondern um antike Hebammenkunst.
Die Publikation trug den Titel „Sorani Ephesii de arte obstetricia
morbisque mulierum quae supersunt“.
Wer
hatte sich für die Herausgabe dieser Schrift entschieden? In einschlägigen
Nachschlagewerken fehlt der Name des Herausgebers. Die biographischen
Angaben zu Dietz vermerken jedoch Christian August Lobeck als
Herausgeber dieses letzten Werkes (Vgl.
ADB, Bd. 5, S. 211).
Lobeck ist
ordentlicher Professor für klassische Philologie an der Königsberger
Universität gewesen. Von einer Edition seinerseits ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit auszugehen, denn schon bevor er sein Amt angetreten
hatte, übersetzte er des öfteren Abhandlungen für junge Mediziner.
Ob Witwe Dietz also den Bitten Humboldts nicht entgegenkam, sich
anders entschied und einen Freund mit der Ausgabe beauftragte oder ob
Lobeck die Witwe von der Notwendigkeit der Edition einer gynäkologischen
Schrift eher überzeugen konnte – alles das muss vorerst im Bereich
der Mutmaßungen verbleiben. Um die Umstände der Herausgeberschaft gänzlich
klären zu können, bedarf es der Auswertung weiteren
Quellenmaterials.
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