Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     I, 1 (2000)
 
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Herbert Pieper: "Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick
und die seltenste Schnelligkeit der Kombination"

Zur Wahl Alexander von Humboldts in die Königliche Akademie
der Wissenschaften zu Berlin vor 200 Jahren

 

Alexander von Humboldts Leben und Wirken bis 1800

Leben und Wirken

In einem Brief aus dem Jahre 1806 schrieb Alexander von Humboldt: "Bis zu meinem sechszehnten Lebensjahr zeigte ich wenig Neigung zu wissenschaftlichen Dingen. Ich war eine unruhige Natur und wollte Soldat werden. Diese Wahl gefiel meiner Familie gar nicht, weil sie darauf bestand, daß ich Geschäftsmann werden sollte, [...]. Ich bin Autodidakt in fast allen Wissenschaften, mit denen ich mich so viel beschäftigt habe, und empfing mein Wissen verhältnismäßig spät." Humboldt ging nie in eine öffentliche Schule. Er ist von Hauslehrern unterrichtet worden. Wegen des von der Mutter gewünschten "juristisch-cameralistischen Kursus" besuchte Humboldt zwei Universitäten, die in Frankfurt/Oder und die in Göttingen. Zwischen dem Frankfurter Wintersemester (1787/88) und dem Göttinger Studienjahr (April 1789 bis März 1790) gab es ein Berliner Studienjahr. Es war allerdings kein Universitätsstudium, denn eine Universität gab es in Berlin noch nicht. Alexander von Humboldt beschäftigte sich teils im Selbststudium, teil angeleitet durch Gelehrte mit verschiedenen Fächern, wie praktischer Wirtschaftskunde, Mathematik, Zeichnen, Griechisch, Botanik.

Im Herbst und Winter 1790/91 lebte er, "wegen merkantilischer Kenntnisse", "als Zögling auf der Handelsakademie" in Hamburg. Mit der nächsten Station seiner Ausbildung, es blieb ihm nach seinen eigenen Worten "nur noch ein halbes Jahr [...] zu [s]einer Vorbereitung zu einem bürgerlichen Amte übrig", erfüllte er sich einen "heißen Wunsch", nämlich den, "nach Freiberg zu gehen". Die 1765 gegründete Freiberger Bergakademie war vor allem durch Abraham Gottlob Werner von bemerkenswerter Anziehungskraft. Noch vor der Aufnahme des Studiums an der Bergakademie, bewarb sich Humboldt erfolgreich um eine Anstellung bei der preußischen Bergwerks- und Hüttenadministration. Am 29. Februar 1792, kurz nach Beendigung des Freiberger Studiums, wurde ein Ministerialreskript ausgefertigt, nach dem "Se[ine] Majestät", der preußische König Friedrich Wilhelm II., beschlossen, Humboldt "bei der Bergwerks- und Hüttenadministration als Assessor cum voto anzustellen." Schon am 27. August 1792 konnte er einem Freund schreiben: "Ich bin gestern zum Königl[ichen] Oberbergmeister in den fränkischen Fürstenthümern [Bayreuth und Ansbach] ernannt worden. Ich habe mit meinen Grubenberichten so viel Ehre eingelegt, daß ich die alleinige direction des praktischen Bergbaus in den 3 Bergämtern Naila, Wunsiedel und Goldkronach erhalten habe. [...] Ich werde nun ganz dem prakt[ischen] Bergbau und der Mineralogie leben. Ich wohne auf dem hohen Gebirge in Steben und Arzberg, zwei Dörfern im Fichtelgebirge." Als Alexander von Humboldt im Februar 1795 die Stelle eines Oberbergmeisters von Schlesien angeboten wurde, lehnte er ab. Hätte er doch "schon vor Jahren" seinen "früh gefaßten Plan", sich "durch praktisch-bergmännische Geschäfte zu einer Reise" vorzubereiten, vorgelegt. "Warum lieber dem Reisen, den Wissenschaften als der Provinz Schlesien oder Westfalen nützlich werden?" wurde im Namen des Ministers des Bergwerks- und Hüttendepartments im Frühjahr 1795 noch einmal bei Humboldt angefragt. Dieser wurde zwar zum Wirklichen Oberbergrat befördert und zu "seinen vorhabenden auswärtigen Reisen" sollte ihm der "Urlaub nach Umständen ertheil[t]" werden, doch Ende des Jahres 1796 schied er aus dem preußischen Staatsdienst aus.

"Ich bereite mich jetzt ernsthaft zu einer großen Reise außerhalb Europas vor", schrieb er an Abraham Gottlob Werner. Die folgenden zweieinhalb Jahre dienten Humboldt in der Tat durch Exkursionen, Studien und Begegnungen der Reisevorbereitung. Im Frühjahr 1797 weilte er drei Monate in Jena und Weimar, im Spätsommer 1797 über zwei Monate in Wien, danach fünf Monate in Salzburg. Vom Frühjahr 1798 an war er etwa ein halbes Jahr in Paris. Hier fand er seinen zukünftigen Reisepartner Bonpland. Über Marseille, Barcelona und Valencia reisend trafen sie am 23. Februar 1799 in Madrid ein. Hier erhielten sie die Erlaubnis zu der Forschungsreise durch die spanischen Kolonien in Amerika.

 

Begegnungen und Ereignisse

Es gab bis zum Beginn der großen amerikanischen Forschungsreise einige Begegnungen und Ereignisse, die von Alexander von Humboldt für seine Entwicklung besonders wichtig angesehen wurden. Da ist zunächst der Verkehr des 16jährigen im geistreichen Kreis um den jüdischen Arzt und Kant-Schüler Marcus Herz hervorzuheben. Dessen Haus war ein Hauptmittelpunkt jener Berliner Geselligkeit, die sich im Geiste der Aufklärung zusammenfand, um über Gott und die Welt, über Wissenschaft und Gesellschaft zu plaudern. Herz hielt in seiner Wohnung Vorlesungen über Experimentalphysik, philosophische und medizinische Kollegien. Herz’ Wirkung auf Alexander von Humboldt wurde ergänzt durch die Gespräche im Salon der schönen Henriette Herz, die ein wenig Empfindsamkeit und Romantik in den Kreis hineinzutragen verstand.

Da ist in seinem Berliner Muße- und Studienjahr 1788/1789 die Begegnung mit dem Botaniker Carl Ludwig Willdenow, von dem Humboldt das Bestimmen von Pflanzen lernte. Willdenow machte Humboldt "in 3 Wochen [zum] enthusiastische[n] Botanist[en]". Willdenow hatte übrigens 1787 eine Flora von Berlin herausgegeben. Humboldt schrieb später: "Der Anblick exotischer Pflanzen, sogar der getrockneten in den Herbarien, erfüllte meine Einbildung mit den Genüssen, die die Vegetation wärmerer Länder gewähren muß. [...] Ich faßte seitdem den Entschluß, Europa zu verlassen".

Das Göttinger Studienjahr brachte ihm einen enormen geistigen Gewinn. Hier habe er "den edleren Teil [s]einer Bildung" empfangen, sagte er später einmal. Die 1734 inaugurierte Georgia Augusta war in der Tat der Ort, an dem nicht nur aufgeklärter Geist herrschte, sondern moderne Wissenschaft gelehrt wurden. Die Universität Göttingen war damals ein Zentrum der Pflege der Naturwissenschaften.

1789 begegnete Alexander von Humboldt Georg Forster, "den berühmten Naturforscher, der an der Weltreise mit Kapitän Cook teilgenommen hatte". Die Reise mit ihm (so schrieb Humboldt später) "übte meinen Verstand und bestärkte mich mehr als je zuvor in meinem Entschluß zu einer Reise außerhalb Europas. Zum ersten Mal sah ich das Meer damals bei Ostende [am 15. April 1790]". "Georg Forsters Schilderungen der Südseeinseln" gaben (wie Humboldt im "Kosmos" schrieb) "den ersten Anstoß" zu seiner "unvertilgbaren Sehnsucht nach der Tropengegend". Dem "geistreichen Georg Forster [verdanke er] die lebhafteste Anregung zu weiten Unternehmungen".

In London traf er 1791 den Göttinger forschenden Arzt und Chemiker Christoph Girtanner. Er machte Humboldt auf die dominierende Rolle der Naturwissenschaften in Frankreich aufmerksam, insbesondere auch auf Lavoisiers antiphlogistische neue Chemie. Zwei Jahre später schrieb Alexander von Humboldt an Girtanner: "Ihrem Aufsatz ‘Sur le principe de l’irritabilité’ [...] verdanke ich die Veranlassung, mich ernstlich mit dem antiphlogistischen System, oder vielmehr mit den antiphlogistischen Wahrheiten bekannt zu machen. Ich fing sogleich an selbst zu experimentiren, habe seit zwei Jahren mit grösster mir möglichster Anstrengung alles studirt, was sich nur irgend darauf bezieht, und bin von dem Oxygen als Princip der Lebenskraft [...] ebenso überzeugt, als sie es waren, da Sie mir in Green Park zuerst davon erzählten."

Humboldt hatte sich - wie erwähnt - schon vor seinem Studium in Freiberg in einem Brief an den Staatsminister Friedrich Anton Freiherr von Heinitz, den Chef des Bergwerks- und Hütten-, Münz- und Salz-Departements, erfolgreich um eine Anstellung im preußischen Bergwesen beworben. Mit der Tätigkeit als Bergbaubeamter entsprach Humboldt einerseits dem Wunsch seiner Mutter, andererseits aber auch seinen eigenen Neigungen: "Denn mit praktischem Bergbau will ich zu thun haben." Fand doch im Bergbau nahezu die gesamte Naturforschung ihre Anwendung. Humboldt hatte von Heinitz bei seinem Gesuch - wie er schrieb - "den Entwurf [s]eines künftigen öffentlichen Lebens" vorgelegt. Von Heinitz ermöglichte ihm, sich "in hochdero verschiedenen Departements [...] vollends aus[zu]bilden." Später lobte Humboldt "das ausgezeichnete Wohlwollen des Ministers". "Alexander von Humboldt hätte [in derTat] ohne einen Heinitz als Vorgesetzten einen weit schwierigeren Anfang seiner Laufbahn gehabt."

Über die Jahre in Steben schrieb Humboldt: "Steeben [...] hat [...] einen wesentlichen Einfluß auf meine Denkart gehabt, ich habe so große Pläne dort geschmiedet, mich dort so meinen Gefühlen überlassen, [...] war dort bes[onders] im Winter 1794 und Herbst 1793 in so einem immerwährenden Zustand der Spannung, [...]. Diesseits des Meeres finde ich mir so einen Ort nicht wieder!"

Ein wesentlicher Einschnitt, ein Wendepunkt, in Alexander von Humboldts Leben war der Tod seiner Mutter (am 19. November 1796). "Er befreite ihn vom Zwange kindlicher Pflicht, der bis dahin manchen seiner grossen Lebenspläne durchkreuzt hatte, er löste die Bande, die ihn an die Heimat knüpften, und gab ihm die reichsten Mittel zur Ausführung der lang gehegten, weit ausgesponnenen Reisepläne".

Er verließ Bayreuth Ende Februar 1797 und hielt sich zunächst drei Monate in Jena, im Hause seines Bruders, auf. Er hörte Vorlesungen an der Universität, bestieg die Berge in der Umgebung von Jena, immer beobachtend, messend. In Jena (und in Weimar) traf er wiederholt mit Goethe zusammen. Später schrieb er an Karoline von Wolzogen "wie mächtig jene Jenaer Verhältnisse auf mich gewirkt haben, wie ich, durch Goethes Naturansichten gehoben, gleichsam mit neuen Organen ausgerüstet worden war."

Von Mitte August 1797 bis Oktober 1797 weilte Alexander von Humboldt in Wien, "um dort die [botanischen] Reichtümer des Gartens von Schönbrunn zu studieren." Hier begegnete er "den verehrungswürdigen Patriarchen der Botaniker" Nikolaus Joseph von Jacquin, und den Wiener Universitäts-Obergärtner, Joseph van der Schot, die seine die große Reise "vorbereitenden Studien ausnehmend förderten."

Von Mitte Mai 1798 an arbeitete Humboldt fünf Monate in Paris, der Metropole der Naturwissenschaften. Hier machte er die Bekanntschaft namhafter Gelehrter; er hielt vier Vorträge in der Pariser Akademie der Wissenschaften. Humboldt: "Ich vervollständigte meine Instrumente, und die Ratschläge von Herrn de Borda [einem Mathematiker und Marineoffizier] wurden mir sehr nützlich." Er lernte Bonpland, "einen sehr guten Botanisten", kennen: "Diese Bekanntschaft war einer der glücklichsten Zufälle meines Lebens." Der französische Arzt und Botaniker Aimé Bonpland, den Humboldt später einen "so treuen, tätigen und mutigen Freund" nannte, wurde Humboldts Reisegefährte in Amerika.

 

Die Publikationen

Alexander von Humboldt war bereits vor seiner Südamerikareise als vielseitiger Naturforscher berühmt.

Nicht erst der aus dem Staatsdienst ausgeschiedene Privatgelehrte fand Zeit für wissenschaftlichen Forschungen, schon der Student in Göttingen und Freiberg trat neben dem Studium ebenso wie der Bergmeister neben der praktischen Tätigkeit mit wissenschaftlichen Arbeiten an die Öffentlichkeit.

Zunächst galt sein Interesse der Botanik und der Mineralogie. Die ersten publizierten eigenen Arbeiten erschienen 1790. Im Züricher "Botanischen Magazin" findet sich in lateinischer Sprache eine botanische, in den "Chemischen Annalen" eine mineralogische Abhandlung.

Diesen Arbeiten sollten bis zur Aufnahme Humboldts in die Berliner Akademie der Wissenschaften über 75 Abhandlungen in Zeitungen, Zeitschriften und Jahrbüchern, drei Monographien Humboldts und zwei Sammelbände mit Abhandlungen Humboldts folgen.

Die erste selbständige Schrift Alexander von Humboldts erschien noch anonym im Jahre 1790. Sie trägt den Titel "Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein" (Braunschweig 1790). Darin beschäftigte sich Alexander von Humboldt mit den Fragen: Was ist Basalt? Ist er vulkanisch oder ist er nicht vulkanisch?

Im Mai 1793 gelangte Alexander von Humboldt’s Monographie "Florae Fribergensis specimen" in die Öffentlichkeit. Sie besteht aus zwei Teilen, die sich auf verschiedene Zweige der Lehre von den Pflanzen beziehen. Der erste Teil, eine "Flora" der unterirdischen kryptogamischen Gewächse der Freiberger Gegend, ist ein Beitrag zur systematischen Botanik. Der zweite Teil, "Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen", ist ein Beitrag zur Pflanzenphysiologie. Darin werden Versuche über die Ernährung, das Wachstum und die Lebensbedingungen der Pflanzen beschrieben.

Das Werk fand große Anerkennung. In zeitgenössischen Rezensionen heißt es: "Humboldt hat sich durch die Schrift "Florae Fribergensis specimen" "ein besonderes Verdienst erworben". "Das Verzeichnis von einigen Gewächsen von Freyberg zeugt von den genauen ins Feine gehenden botanischen Kenntnissen [Humboldts]; die angehängten Aphorismen von dessen Geiste." "Das Studium der Pflanzen war sonst [...] nur immer für wenige anziehend; da man aber angefangen hat die Pflanzen mehr zu zergliedern und ihre wesentliche Beschaffenheit zu erforschen, wozu denn die Chemie sehr vortheilhaftige Hülfe leistet, so ist dies Studium für weit mehrere interessanter worden. [In den] Aphorismen [hat Humboldt] über die Physik der Naturkörper weit mehr Licht verbreitet hat, als wir bisher hatten, da er die auch, nun mehr aufgehellten Kenntniße in der Chemie zu Erforschungen in der Naturgeschichte anwendete, und also die Chemie sehr weislich mit der Naturgeschichte verband." "Außer einer ziemlich vollständigen Physiologie der Pflanzen findet man hier auch manche scharfsinnige Erklärungen und Bemerkungen aus der Physik und der allgemeinen Physiologie der Thiere, mit Erläuterung der aufgestellten Sätze durch chemische Versuche."

Humboldt wurde Mitglied der Leipziger "Linneischen Societät", Mitglied der Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Naturforscher und erhielt die Kursächsische Prämienmedaille für Kunst und Wissenschaft in Gold. Der schwedische Botaniker Vahl nannte Humboldt, den Autor "praestantissimae Florae Fribergensis", zu Ehren einen ostindischen Lorbeer "Laurifolia Humboldtia".

Seine dritte Monographie, die vor der Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften erschienen ist, gab Humboldt unter dem Titel "Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Prozeß des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt" heraus. Sie besteht aus zwei Bänden; im ersten wird das Problem der Muskelzuckungen beim Kontakt mit Metallen behandelt, im zweiten Fragen medizinischer Art. In Rezensionen wird das Buch "ein classisches Werk [genannt], das unter die ersten unserer Zeiten gehört", ein Werk, "das in der allgemeinen Physiologie der organischen Natur auf immer Epoche machen wird" und "das einst als die erste und wichtigste Grundlage einer animalischen Chemie angesehen werden wird". "Durch den Reichthum [...] von anatomischen, physiologischen und chemischen Entdeckungen, [...] [erweitert es] die Grenzen mehrerer Wissenschaften." Der zweite Band [...], der "die Theorie des Lebens zu finden weiter fortschreitet und [auch] für die praktische Heilkunde wichtige Winke giebt", steht an Fülle von Beobachtungen und durch diese erweckten kühnen und glücklichen Ideen, dem ersten [...] nicht nach".

Was Humboldts kleinere Schriften betrifft, so muß bemerkt werden, dass sie zum einen in großer Anzahl vorliegen, dass die Artikel oft aus einer Zeitschrift in eine andere (teils in Übersetzung) übergegangen sind, dass zahlreiche wissenschaftliche Zeitschriften Humboldts Arbeiten enthalten, dass es somit keine leichte Aufgabe ist, die zerstreuten Arbeiten zu finden. Der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle sind bisher 78 verschiedene Beiträge Alexander von Humboldts aus 26 Zeitschriften bekannt, die bis 1799 erschienen sind.

Schon Alexander von Humboldt hat vor seiner Amerikareise einige seiner verstreut publizierten Arbeiten ausgewählt und in zwei Sammelbänden ediert.

In den vielen kleineren und größeren Publikationen Humboldts, den Abhandlungen, wissenschaftlichen Briefen, Monographien und Sammelbänden spiegelt sich Humboldts weitverzweigtes Forschen wider. Die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in breiteren Kreisen aufkommende Naturbegeisterung übertrug sich auch auf Humboldt. "Mit einem aus der Aufklärung herkommenden zuversichtlichen Optimismus hat er zahlreiche wissenschaftliche Fragen aufgegriffen." In seinen Publikationen fand ein breites Spektrum von Beobachtungen, Experimenten und Spekulationen der Naturforschung seinen Niederschlag, nämlich botanisch-taxonomische, mineralogisch-geologische, pflanzen-physiologische, tier-physiologische, chemische und physikalische Untersuchungen. Er befaßte sich mit der Bedienung, der Verfeinerung und der Konstruktion von Meßinstrumenten. Er führte Luftgütemessungen, Bestimmungen des Kohlensäuregehalts, Messungen der Temperatur, der Feuchtigkeit, des Drucks, der Elektrizität der Luft durch, bestimmte die Himmelsbläue, führte barometrische Höhenmessungen durch. Er untersuchte den Erdmagnetismus. Er beschäftigte sich mit astronomischen Ortsbestimmungen.

 

"Physique du monde"

Auffallend ist der häufige Themenwechsel. Ist dieser nicht ein Indiz dafür, dass schon der junge Humboldt nach einer Gesamtschau der Natur strebte? Im Jahre 1793 schrieb Wilhelm von Humboldt über seinen Bruder: "Er ist gemacht, Ideen zu verbinden, Ketten von Dingen zu erblicken, die Menschenalter hindurch ohne ihn unentdeckt geblieben wären. Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick und die seltenste Schnelligkeit der Kombination, welches alles sich in ihm mit eisernem Fleiß, ausgebreiteter Gelehrsamkeit und unbegrenztem Forschungsgeist verbindet, müssen Dinge hervorbringen, die jeder andere Sterbliche sonst unversucht lassen müßte. [...] und ich bin fest überzeugt, daß die Nachwelt (denn sein Name geht gewiß auf eine sehr späte über) mein jetziges Urteil buchstäblich wiederholen wird. "

Schon 1796 besaß Alexander von Humboldt den Plan zur Publikation einer umfassenden "Physique du monde". In einem Brief an den Philosophen Pictet vom 24. Januar 1796 berichtete Humboldt, dass er sich seit seiner Reise mit Georg Forster nach England mit physikalischen Beobachtungen beschäftigte, die Natur unter den verschiedensten Gesichtspunkten studiert habe und die Idee gefaßt habe, eine "Physique du monde" zu schreiben.

Das französische Wort "monde" ist genau so ambivalent wie das deutsche Wort "Welt": einerseites bedeutet es "l’univers, das Universum [Himmel und Erde], das Weltall", andererseits aber auch nur "la terre, die Erde."

Bei der "Physique, Physik" als wissenschaftlicher Disziplin ist die Physik i.w.S. von der Physik i.e.S. zu unterscheiden.

Unter "Physik i.w.S." verstand man die Lehre von der Natur. Das Wort "Natur" bezeichnete dabei den "Inbegriff der gesamten Außenwelt." Bei dem "unermeßlichen Reichthume und der unfaßbaren Fülle der Natur [muß] die Wissenschaft, welche über alles dieses uns belehren und Auskunft geben soll, von einem außerordentlichen Umfange seyn." Die Naturlehre im weiteren Sinne des Wortes oder die Naturforschung im Allgemeinen wurde in mehrere Zweige aufgespalten. Dieser Aufspaltung lag die Trias von Historie (Faktenkenntnis, Beschreibung, Ordnung von einzelnen Dingen), Philosophie (Erklärung der Erscheinungen, Befassen mit den Gründen, Ursachen der Dinge) und Mathematik (als universelle Methode der Erkenntnis) zugrunde. Die Trias bedeutete keine Differenzierung in Disziplinen, sondern eine Stufenfolge zunehmender Vollkommenheit der Erkenntnisse.

Zur Klasse der historischen Disziplinen der Naturforschung zählten die Naturgeschichte, die physische Geographie und die sphärische Astronomie. Zur Klasse der philosophischen Disziplinen der Naturforschung zählten die Physik oder Naturlehre i. e. S. des Wortes, die Physiologie, die Chemie und die physische Astronomie. Die Aufgabe der Physik oder Naturlehre i. e. S. war, "die Ursachen der Dinge zu erkennen (causas rerum cognoscere)". Es war die reine Naturlehre, in der Phänomene wie Bewegung, Elektrizität, Magnetismus, Licht, Wärme etc. untersucht wurden, von der angewandten Naturlehre zu unterscheiden. Mit Anwendung ist die Benutzung der Aussagen der reinen Naturlehre zur Erklärung der Naturerscheinungen im Großen gemeint. Während die reine Physik Experimente im Laboratorium durchführen kann, ist die Physik, die es mit den Naturerscheinungen im Großen zu tun hat, auf Beobachtungen in natürlichen Situationen angewiesen. Die Beobachtungen beziehen sich auf die Erde, die Atmosphäre und die Himmelskörper; dementsprechend sind die klassischen Teile der angewandten Naturlehre als beobachtender und erklärender Naturwissenschaft die Physische Geographie, die Meteorologie und die Astronomie. Die Erforschung des Erdmagnetismus (der sich Humboldt auch zuwandte) wurde ein zusätzliches relativ eigenständiges Gebiet. Die "angewandte Naturlehre" wurde nach und nach auch "kosmische Physik" oder etwas enger "Physik der Erde" genannt, also "physique du monde".

In einem Buch mit dem Titel "physique du monde" sind die Naturerscheinungen im Großen zu beschreiben und zu erklären, darin ist eine Zusammenschau des phänomenal gegebenen Zusammenhangs der Natur zu geben.

Es ist zum Verständnis von Humboldts Forschungen wichtig zu wissen, dass er das Vorhaben einer "physique du monde" schon 1796 hatte und dass er mit dieser Idee seine Forschungsreise vorbereitete und ausführte.

Kurz vor seiner Abreise nach Amerika schrieb Humboldt in einem Brief: "Ich werde Pflanzen und Thiere sammeln, die Wärme, die Elasticität, den magnet[ischen] und den electr[ischen] Gehalt der Atmosphäre untersuchen, sie zerlegen, geograph[ische] Längen und Breiten bestimmen, Berge messen - aber dies alles ist nicht Zweck meiner Reise. Mein eigentlicher, einziger Zweck ist, das Zusammen- und Ineinander-Weben aller Naturkräfte zu untersuchen, den Einfluß der toten Natur auf die belebte Tier- und Pflanzenschöpfung. Diesem Zweck gemäß habe ich mich in allen Erfahrungskenntnissen umsehen müssen".

Die "physique du monde" beruht auf Beobachtungen der Erde, der Atmosphäre, des Himmels und des Erdmagnetismus. Diese Beobachtungen konnten - das wußte Humboldt - nur dann globale Erkenntnisse hervorbringen, wenn der Ort der Beobachtung wechselt, denn die Beobachtungen lokaler Verhältnisse lassen keine generalisierenden Schlüsse zu.

Die methodische Beschränkung, die der "physique du monde" durch das Angewiesensein auf Beobachtungen auferlegt ist, ließ sich einerseits durch Humboldts eigene Reisetätigkeit überschreiten, andererseits durch ein auch von Humboldt angeregtes weltweites Beobachtungsnetz.

Die Wissenschaft des späteren Humboldt ist dadurch charakterisiert, dass ihr zum einen weltweit vorgenommene präzise Messungen zugrundeliegen, zum anderen - wie es eine "physique du monde" erfordert - vielseitige Forschungen.

Die unvergleichliche Vielseitigkeit, die Humboldt schon vor seiner Wahl in die Berliner Akademie der Wissenschaften besaß, zeigt sich auch, wenn man die Ergebnisse seiner Forschungen nach der Wahl (insbesondere die publizierten Ergebnisse seiner Forschungsreisen) betrachtet.

Mit Recht sagte Goethe in den Gesprächen mit Eckermann:

"Was ist das für ein Mann! Ich kenne ihn so lange, und doch bin ich von neuem über ihn in Erstaunen. Man kann sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen. Und eine Vielseitigkeit, wie sie mir gleichfalls noch nicht vorgekommen ist! Wohin man rührt, er ist überall zu Hause und überschüttet uns mit geistigen Schätzen. Er gleicht einem Brunnen mit vielen Röhren, wo man überall nur Gefäße unterzuhalten braucht und wo es uns immer erquicklich und unerschöpflich entgegenströmt."

Und doch sollte er im Jahre 1800 nicht als vielseitiger Naturforscher in die Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen werden.

Der 30jährige Humboldt wurde als "einer der geschicktesten Chemiker" in die Akademie gewählt.

 

Alexander von Humboldt: Chemiker?

Überblickt man Alexander von Humboldts Abhandlungen und Monographien im ersten Jahrzwölft seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit, so fällt der häufige Gebrauch des Wortes "chemisch" auf. Er schrieb Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen, Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt, er beschrieb Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkreises, er veröffentlichte einen Essay über einige chemische und physikalische Grundsätze der Salzwerkskunde.

Einerseits beschrieb Humboldt Erkenntnisse, bei denen die Chemie als Hilfswissenschaft fungierte, wo sie angewendet wurde auf Erforschungen der Naturgeschichte, für die Pflanzen- und Tierphysiologie, für eine Theorie des Lebens. Andererseits sind Humboldtsche Abhandlungen auch Beiträge zur Chemie.

Bevor ich Humboldts relevante Beiträge wenigstens andeute - eine wissenschaftshistorische Auswertung dieser und anderer Resultate des frühen Humboldt wird im Rahmen der geplanten Edition der kleineren Schriften Humboldts geleistet werden - , soll kurz der Stand der Chemie im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts beschrieben werden.

Ein zentrales Problem der Chemie im 18. Jahrhundert war die Suche nach einer Erklärung der Verbrennung. Die Phlogistontheorie wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch die Oxydationstheorie von Lavoisier ersetzt. Er wies nach, dass allein der (gerade entdeckte) Sauerstoff ("le principe oxygène"), für die Verbrennung verantwortlich war. Die Chemie der Gase oder pneumatische Chemie, verbunden mit der Entdeckung von Gasen, die mit der atmosphärischen Luft nicht identisch waren, mit der Entdeckung von Wasserstoff, Kohlendioxyd, Stickstoff u.a., war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgekommen und wurde in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts sogar sehr populär. Dazu trugen vor allem die Aufstiege und Flüge der Heißluftballons bei. Als Blanchard am 27. September 1788 in Berlin einen Ballonflug vorführte, war der 19jährige Alexander von Humboldt unter den Zuschauern. Ahnte er damals, dass er sich bald selbst mit der Chemie (die den Flug ermöglichte) beschäftigen und als Chemiker in die Akademie der Wissenschaften seiner Heimatstadt aufgenommen werden sollte? Ahnte er damals, dass er selbst zwar nie eine Ballonfahrt unternehmen sollte, dass er jedoch in vielen seiner späteren Schriften dem Leser gewissermaßen eine Art Overview-Effekt vermitteln würde, die Weltsicht aus der Ballonperspektive oder gar aus der Satellitenperspektive?

Der Beginn chemischer Untersuchungen Alexander von Humboldts läßt sich nicht exakt datieren. Es war Girtanner, der Humboldt im Jahre 1791 auf Lavoisiers antiphlogistische neue Chemie aufmerksam gemacht hatte, und Humboldt veranlasste, sich ernstlich mit der antiphlogistischen Theorie bekannt zu machen. Am 26. November 1791 schrieb er in einem Brief aus Freiberg: "Ich habe den traité élémentaire [von Lavoisier, 1789] nun schon 3mal hintereinander durchstudirt.[...]." Am 10. Januar 1792 schrieb Humboldt aus Freiberg: "Ueberhaupt beschäftigt mich antiphlogistische Chemie ungemein." Sicher hatte Humboldt die neue Chemie Lavoisiers auch im Laboratorium des Hofapothekers Hermbstaedt, in dem er gelegentlich experimentierte, kennengelernt. War doch Hermbstaedt einer der großen Propagandisten der antiphlogistischen Chemie Lavoisiers. Im Herbst 1792 schrieb Humboldt begeistert aus Wien: "Die neue Chemie hat hier einen Sitz. Alles oxygenirt, der junge Jacquin lehrt sie öffentlich, das Phlogiston ist verschwunden." Fakt ist, dass Humboldt 1792 sowohl in den Chemischen Annalen als auch im Journal der Physik und 1793 in seiner Monographie über die unterirdische Flora, insbesondere in den "Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen" erste Resultate seiner chemischen Forschungen publizierte. Er stimmte darin den Grundsätzen der neuen Chemie Lavoisiers zu. Er nannte Lavoisier in den Aphorismen den "physicorum princeps".

Die in das Gebiet der reinen Chemie gehörenden Forschungen Humboldt’s sind vorwiegend der Chemie der Gase gewidmet. Mehrere Jahre hindurch stellte er experimentelle, vergleichende und betrachtende Untersuchungen über die Zusammensetzung des Luftkreises an. Er publizierte sie in zwei Sammelbänden.

Der eine Band trägt den Titel "Versuche über die chemische Zerlegung des Luftkreises und über einige andere Gegenstände der Naturlehre" und enthält - wie es in einer Rezension heißt - "vortreffliche, wahrhaft classische [insgesamt zwölf] Abhandlungen". "Sie gehören unstreitig zu den besten, welche seit einiger Zeit in der Chemie erschienen sind".

Der andere Sammelband "über die matten Wetter in Bergwerken und die Mittel, ihre Schädlichkeit für die menschliche Natur herabzusetzen", erst in Paris vollendet, hat den Titel "Über die unterirdischen Gasarten und die Mittel ihren Nachtheil zu vermindern. Ein Beytrag zur Physik der praktischen Bergbaukunst". Er wurde nach Humboldts Abreise von seinem Bruder Wilhelm von Humboldt mit einer Vorrede herausgegeben.

Er enthält Abhandlungen über "unterirdische Meteorologie", über die Untersuchung der Entstehung und Beschaffenheit der Grubenwetter, über die von Humboldt konstruierte "nicht verlöschende [Gruben]Lampe" und die von ihm erfundene "Respirationsmaschine".

Am 12. Februar 1793 schrieb Humboldt an Girtanner, wie wichtig für ihn "der Abschnitt über die Vegetation" in dessen "Anfangsgründen der antiphlogistischen Chemie" gewesen wäre. "Alle meine Musse ist jetzt der Chemie und zwar der chemischen Pflanzenphysiologie gewidmet." Als Humboldt pflanzenphysiologische Experimente durchführte, gehörten dazu Untersuchungen über den Einfluß sowohl von verschiedenen Chemikalien, insbesondere auch Gasen (Sauerstoff, Wasserstoff u.a.), als auch des Sonnenlichts und des Lampenlichts auf die Pflanzen. Seine Beobachtungen gliederte er in die Chemie ein.

Mit seinem Buch "Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt" hoffte Alexander von Humboldt eine neue Wissenschaft, die "vitale Chemie" zu begründen, eine chemische Physiologie der Pflanzen und Tier, ein Gebiet, in dem der chemische Prozeß des Lebens erforscht wird. Die darin enthaltenen Untersuchungen über die tierische Elektrizität fasste Humboldt vom Standpunkt der Chemie auf.

Aus heutiger Sicht gehört ein Teil der Humboldtschen Forschungen mehr in die Physiologie oder die Biologie, in die Wissenschaft vom Leben, als in die Chemie.

Humboldt wurde von seinen Zeitgenossen zwar als vielseitiger Naturforscher, aber eben auch als Chemiker angesehen, wie ja seine Wahl in die Berliner Akademie der Wissenschaften zeigt.

Letztlich spiegeln sich in den Publikationen des frühen Humboldt (bis 1800) die damals aktuellen Strömungen in den Naturwissenschaften wider. Ilse Jahn fasste das einmal so zusammen: "Ohne markante Pionierleistungen zu vollbringen, schaltete er sich immer sozusagen an der ‘Front’ der Forschung mit eigenen Experimenten, Beobachtungen, Meinungen ein". Wie die meisten Naturforscher seiner Zeit, ließ er sich in seinen Forschungen vom Prinzip der "Einheit" des Naturganzen leiten.

 

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