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„Entziehen
Sie uns nicht Ihren Rath.“
Eine
Studie zum Briefwechsel Alexander von Humboldts mit den Ehefrauen berühmter
Gelehrter.
Ina
Lelke (Ina.Lelke@berlin.de)
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2. Unsichtbare Gehilfen im Bereich der
Astronomie
Anhaltspunkte
auf Mitarbeit ergaben sich besonders in Hinblick auf die untersuchten
Astronomenfamilien. Damit scheint sich ein weiteres Mal die These
Londa Schiebingers zu bestätigen, dass die Nähe dieser Wissenschaft
zur Handwerkstradition und der häusliche Ort der astronomischen
Observationen, die Beteiligung von Frauen begünstigte (Schiebinger
1993, S. 143ff.). Doch zunächst möchte ich die einzelnen, von
mir untersuchten Fallbeispiele vorstellen, um dann anschließend zu überprüfen,
inwieweit sie möglicherweise über Schiebingers Ergebnisse
hinausgehen.
2.1.
Familie Mädler | 2.2. Familie
Arago | (zum Anfang)
2.1.
Familie Mädler
Nach
1840 (die Datierung ist nachträglich vorgenommen worden) richtete
Alexander von Humboldt zwei Briefe an die Familie des Astronomen
Johann Heinrich Mädler. Beide Briefe enthalten keine direkten
Anreden. Jedoch ist der eine Brief an die „Frau Staatsräthin Minna
Mädler“, die Ehefrau des Astronomen, adressiert. Alexander von
Humboldt bittet darin: „[....] Ihnen, Gnädigste einmal wieder persönlich
meine Verehrung bezeigen zu können; durch Sie Nachricht von meinem
vortreflichen Freunde zu erhalten [...] Möchten Sie Sonnabend um 2
Uhr frei sein u. mich beglücken.“
Der andere Brief lässt anhand seiner Grußformel erkennen, dass er an
den Ehemann gerichtet ist: „Empfangen Sie und die geistreiche Frau
Directorin den erneuerten Ausdruk meiner innigsten Verehrung und
Hochachtung.“
Doch der Inhalt des Briefes bezieht sich auf ein Werk, dessen sich die
Schwiegermutter Mädlers rühmen durfte und das einen Grundstein der Mädlerschen
Karriere bilden sollte. Dazu später mehr.
Woher
resultierte das Interesse Alexander von Humboldts für diese beiden
Damen? Auf den ersten Blick scheint es, als wäre es ihm vor allem um
seinen „vortreflichen Freunde“ gegangen. Humboldt kannte Mädler
noch aus dessen Berliner Zeit. Geboren in Berlin, strebte Johann
Heinrich Mädler das Lehramt an und veröffentlichte ein Lehrbuch der
Schönschreibekunst. Seine astronomischen Kenntnisse hatte er
autodidaktisch erworben. Die Laufbahn als Gelehrter wurde durch eine
folgenreiche Begegnung mit Wilhelm Beer, der zu seinem Gönner
avancierte, eingeleitet. Die spätere Ehefrau Mädlers setzte dieser
Begegnung in einer Publikation zur Biographie ihres Mannes ein
Denkmal: „Als Hülfsarbeiter bei der Königlichen Sternwarte in
Berlin, kam er mit dem Kommerzienrat Wilhelm Beer in Berührung. Beer
ließ sich von ihm in die Geheimnisse der höheren Mathematik und
Astronomie einweihen, und fasste bald ein solches Interesse namentlich
für letztere Wissenschaft, dass er in seiner Villa im Thiergarten
sich seine eigene Sternwarte herrichtete, sie mit ausgezeichneten
Instrumenten versah, und so Mädler in den Stand setzte, in seinen Mußestunden
nun auch die Astronomie praktisch zu betreiben. Man weiß mit welchem
glänzenden Erfolg dies geschah. [...] Während die Resultate der
letzteren Beobachtungen hauptsächlich in den astronomischen
Nachrichten mitgeteilt wurden, benutzten Beer und Mädler das reiche
in 600 Nächten durch Beobachtung des Mondes gewonnene Material 1834
zur Herausgabe ihrer berühmten Mappa selenographica, welche in
300facher Vergrößerung die Mondoberfläche mit soviel Einzelheiten
darstellt, wie etwa eine auf einem Quartblatte dargestellte Karte von
Frankreich aufzeigen würde.“ (Mädler
1888, S. 145)
Über
diese Arbeiten trat Mädler in Briefwechsel mit Gauß, welcher ihn als
Direktor für „eine der erledigten Sternwarten“, genaugenommen für
das Dorpater Observatorium vorschlug (Zit.
nach: Eelsalu/ Herrmann 1985, S. 32). Mädler erhielt diese Stelle
und am 18. Juni 1840 sogar eine ordentliche Professur an der Universität
in Dorpat. Vor seinem Weggang aus Berlin war es ihm aber noch
gelungen, wichtige Verbindungen mit den berühmtesten Gelehrten seiner
Zeit zu knüpfen. So gründete er im Jahr 1828, inspiriert von den
Kosmos-Vorlesungen, gemeinsam mit seinem Gönner, Wilhelm Beer sowie
mit Zeune, Chamisso, Alexander von Humboldt, Lichtenstein und Ritter
den Verein für Erdkunde (Mädler
1888, S. 150).
Abgesehen
von der Bekanntschaft mit Beer erlebte Mädler aber noch eine weitere
in bezug auf seine Profession folgenreiche Begegnung. Bei einem Besuch
der Pyrmonter Naturforscherversammlung (September 1839) traf er auf
Wilhelmine Witte, seine zukünftige Schwiegermutter. Dieses Treffen
war nicht ganz zufällig, Frau Witte aus Hannover hatte es selbst
lange vorbereitet. Sie beabsichtigte, ihr eigenes Werk zu präsentieren.
Als Hofrätin und „Mutter einer zahlreichen Familie“ hatte sie
schon früh „Neigung zu den Studien und namentlich der Mathematik
gezeigt, mit der sie sich, auch in den höhern Theilen derselben,
hinreichend vertraut machte.“ (Mädler
1862/63, S. 396) Und weiter heißt es in der Darstellung Mädlers
über berühmte Astronominnen, zu denen er u.a. neben Mary Somerville
und Karoline Herschel – die selbst zu astronomischen Fragestellungen
publiziert hatten – die eigene Schwiegermutter zählte: „Als
lohnendste Anwendung derselben [der Mathematik – d.R.] erschien ihr
die Astronomie, die fortan ihr Lieblingsstudium bildete. In ihrer
Vaterstadt stand sie in dieser Beziehung allein und war auf sich
selbst und die sich immer reicher entfaltende Literatur angewiesen
[...] Wilhelmine Witte besaß ein achromatisches Fernrohr, mit dem sie
namentlich den Mond fleißig beobachtete und endlich auf die Idee
gerieth, aus den vorhandenen Mondkarten mit Zuziehung ihrer eigenen
Beobachtungen eine Reliefkugel des Mondes zu bilden.“ (Ebenda)
Diese Reliefkugel gelang Wilhelmine Witte jedoch vollends erst unter
Einbezug der großformatigen Mädlerschen Mondkarten. Als Autodidaktin
hatte sie aber bislang keinen privaten Gönner oder Förderer finden können.
Doch die Naturforscherversammlung bot ihr nun endlich einen guten
Anlass, um die Mondhalbkugel (Durchmesser ca. 30 cm) einem gelehrten
Publikum vorzustellen – und Mädler war begeistert. In dem
Astronominnen-Artikel würdigte der Verfasser, indem er sein eigenes
Urteil einfließen ließ, diese Leistung wie folgt: „Hier war nicht
die Rede von einer bloß fleißigen und mühsamen Dilettantenarbeit,
wie er es allenfalls erwartet hatte; hier lernte er eine Meisterin
kennen, die mit gerechtem Stolz auf ihr schönes Werk blicken konnte.
Von der Naturforschersammlung in Pyrmont kam dieser Globus nach
Berlin, wo ich ihn mehreren Gliedern des preußischen Königshauses
vorzuzeigen die Ehre hatte. Humboldt, der ihn bei mir sah, erklärte,
dass ein solches Werk Berlin nicht wieder verlassen dürfte, und auf
seinen Vorschlag kaufte ihn der König Friedrich Wilhelm IV. für die
dortigen Kunstsammlungen.“ (Ebenda,
S. 397)
Eben
dieses Engagement dokumentiert einer der von mir untersuchten Briefe
Alexander von Humboldts. Es heißt darin: „Der König hat mir
gestern Abend ,bei Mädlerschem Mondschein’ auf einer nächtlichen
Wasserfahrt, mit vielem Interesse von dem beschlossenen Ankauf des
herrlichen Mondglobus der Frau Hofräthin W. gesprochen. Er wünscht,
da Er für viele Bedürfnisse jezt gleichzeitig sorgen muss, dass die
Beleuchtungskosten Ihres Mondes 200 Friedrichs d’or nicht übersteigen
mögen.“
Humboldt war also an der Würdigung des Witteschen Werkes wesentlich
beteiligt, auch wenn er sich in dem Brief nur an den Schwiegersohn
wandte.
Für
Mädler war das Mondrelief ein Hilfsmittel von wissenschaftlicher
Qualität. Er trug darüber nicht nur in Pyrmont vor, sondern noch
1857 auf der in Bonn stattfindenden Naturforscherversammlung. Zur
Bedeutung des Reliefs hielt er fest: „ Ich habe mich [...] durch
genaue Prüfung überzeugt, dass hier wirklich allen Anforderungen der
Kunst und Wissenschaft entsprochen und dass die Treue der Nachbildung
unübertrefflich ist. Da durch eine leichte und einfache Vorrichtung
der Globus in jede Lage gebracht und erhalten werden kann, so richtete
ich ihn gegen die Sonne, produzierte so beliebig alle Phasengestalten
und betrachtete ihn nun aus einiger Entfernung durch ein Fernrohr, wo
ich zu meiner freudigsten Überraschung alle Schattenkonturen,
abgetrennte Lichtinseln u. dgl., wie sie mir durch meine zahlreichen
Mondbetrachtungen sehr gut erinnerlich waren, wiederfand [...]. Es hat
also nun die Plastik ausgeführt, was die Grafik nicht vermochte: wir
können alles auf unserem Nachbarplaneten Erkennbare nun buchstäblich
mit Händen greifen, und gelingt eine Vervielfältigung dieser Arbeit
durch Abdrücke [...], so besitzt das Publikum ein Werk, das man
vielleicht noch vor einem Jahrzehnt für unausführbar betrachtet hätte
[...].“ (Zit. nach: Eelsalu/
Herrmann 1985, S. 31)
Die
Vervielfältigungen gelangen, Modelle der Mondhabkugel gingen in den
Besitz der Kunstkammern Georgs V. sowie in den Besitz John Herschels
über. Wilhelmine Wittes Leistung wird in biographischen Ausführungen
über Johann Heinrich Mädler als wichtiger Abschnitt seiner
professoralen Karriere angeführt.
Das
Leben der Ehefrau Mädlers, welches sich ebenfalls in sein Werk
einordnete, ist ohne diese etwas längere Vorgeschichte nicht
ausreichend zu verstehen. Sie ist nämlich ein Indiz dafür, dass
Minna Witte nicht ganz ohne astronomische Vorkenntnisse die Ehe mit
Johann Heinrich einging. Auf der Pyrmonter Naturforscherversammlung
erwarb Mädler nämlich nicht nur den spektakulären Mondglobus,
sondern gleichzeitig eine zukünftige Assistentin und Lebenspartnerin.
Nach
der Begegnung mit Hofrätin Witte, die auf ihrer Reise von ihrer
Tochter Minna begleitet worden war, hielt der Gelehrte sogleich um
deren Hand an. Der Öffentlichkeit war Minna Witte bereits durch den
Gedichtband „Lilli“, den sie mit 16 Jahren publiziert hatte,
bekannt. „Die 1000 Stück umfassende Auflage dieses Bändchens war
innerhalb von 8 Tagen vergriffen. Auch später trat sie mit
verschiedenen Dichtungen hervor.“ (Ebenda)
Die öffentliche Wertschätzung als Dichterin verdeckt aber, dass
Minna Mädler ihr Talent und ihre im Hause Witte erworbenen Fähigkeiten
auch dazu nutzte, um sich gemeinsam mit dem Ehemann auf dem Feld der
Astronomie zu betätigen. Sie begleitete ihren Mann auf fast allen
seinen zahlreichen Reisen. In einem Brief heißt es, dass ein „Herr
von Rennenkampf“, ein Liebhaber der Astronomie, „bei der letzten
totalen Sonnenfinsternis in Spanien nebst Frau Minna Herrn Mädler
assistierte [...]“ (Ebenda, S.
72). Mädler bezeichnete sie selbst als „ma femme
m’accompagnera“ (Zit. nach: Ebenda, S. 66). Die Spanien-Expedition wertete der
Astronom in verschiedenen Artikeln aus, dazu fügte er als Beilagen
die Beobachtungsberichte bei, die der Diener seiner Sternwarte und die
seine Ehefrau verfasst hatten (Ebenda).
In dem 96 Seiten umfassenden Gesamtbericht über die beobachtete
Sonnenfinsternis befand sich unter den Zeichnungen eine eigene und
eine von der Hand seiner Frau (Ebenda,
S. 67). So konnte der Kurator des Dorpater Lehrbezirks mit Recht
über Minna Mädler behaupten: „Sie half ihm auch bei seinen
astronomischen Arbeiten [...].“ (Zit. nach: Ebenda, S. 73) Diese Tatsache mag zwar zunächst
erstaunen, denn Mädler stand an der Dorpater Sternwarte ein eigenes
Dienstpersonal zur Verfügung. Doch seine weitläufigen Reisen mögen
es mit sich gebracht haben, dass er auf eine vertraute Person
angewiesen war, welche die Möglichkeit hatte, ihn jederzeit begleiten
zu können. Davon abgesehen, übernahm Minna Mädler auch andere
Aufgaben, die ihrem dichterischen Talent näher lagen. Schon der
Mathematiker C. G. J. Jacobi äußerte über den Dorpater Professor
etwas spitz: „[...] die Reden macht ihm seine Frau, die hannöversche
Sappho.“ (Zit. nach: Ebenda,
S. 72) Auf der Bremer Naturforscher-Versammlung von 1844 sollte
diese Zuarbeit deutlich werden. In Bremen hatte sich einige Zeit zuvor
ein Olbers-Verein gegründet, der dem 1840 verstorbenen Gelehrten ein
Denkmal errichten wollte. Mädler berichtete über die Versammlung:
„Am 21. September nach einem von mir gehaltenen astronomischen
Vortrage, an dessen Schluss ich auch der Verdienste Wilhelm Olbers’
erwähnte, forderte mich der Senat der Stadt und der Vorstand des
gedachten Vereins auf, die Einweihungsrede auf dem zur Aufstellung des
Denkmals eingerichteten Platze [...] zu halten. Gern entsprach ich
diesem Begehren und schloss meine Rede mit dem Gedicht, welches meine
auf dieser Reise mich begleitende Gattin auf meine Bitte niederschrieb
[...]. Gegen 5000 Zuhörer aus allen Ständen wohnten in lautloser
Stille der Feierlichkeit bei.“ (Zit.
nach: Ebenda, S. 61) Minna Mädler erhielt dafür, möglicherweise
aber auch für weitergehende Verdienste, eine Medaille, die der Enkel
von Olbers (Dr. W. Pocke) überreichte. Anlass und Bedeutungsgehalt
dieser Ehrung müssten noch einmal eingehender untersucht werden.
Minna Mädler nahm übrigens eine Publikation dieser Verse vor, sie
erschienen in der Gedichtsammlung von 1848 unter ihrem eigenen Namen (Mädler
1848, S. 118f.). Alexander von Humboldt bezeichnete die Ehefrau Mädlers
in einem Brief auch als dessen „kluge Lenkerin“.
Da
die Eheleute so eng zusammen arbeiteten und Mädler durchaus gern mit
den Worten seiner Frau an die Öffentlichkeit trat, ist letztendlich
der Anteil Minna Mädlers schwer bzw. kaum noch zu eruieren. Schließlich
wurden ihre Leistungen nicht immer so auffällig geehrt wie in Bremen.
Meines Erachtens ist daher auch die Autorschaft des
Astronominnen-Artikels Johann Heinrich Mädlers mit Vorsicht zu
betrachten. Sicher mögen ihn seine Erfahrungen dazu bewegt haben, den
Anteil von Frauen an der von ihm betriebenen Wissenschaft zu würdigen.
Doch nach dem wenigen, was bisher über Minna Mädler bekannt ist, lässt
sich ein Interesse an diesem Thema von ihrer Seite kaum ausschließen.
Berücksichtigt man auch das später einsetzende
wissenschaftshistorische Interesse Mädlers, so muss doch davon
ausgegangen werden, dass seit der Eheschließung die meisten Arbeiten
kollaborativ entstanden. Sie waren eben keine „Einzelleistungen“.
Auffällig ist, dass in dem Astronominnen-Artikel die Verdienste
Karoline Herschels geschildert werden, die der damals noch
unverheirateten Minna ein Gedicht über Herschels Teleskop verehrte,
sowie die Verdienste Wilhelmine Wittes (Mädler
1862/63, S. 392f. sowie S. 396ff.). Gewöhnliche Ressentiments
gegenüber dem anderen Geschlecht versucht der Artikel konsequent zu
widerlegen. Auf die Frage: „Und sollen wir uns noch auf den andern
Vorwurf einlassen, dass ernste Wissenschaft die häuslichen Pflichten
des Weibes in den Hintergrund treten lasse und zu deren Vernachlässigung
führe?“ wird folgende Antwort gegeben: „Wir wissen nicht
anzugeben, welches Vorbild Schiller bei seiner ,berühmten Frau’ im
Auge hatte, das aber wissen wir, dass keine Astronomin ihm dabei
gesessen habe. Der Verfasser, dem ein günstiges Geschick vergönnt
hat, die persönliche Bekanntschaft von mehr als einer dieser Zierden
ihres Geschlechts zu machen, kann nur den Wunsch hegen, dass es auch
in der Häuslichkeit aller nichtwissenschaftlichen Frauen so wohl
bestellt sein möge als bei denen, die der Pflege ihres Geistes in der
oben geschilderten Weise oblagen.“ (Ebenda,
S. 398) Deutlich benannt wird, warum so viele Frauen einen Zugang
zur Astronomie finden konnten, trotz der so schwierigen
„astronomischen Berechnungen“: „Denn eine Vertrautheit mit
diesen macht erst aus dem bloßen Beobachter den wahren Astronomen;
erst der strenge Calcul kann die Sicherheit gewähren, die
insbesondere unsere neuere Astronomie auszeichnet, und eine richtige
Beurtheilung und Würdigung des Gesehenen ermöglichen.“ (Ebenda)
Voraussetzung astronomischen Arbeitens ist also gerade die
Vertrautheit mit den Berechnungen. Abschließend weiß der Artikel den
Frauen sogar eine Fähigkeit zuzuschreiben, die quasi ,medizinisch’
belegt sei und die sie in besonderer Weise dazu prädestinieren würde,
die Forschungsdesiderate der neueren Astronomie einzulösen: „Schon
die alten Maler haben es erkannt, dass gebildeten Frauen ein bei
Weitem feinerer Sinn und ein viel sicheres Urtheil
über Farben eigen sei als Männern [...]. Sie haben in
schwierigen Fällen stets Damen zu Rathe gezogen und bei diesem Rathe
sich wohl befunden. Die gar nicht seltene partielle Farbenblindheit,
zum Beispiel die Unfähigkeit, Roth zu erkennen oder es vom Grün zu
unterscheiden, ist beim andern Geschlecht fast unerhört. Ein
Augenarzt, der fünfzehn an diesem Übel Leidende behandelt hatte, zählte
unter ihnen nur eine Frau, und bei dieser fand es nur in geringem
Grade statt. Wäre es also nicht wohlgethan, dieses Feld den künftigen
Lepaute’s und Somerville’s zu überlassen in Anbetracht der vielen
andern, die der Zukunft noch vorbehalten sind? Wir zweifeln nicht,
dass diese Beschäftigung ihnen zusagen würde; wir zweifeln eben so
wenig, dass eine sichere und in’s Specielle gehende Kenntnis der
Farben insbesondere der Doppelsterne uns Aufschlüsse über die Physik
der Weltkörper geben werde.“ (Ebenda, S. 399). Derartige Publikationen, welche die Leistungen der
Astronominnen würdigen, sind äußerst selten. 1786 gab der französische
Astronom Jérôme de Lalande erstmals eine kurze Geschichte weiblicher
Astronomen heraus (Schiebinger
2000, S. 38).
Insgesamt
ist also festzustellen, dass Alexander von Humboldt sich in dem
eingangs erwähnten Brief an die „Staatsräthin Minna Mädler“ an
eine Frau wandte, die nicht nur für ihre Dichtungen bekannt, sondern
die sozusagen aus erster Hand mit dem Forschungswerk ihres Mannes
vertraut war. Wenn er sie um Nachrichten von seinem „vortreflichen
Freunde“ bat, so konnte er damit rechnen, dass sie als Kompagnon
ihres Ehemannes auch eine detaillierte Auskunft über dessen
Forschungsabsichten zu geben wisse. Lässt der Brief auch keine
direkten Hinweise auf die Mitarbeit zu, so haben doch die einbezogenen
Quellen gezeigt, in welcher Weise Minna Mädler zum Lebenswerk ihres
Mannes beigetragen hat.
Dass
die wissenschaftlichen Unternehmungen der Forscher das gesamte
Familienleben in Anspruch nehmen konnten und dass die Familie eines
Astronomen mitunter nicht nur mit den Forschungsinstrumenten sondern
sogar in ihnen lebte, demonstriert das Gedicht über Herschels
Teleskop, welches Minna Mädler übersetzte. John Herschel dichtete
die heiteren Verse, um gemeinsam mit seiner Familie im abgebauten Rohr
des 40füßigen Teleskops seines Vaters das alte Jahr (1839) zu
verabschieden: „Wie sitzen im alten Tubus gereiht,/ und Schatten
umziehn uns vergangener Zeit./ Sein Requiem singen wir schallend und
klar,/ indem uns verlässt und begrüßet ein Jahr.
Chor: Fröhlich und lustbewegt singet, o singt,/ dass rasselnd
der alte Tubus erklingt!“ (Mädler 1840, S. 323)
In
den Korrespondenzen Alexander von Humboldts konnte ich noch weitere
Indizien sammeln, die auf die Einbeziehung der Familienmitglieder in
die Forschungsarbeit der Gelehrten schließen lassen. Schon Minna Mädler
deutete auf diesen Zusammenhang, als sie die Worte des Astronomen
Bessels wiedergab, den sie mit seiner Tochter in Königsberg
angetroffen hatte: „Sehn Sie, sagte ihr Vater, ihre Wange
streichelnd, dieses junge Kind ist mit der Sorge für alle meine Uhren
und Chronometer betraut, die sie aufzieht und vortrefflich in Ordnung
hält. Hier auf der Sternwarte sind wir alle im Dienste der Astronomie
beschäftigt.“ (Mädler 1888, S. 152). Ähnliches dokumentiert der Briefwechsel
Humboldts mit Lucie Laugier, auf den ich abschließend eingehen möchte.
2.1.
Familie Mädler | 2.2. Familie
Arago | (zum Anfang)
2.2.
Familie
Arago
An
Lucie Laugier formulierte Humboldt in einem Brief von 1854 sehr genaue
und detaillierte Bitten. Der Brief ist neben einer Publikation im
Arago-Briefwechsel auch als Abschrift erhalten (Vgl.
Hamy 1907, Nr. 122). Die Bitten in diesem Brief
konzentrierten sich auf insgesamt drei Fragen. Humboldt wollte von
seiner Korrespondenzpartnerin wissen, wann der Physiker Malus die große
Entdeckung mit dem Sonnenuntergang am Fenster des Palais Luxembourg
gemacht habe.
Humboldt glaubte, diese in seinem Kosmos
falsch datiert zu haben. Des weiteren wollte er wissen, in welchem
Monat und Jahr er sich mit Arago im Observatorium in Greeenwich
aufgehalten habe. Als drittes fragte er nach, in welchem Jahr er
gemeinsam mit Arago und Mathieu die Deklination der Sterne observiert
habe. Warum wandte Humboldt sich mit diesen Fragen aber ausgerechnet
an Lucie Laugier?
Alexander
von Humboldt lernte Lucie bereits als Kind kennen und bezeichnete sie
auch als „enfant spirituel“ (Ebenda,
Nr. 123, S. 353). Lucie war die Nichte des berühmten Astronomen
Arago, mit dem Humboldt nicht nur gemeinsam observierte, sondern der
bekanntlich zu seinem engsten Freundeskreis zählte. Humboldt hatte während
seines Aufenthaltes in Paris 1809 bis 1811 ein Zimmer mit Arago
geteilt. Lucies Vater, Claude Louis Mathieu, hatte einen ähnlichen
Aufstieg wie Johann Heinrich Mädler vollzogen. Als Sohn eines
Tischlers trat er in die Pariser polytechnische Schule ein und
erlangte eine Stelle an der dortigen Sternwarte, die er übernehmen
konnte, nachdem sein Freund Arago wegen der Meridianmessung nach
Spanien gegangen war. Mathieu erlangte mehrfach Preise der Akademie,
deren Mitglied er 1817 wurde, und erhielt eine Professur für Analysis
und Mechanik. Humboldt lernte ihn persönlich während der gemeinsamen
Beobachtungen mit Arago kennen. Wenn Humboldt nun in seinem Brief sich
auf diese Bekanntschaft bezieht und sich damit an Lucie Laugier
wendet, dann ausdrücklich auch im Namen ihres Vaters („en grâce á
M. votre Père [...]“). Sollte Lucie Laugier die ihr gestellten
Fragen aber eventuell nur an ihren Vater weitergeben?
Dem
Wortlaut des Briefes zufolge ist diese Frage nicht endgültig zu
entscheiden. Dagegen steht aber, dass Lucie Laugier nicht nur über
enge Verbindungen zu Mathieu und Arago verfügte, sondern quasi als
,Mittelsfrau’ auch in Hinblick auf eine weitere, bedeutende
astronomische Leistung angesprochen werden konnte. Ihr Ehemann,
Auguste Ernest Paul Laugier, arbeitete ebenfalls als Astronom. Im Jahr
1854 hielt er während einer öffentlichen Vorlesung in der Akademie
einen Festvortrag über Malus. An dieser Akademiesitzung nahm Lucie
Laugier teil (Hamy 1907, Nr. 123, S. 354). Bis zu diesem Jahr lebten die
Hinterbliebenen Aragos, die Familien Mathieu und Laugier gemeinsam in
einer Wohnung der Pariser Sternwarte, in der auch Humboldt viele Jahre
verbracht hatte.
Daher
wirft der Brief Humboldts bei genauem Hinsehen ein bezeichnendes Licht
auf die Arbeitszusammenhänge Aragos. Die Organisation seiner Arbeit
wurde durch die familiären Bande gestützt und teilweise durch diese
erst ermöglicht. Lucie Laugier stand im Schnittpunkt dreier
bedeutender Gelehrtenfamilien. Ihre eigenen Leistungen bleiben dabei
im Hintergrund. Um sie zu ermitteln, müsste weiteres Brief- und
Quellenmaterial studiert werden. Während anzunehmen ist, dass Lucie
bereits als Kind in astronomische Praktiken eingeweiht worden war,
bildete die Ehefrau Aragos eher eine Ausnahme bezüglich der von mir
untersuchten Fallbeispiele.
Marie-Suzanne-Lucie
Arago schrieb Alexander von Humboldt im Jahr 1817 ausdrücklich, dass
sie mit keinerlei wissenschaftlichen Neuigkeiten aufwarten könne.
Sie sei viel zu häuslich, um sich in diese Sachen einzumischen und zu
wissen, was in der Gesellschaft passiere. Sie sei eine unbedeutende
Person und deshalb wenig würdig, mit Humboldt zu korrespondieren.
Immerhin gelang es dem Gelehrten dennoch, in Verbindung mit Madame
Arago zu bleiben (Vgl. Hamy 1907). Sicher beabsichtigte die Ehefrau Aragos mit diesem
Brief, dem berühmten Gelehrten in höflicher Weise ein Kompliment
auszusprechen, auch wenn sie dabei auf beliebte Geschlechterstereotype
rekurrierte. Doch Madame Arago verfügte andererseits tatsächlich
nicht über das Erfahrungswissen, welches Lucie Laugier besaß. Denn
sie stammte nicht aus einem astronomischen Elternhaus, in dem sie
entsprechende Fähigkeiten hätte erlernen können. Ihr Vater war der
Generalinspekteur des Saint-Quentin-Kanals (Vgl. Hamy 1907, S. 11, Anmerkung 2).
Zusammenfassend
ist also festzuhalten, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
astronomische Observationen als „family projects“ (Shteir
1987, S. 41) umgesetzt worden sind. Londa Schiebinger konstatierte
bereits für diesen Zeitraum einen beginnenden Ausschluss der Frauen
aus der Wissenschaft (Schiebinger
1993, S. 152). Er erfolgte zugleich mit dem
Institutionalisierungsprozess der modernen Wissenschaften. Seit dem
ausgehenden 18. Jahrhundert wurden die Sternwarten vom Wohnhaus der
Familien getrennt (Ebenda, S.
145). Die Einführung eines eigenen Dienstpersonals, das sich
zumeist aus Studenten oder anderen Angehörigen der Universität
rekrutierte, begünstigte den Ausschluss. Trotzdem zeigen die erwähnten
Beispiele, dass noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein damit
gerechnet werden muss, dass astronomische Arbeit kaum formalisiert war
und von einem Erfahrungswissen bestimmt wurde, welches nicht ausschließlich
auf Universitäten, sondern auch im Rahmen von ,vertrauten’ Bekannt-
und Verwandtschaften erworben werden konnte. Verschiedene
Untersuchungen bestätigen diesen Befund ebenso für andere Nationen.
So arbeitete z.B. Margaret Huggins (1848-1915) gemeinsam mit ihrem
Ehemann (Vgl. Ogilvie 1987).
Er veröffentlichte die Arbeiten jedoch unter seinem Namen. Den Zugang
zu wissenschaftlichen Praktiken fand Margaret Huggins durch ihren Großvater,
einen „amateur astronomer“,
sowie durch autodidaktische Wissensaneignung (Ebenda,
S. 110). Astronomische Observationen setzten eine Vertrautheit mit
den Instrumenten und Erfahrungen im Beobachten und Messen voraus.
Insofern Frauen dieses Wissen über familiäre Verbindungen erwerben
konnten, bot sich ihnen die Möglichkeit, in einem begrenzten Rahmen
an wissenschaftlichen Unternehmungen zu beteiligen. Monika Mommertz
hat zu dieser Eigenart der Astronomie bereits weitere Beispiele
aufgezeigt und auf die hinter der scheinbaren Transparenz des
institutionalisierten Gelehrten verborgen liegende, häusliche
„Schattenökonomie“ aufmerksam gemacht (Vgl.
Mommertz 2000). Die Briefe Humboldts werfen ein weiteres Licht
darauf.
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