Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
Originalfassung zugänglich unter http://www.hin-online.de

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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     I, 1 (2000)
 
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Herbert Pieper: "Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick
und die seltenste Schnelligkeit der Kombination"

Zur Wahl Alexander von Humboldts in die Königliche Akademie
der Wissenschaften zu Berlin vor 200 Jahren

 

Alexander von Humboldts Wahl in die Akademie der Wissenschaften zu Berlin

Außerordentliches Mitglied

Am 4. August 1800 wurde - wie erwähnt - Alexander von Humboldts Wahl zum außerordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin bestätigt. Die Akademie der Wissenschaften trug seit 1746 den französischen Namen "Académie royale des Sciences et Belles-Lettres". Es wurde auch im Jahre 1800 immer noch vorwiegend französich gesprochen.

Im August 1800 hatte die Akademie 40 ordentliche Mitglieder. Diese bildeten vier Klassen (Classe de philosophie expérimentale [Experimental-Philosophie], Classe de mathématique [Mathematik], Classe de philosophie spéculative [Philosophie], Classe de belles-lettres [Schöne Wissenschaften]). Der physikalischen Klasse (Klasse für Experimental-Philosophie, Classe de philosophie expérimentale genannt) gehörten Mitte 1800 acht Naturforscher an: Chemiker, Botaniker und Mediziner. Zu ihnen gehörte der Direktor des Botanischen Gartens in Schöneberg Mayer, der Oberforstmeister der Kurmark von Burgsdorf. Er galt Ende des 18. Jahrhunderts als der berühmteste deutsche Forstmann. Der Botaniker Willdenow war Professor für Naturgeschichte am Collegium medico-chirurgicum. Der Physiker und Chemiker Achard wurde 1782 Direktor der physikalischen Klasse. Der Chemiker und Naturforscher Klaproth lebte als Apotheker in Berlin. Er war Dozent am Collegium medicio-chirurgicum und an der Artillerie-Akademie und an der Berliner Bergakademie.Hinzu kam im Dezember 1800 der Mediziner Hufeland, der als als Leibarzt des Königs nach Berlin berufen worden war.

Jede Klasse hatte einen Direktor. Die vier Direktoren bildeten zusammen mit dem außerordentlichen Direktor das Direktorium. Beständiger Sekretar war im Jahre 1800 der Philosoph Merian. Es fanden zu dieser Zeit keine Klassensitzungen statt, sondern nur Gesamtsitzungen der Akademiemitglieder.

Das Statut von 1746 wurde noch im April 1798 von Friedrich Wilhelm III. im wesentlichen bestätigt. Die Anzahl der ordentlichen Mitglieder wurde jedoch auf 7 in jeder der vier Klassen reduziert. Solange die Reduzierung nicht erreicht war, bestand Zuwahlverbot. Dieses wurde dadurch umgangen, dass man eine neue Mitgliederform schuf: die außerordentlichen Mitglieder.

Es gab somit die ordentlichen oder "pensionirten" Mitglieder (die in der Regel ein Gehalt von 200 Talern jährlich bezogen) und die außerordentlichen, welche keine Pension bezogen, und folglich bloß als Ehrenmitglieder anzusehen waren. Als erstes außerordentliches Mitglied wurde der Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai gewählt. Ihm folgten im Jahre 1800 Hermbstaedt und Alexander von Humboldt.

Nachdem der Direktor der Akademie - Sternwarte Bode am 10. Juli 1800 drei Gelehrte zu auswärtigen Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften vorgeschlagen hatte, nämlich den Astronomen Zach aus Gotha, den Mathematiker Vega aus Wien und den Astronomen Lefrançais-LaLande aus Paris, gaben die Direktoren ihr zustimmendes schriftliches Votum ab.

Der außerordentliche Direktor Borgstede ergänzte den Vorschlag am 12. Juli 1800 mit der Bemerkung, dass "die einem Directorio schon convenirten Kandidaten

H. v. Humbold der Chemiker

    1. Hermbstaedt [...]

in nächster Versammlung zu proponiren" wären. Jedes aufzunehmende Mitglied, so auch Alexander von Humboldt mußte vom Direktorium vorgeschlagen werden. Dieses hatte den Vorschlag offenbar schon vor dem 12. Juli 1800 im Auge. Ging die Initiative zur Wahl Alexander von Humboldts vom Direktorium aus oder hatte jemand anderes den Antrag im Direktorium gestellt, den Chemiker Humboldt zum außerordentlichen Mitglied zu wählen? War es der Botaniker Karl Ludwig Willdenow, war es der Chemiker Martin Heinrich Klaproth (beide kannten Alexander von Humboldt gut)? Oder fungierte im Hintergrund der Kabinettsrat von Beyme, der im Departement für Cultus und öffentlichen Unterricht im Ministerium des Innern tätig war? Wir wissen es nicht. Ein solcher Antrag ist nicht auffindbar. Ein Urteil der zuständigen Classe de Philosophie expérimentale, etwa in Form eines Briefes an das Direktorium, bzw. ein schriftliches Votum der Klassenmitglieder fehlen.

Auf der Gesamtsitzung am Donnerstag, dem 17. Juli 1800, erfolgte die Wahl von Zach, Vega, Humboldt und Hermstaedt, während Lalandes Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften abgelehnt wurde.

In einem Brief des Direktoriums an den König Friedrich Wilhelm III. vom 25. Juli 1800 wurde die königliche Bestätigung insbesondere für den Vorschlag, "den Oberbergrath von Humbold[t], einen der geschicktesten Chemiker als außerordentliches Mitglied zu wählen", erbeten. Auf der "Assembleé publique" am 7. August 1800 konnte dann mitgeteilt werden, dass "M. de Humboldt, membre du Cons[eil] Sup[érieur] des Mines, chimiste célèbre, voyageant an Amérique" als eines der vier neuen Mitglieder vom König bestätigt worden ist.

Es war jene öffentliche Sitzung auf der der beständige Sekretar Merian kurz des hundertjährigen Jubiläums der Stiftung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gedachte. Für das Jahr 1800 war von der Gesamtakademie anläßlich des Jubiläums eine Preisaufgabe gestellt worden, für die nun ein Jubiläumspreis vergeben wurde.

 

Ordentliches Mitglied

Alexander von Humboldt war damit außerordentliches Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, also ein Mitglied, das beim Freiwerden von Stellen ordentlicher Mitglieder in diesen Rang übernommen wird. Was wird die Akademie der Wissenschaften von ihrem neuen Mitglied erwartet haben?

Zum einen sollte er die wissenschaftliche Arbeit der Akademie bereichern, zum anderen aber auch Aufgaben wissenschaftsorganisatorischer Art innerhalb der Akademie übernehmen. Von "einem der geschicktesten Chemiker" war die Mitarbeit in der physikalischen Klasse zu erwarten, ferner Akademievorträge vor dem Plenum und Publikationen in der Akademiezeitschrift über seine aktuellen chemischen Forschungsergebnisse und deren Anwendungen zum Nutzen des preußischen Staates. Bei der anstehenden Reorganisation der Akademie war seine Mitwirkung in Ausschüssen verschiedener Art wünschenswert.

Indem er geeignete Wahlvorschläge unterbreitet, könnte er dazu beitragen, das Ansehen der Akademie durch die Zuwahl renommierter Gelehrter zu erhöhen.

Humboldt wußte, was ihn erwartete. Die Nachricht von seiner Wahl hatte - wie er es in seinem Dankschreiben bekundete - "entgegengesetzte Empfindungen in mir erwekket, Freude, einer vaterländischen Gesellschaft zuzugehören, welche die größten Männer Europas von je zu den Ihrigen gezählt hat und gerechte Besorgniß dieser Ehrenvollen Annäherung noch lange nicht würdig zu sein.[...] Was man durch Anstrengung innerer Kräfte und Geistesthätigkeit, was man durch mühevolles Streben nach Wahrheit und Kenntniß hervorbringen kann, werde ich aufbieten, um mich dieses Beifalls würdig zu machen. Sind meine Anlagen (wie ich es nur zu sehr fühle) gering, so wird mir neue Kraft der Gedanke einflößen, mit Ihnen vereint, durch Ihren Rath belehrt an der Verbreitung menschlicher Kenntnisse zu arbeiten."

Doch Humboldt lebte und wirkte im Jahre 1800 nicht in Berlin. Er sollte noch vier Jahre seine Forschungsreise fortsetzen, die ihn und seine Begleiter, Aimé Bonpland und Carlos Montúfar (der erste von Anfang an, der zweite erst vom Juni 1802 an), durch Urwälder, über Flüsse und Sümpfe, in die "polare" Kälte der höchsten Andengipfel, an und über das Meer, nach Quito, Bogota, La Havanna, Mexiko-Stadt und Philadelphia führen sollte.

Anfang August des Jahres 1804, fast genau vier Jahre nach der königlichen Bestätigung seiner Wahl als außerordentliches Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, kehrte Humboldt wohlbehalten nach Europa zurück. Durch die Veröffentlichung zahlreicher seiner Briefe aus Amerika war seine Forschungsreise nicht nur in Gelehrtenkreises bekannt geworden. Als er Ende August 1804 in Paris eintraf wurde er von den Wissenschaftlern und der Pariser Gesellschaft gefeiert. Humboldt war am 6. Februar 1804 korrespondierendes Mitglied der Section de physique générale der 1. Klasse des Instituts geworden. Ehe er am 16. November 1805 in Berlin eintraf, hatte er an der Pariser Akademie der Wissenschaften mehrere Vorträge gehalten, mit dem Chemiker Gay-Lussac chemische Luftanalysen durchgeführt, mit dem Physiker Biot eine erdmagnetische Arbeit geschrieben, sich mit dem Chemiker Gay-Lussac, dem Ingenieur-Geographen O’Etzel und zeitweise auch mit dem Geologen von Buch in Italien aufgehalten.

Am 19. Februar 1805 wurde seine außerordentliche Mitgliedschaft an der Berliner Akademie der Wissenschaften in eine ordentliche umgewandelt. Von den drei 1799/1800 gewählten außerordentlichen Mitgliedern war Nicolai bereits am 25. Oktober 1804 zum ordentlichen Mitglied ernannt worden. Nun folgte Humboldt, während Hermbstaedt erst im August 1808 ordentliches Mitglied wurde. Die physikalische Klasse hatte damit - entgegen der geforderten Reduzierung auf sieben Mitglieder - insgesamt neun Mitglieder: den Mineralogen Gerhard, die Anatomen Walter sen. und Walter jun., den Botaniker Willdenow, die Chemiker Achard, Klaproth, Humboldt, den Mediziner Hufeland und den Agrarwissenschaftler Thaer, der 1804 auf Befehl des Königs zum ordentlichen Mitglied berufen worden war.

Am 21. November 1805 hielt Alexander von Humboldt seine Antrittsrede. In den Gesamtsitzungsprotokollen lesen wir: "Discours d’entrée de M. de Humboldt. Reponse du secretaire". Es wäre für ihn - so Humboldt - ein feierlicher Augenblick in die Mitte der Akademiemitglieder zu treten, "deren viele die Lehrer meiner früheren Jugend gewesen sind". Er dachte hier sicher an den Botaniker Carl Ludwig Willdenow, seinen Freund und Lehrer, mit dem er schon im Sommer 1788 am Tegeler See Pflanzen beobachtete, an den Chemiker und Hofapotheker Sigismund Friedrich Hermbstaedt, in dessen Laboratorium er als Student experimentierte, mit dem er dann im Jahre 1800 gleichzeitig als außerordentliches Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde, an den Mathematiker Ernst Gottfried Fischer, der den jungen Humboldt zeitweise als Hauslehrer unterrichtete.

Er prognostizierte, dass im gerade begonnenen 19. Jahrhundert "alle Theile menschlicher Erkenntniß in Wechselwirkung treten und zu einem großen organischen Ganzen zusammenstimmen" werden. Das war in der Tat Humboldts Ziel und der Zweck seines Wirkens.

Humboldt ergänzte: "[...]diese innige Verknüpfung aller Zweige des menschlichen Wissens setzt auch ein enges Band unter denen voraus, welche sich mit der Kultur derselben beschäftigen; und die Möglichkeit eines solchen Bandes ist unstreitig einer der ersten und wichtigsten Zwecke der Akademien."

Es wäre nun abschließend über Humboldts Wirken als Akademiemitglied zu berichten, über seine Rolle an der Akademie der Wissenschaften, über seine Aktivitäten, über das von ihm geschaffene wissenschaftliche Netzwerk, zu dessen Aufrechterhaltung seine Mitgliedschaft in der Akademie beitrug und das auch umgekehrt zum Nutzen der Akademie wurde.

Es wäre zu berichten über das Promemoria von 1828, mit dem Humboldt die Berliner Sternwarte förderte. Diese war ja von Anfang an der Akademie der Wissenschaften untergeben, wurde aber seit der Gründung der Berliner Universität von dieser mitbenutzt. Es wäre Humboldts Teilnahme an den Arbeiten des "Akademischen Ausschusses zur Herausgabe der Werke Friedrich II." darzustellen. Es wäre zu erinnern an seine erfolgreiche Initiative zur Teilung der Mitgliederstellen in Fach- und freie Stellen. Die daraufhin 1837/38 eingeführte Fachstellenregelung war immerhin ein Jahrhundert in Kraft.

Diese war nur eine von mehreren anderen Reorganisationsinitiativen Humboldts.

Er hat zahlreiche Vorschläge für die Wahl renommierter Gelehrter als ordentliche oder korrespondierende Mitglieder der Akademie selbst verfaßt oder unterstützt. Hervorzuheben ist sein Anteil an der Ernennung des Physikers Riess, der als erster ungetaufter Jude Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften werden konnte. Und das im Jahre 1842, als es Pläne gab zur Änderung der Judengesetzgebung, die einen Rückschritt bedeutet hätten, wogegen Humboldt seine mißbilligende Ansicht öffentlich machte. Übrigens erreichte Alexander von Humboldt im selben Jahr 1842 als Kanzler des neu gestifteten "Ordens pour le mérite (Friedensklasse)" die Aufnahme des jüdischen Komponisten und Dirigenten Giacomo Meyerbeer.

Es wäre zu berichten über die Teilnahme an den Sitzungen der Gesamtakademie und der physikalischen bzw. physikalisch-mathematischen Klasse, über seine Vorträge und Veröffentlichungen.

Es sei hier nur verwiesen auf die Monographie von Kurt-R. Biermann über Humboldts Wirken an der Akademie. (Biermann, K.-R.: Beglückende Ermunterung durch die akademische Gemeinschaft. Berlin 1991. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 17.)

Es kann zusammenfassend gesagt werden, dass Humboldt die Erwartungen, die man an ihn als ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften stellte, erfüllt hat. Es gibt jedoch eine Einschränkung. Alexander von Humboldt hat an der Akademie nicht als Chemiker gewirkt, als der er in die Akademie aufgenommen worden ist.

In einer "Geschichte der Chemie" werden allerdings in der Regel drei für die Chemie relevante Tatsachen genannt, die sich auf Humboldt und die Zeit nach 1800 beziehen. Zum einen war Alexander von Humboldt der Erste, der 1804/1805 in Gemeinschaft mit Gay-Lussac fand, dass sich Wasser durch Verbindung von genau 1 Volumen Sauerstoffgas mit 2 Volumen Wasserstoffgas bildet. Zum anderen verdankt die Agrikulturchemie Humboldt wichtige Beiträge. Überdies wandte sich auf Humboldts Veranlassung der Chemiker Justus Liebig dem Lehrfach zu, nachdem durch Humboldts Einfluß die Hindernisse beseitigt waren, welche seiner Habilitation in seinem Vaterland im Wege standen, da er auf einer anderen, als der Landesuniversität promoviert hatte.

 

Alexander von Humboldt: Mineraloge und Geognost?

Als Humboldt im November 1837 im Rahmen der neuen Fachstellenregelung anregte, die damaligen ordentlichen Mitglieder sofort einem Fach zuzuordnen, machte er dazu auch konkrete Vorschläge. Er selbst ordnete sich dabei dem Fach "Mineralogie und Geognosie" zu.

Die Mineralogie ist der Teil der Naturforschung, der sich mit den Mineralien beschäftigt. Geognosie bezeichnete damals die Lehre von der Struktur und dem Bau der festen Erdrinde. Zur präparativen Geognosie gehörten die Untersuchung der Morphologie der Erdoberfläche, die Petrograpghie (Gesteinslehre) und die Paläontologie. Erst nachdem das gesamte Material, aus dem die feste Erdrinde besteht, untersucht worden ist, kann in der systematischen Geognosie eine Einsicht in den Bau der festen Erdrinde gewonnen werden.

Die Geognosie lieferte das Material für die Behandlung der Entwicklungsgeschichte des Erdkörpers, der Bildung der Erdkruste. Diese Behandlung wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als die Aufgabe der Geologie angesehen.

Später bezeichnete Geologie die Wissenschaft vom Bau und der Entwicklungsgeschichte der Erde.

Humboldt sah vier Fachstellen für Mineralogie und Geognosie vor. Es seien noch die anderen Akademiker genannt, die eine solche Fachstelle bekleiden sollten: Es waren Leopold von Buch, Christian Samuel Weiß und Gustav Rose.

Humboldt sah sich als Mineraloge und Geognost. Er stellte damit aber seine mineralogischen und geognostischen Untersuchungen nicht über alle seine anderen Forschungen. Es ging hierbei ja nur um die Fachstellen innerhalb der physikalisch-mathematischen Klasse. Humboldt stellte somit seine mineralogischen und geognostischen Untersuchungen über seine für die physikalisch-mathematischen Fächer relevanten Forschungen auf den Gebieten der Astronomie, Physik, Mathematik, Chemie, Botanik, Zoologie und Medizin (speziell Anatomie und Physiologie).

Es sei an dieser Stelle nur erwähnt, dass die Bibliographie von Julius Löwenberg über die nach der Amerikareise verfaßten kleineren Schriften Humboldts mehr als 30 Beiträge zu den Gebieten Geognosie und Mineralogie nennt, aber auch 10 zur Astronomie und Mathematik, 20 zur Physik und zum Magnetismus, 27 meteorologische, klimatologische, 10 botanische, 22 zoologische, physiologische sowie 40 geographische und statistische Beiträge.

Die Bedeutung Alexander von Humboldts für die Mineralogie liegt zum einen in der Lösung einiger wichtiger spezieller Probleme, zum anderen aber auch darin, dass er durch seine Forschungsreisen und ihre Auswertungen Anregungen geben konnte. Alexander von Humboldt wirkte nachhaltig auf den Fortschritt der systematischen Geognosie, zum einen mittelbar durch seine umfassenden geologischen und allgemein physikalischen Untersuchungen, zum anderen direkt durch seine Arbeiten über die Gebirgsarten in Amerika und über den Ural.

Als der alte Alexander von Humboldt eine Sammlung wichtiger unselbständiger Schriften in zwei Bänden plante, dachte er von Anfang an den Titel "Geognostische Erinnerungen". Der erste Band dieser Sammlung erschien 1853 unter dem für den Buchhandel bequemeren Titel "Kleinere Schriften von Alexander von Humboldt", trug aber den Untertitel "Geognostische und physikalische Erinnerungen".

Es sei an die wichtigsten Schriften mineralogisch-geognostischen Inhalts, die Alexander von Humboldt vor seiner Amerikareise und vor der Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften zu Berlin veröffentlichte, erinnert. 1790 erschienen die "Abhandlung vom Wasser im Basalte" und das Buch "Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein". "Geognostische Beobachtungen, auf einer Reise durch einen Theil des böhmischen Mittelgebirges" (zusammen mit Freiesleben) wurden 1792 herausgegeben.

Im September 1794 plante Humboldt, im kommenden Winter "an einem großen mineralogischen Werke, einer Art geognostischer Ansicht von Deutschland zu arbeiten." Im Juli 1795 beabsichtigte er, ein "opus über Lagerung" unter dem Titel "Erfahr[ungen] und Resultate aus der Gebirgskunde, besonders über die Lagerung und das Fallen der Gebirgsarten im mittleren Europa" herauszugeben. Diese Werke kamen nicht zustande.

1799 erschienen der Sammelband "Ueber die unterirdischen Gasarten und die Mittel ihren Nachtheil zu vermindern. Ein Beytrag zur Physik der praktischen Bergbaukunde" und die Abhandlung "Die Entbindung des Wärmestoffs, als geognostisches Phänomen betrachtet". Es verging fast ein Vierteljahrhundert, ehe Alexander von Humboldt wieder eine geologische Schrift publizierte. Humboldt schrieb für den 23. Band (1823) des "Dictionnaire des sciences naturelles" (Stichwort "Indépendance des formations") einen Artikel zur Geognosie, der 330 Seiten umfaßt und auch separat in französischer Sprache unter dem Titel "Essai géognostique sur legisement des roches dans les deux hemissphères" (Paris/Straßbourg 1823) und in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Geognostischer Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften" (Straßburg 1823) erschienen ist und zu einem Handbuch der Geognosie wurde. Erst in dieses Werk gingen Humboldts Erkenntnisse der jahre 1794/1795 ein. Am 24. Januar 1823 hielt Humboldt in der Berliner Akademie der Wissenschaften den Vortrag "Über den Bau und die Wirkungsweise der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen". Am 13. Mai 1830 las er ebenfalls in der Berliner Akademie der Wissenschaften über "die Gebirgsketten und Vulcane im Innern von Asien". Dieser Vortrag bildet zusammen mit mehreren Vorträgen, die Humboldt von Oktober 1830 bis Mai 1831 im Pariser Institut gehalten hat, einen Teil des 1831 in Paris erschienenen Werkes "Fragmens de géologie et de climatologie asiatique" (deutsch: "Fragmente einer Geologie und Klimatologie Asiens", 1832). Ebenfalls in Paris publizierte Humboldt 1843 die drei Bände "Asie Central. Recherches sur les chaines de montagnes et la climatologie comparée" (deutsch: "Central-Asien. Untersuchungen über die Gebirgsketten und die vergleichende Klimatologie", 1844).

In einem undatierten Brief an Virchow hob Alexander von Humboldt einmal hervor, dass "die Sphaere" seiner "Kenntnisse" die "Geognosie u. Physikalische Geographie" wäre.

Geognosie und physikalische Geographie zählen zu den Erdwissenschaften. Der Forschungsreisende und Naturforscher Alexander von Humboldt war in der Tat zur vollkommenen Personifizierung eines allseitigen Geowissenschaftlers geworden.

Neben Alexander von Humboldt gehörte Carl Ritter zu den großen Repräsentanten der Geowissenschaften. Als Ritter im Jahre 1822 ordentliches Akademiemitglied wurde, kam er übrigens in die philosophisch-historische Klasse. Er gilt als Begründer der Anthropogeographie, während Humboldt als Begründer der physischen Geographie angesehen werden kann.

Es scheint, dass sich das Wirken von Humboldt und Ritter in der Akademie der Wissenschaften positiv auf die Pflege der Geowissenschaften in derselben ausgewirkt hat.

In seiner Antrittsrede hatte Humboldt seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass zukünftig "alle Theile menschlicher Erkenntnis in Wechselwirkung treten und zu einem organischen Ganzen" werden. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Naturwissenschaften sollten immer mehr in Einzeldisziplinen zersplittern; dazu gehörten auch neue Disziplinen, die sich auf Grund des Humboldtschen Wirkens, von ihm angeregt, gebildet hatten, die Humboldt als ihren Begründer ansehen. Die Richtung, welche die Naturwissenschaften seiner Zeit verfolgten, war also wesentlich von Humboldts Richtung, seinen Zielen und Bestrebungen, verschieden.

"Das wichtigste Resultat des sinnigen physischen Forschens" war für Humboldt: "in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen."

Er lehrte den Gebildeten, dass Genuss der Natur, ästhetische Erfahrung der Natur dadurch zu steigern ist, dass man über die Naturwissenschaften als einem organischen Ganzen, über eine physique du monde tiefere Einsicht in das innere Wesen der Natur erhält, dass man den "Geist der Natur" ergreift, der "unter der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt." Die Totalität der Natur zu erfassen, "in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen, [...] den Geist der Natur zu ergreifen", hieß für den Verfasser des "Kosmos" "den rohen Stoff empirischer Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen."

Humboldts ganzes Streben lief darauf hinaus, die Naturerscheinungen nicht vereinzelt zu betrachten, sondern sie in ihren mannigfaltigen Beziehungen unter sich und mit der Geschichte des menschlichen Geistes zu plazieren, die Naturerscheinungen im Großen zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären, eine "physique du monde" zu schreiben, in der Vielfalt der lokalen Erscheinungen die globalen Gesetze des Seins und Werdens zu erkennen, die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu finden, "in der Erscheinungen Flucht den ruhenden Pol" zu suchen.

"Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht" ist ein Zitat aus Schillers Gedicht "Der Spaziergang". Es scheint ein von Alexander von Humboldt gern gebrauchtes Wort zu sein. Es wurde später auch ein Lieblingszitat von Hermann von Helmholtz. Bei Humboldt steht dieses Schiller-Zitat am Schluß der Monographie "Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser": "Große und glänzende Entdeckungen können dem menschlichen Geiste nicht entgehen, wenn er kühn auf dem Wege des Experiments und der Beobachtung fortschreitet, und unablässig sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht."

 

Ergänzung

Herr Dr. W. Knobloch vom Archiv der BBAW äußerte sich in der Diskussion zur Datierung der Umwandlung von Humboldts außerordentlicher Mitgliedschaft in eine ordentliche:

- Für das immer wieder genannte Datum "19. Februar 1805" gibt es keinen Beleg.

- Fakt ist, dass Humboldt nicht am 19. Februar 1805 zum ordentlichen Mitglied gewählt werden konnte, wie Harnack schrieb (Harnack I.2, 535), weil an diesem Tag keine Gesamtsitzung stattgefunden hat.

- Vom 19. November 1805 datiert eine Kabinettsorder des Königs an das Direktorium zur Auszahlung der "Pension" (für ordentliche Mitglieder) an Humboldt. Überdies gibt es eine Anweisung, nach der Humboldt diese jährliche Pension von 500 Talern jährlich ab Dezember 1805 vierteljährlich (je 125 Taler) auszuzahlen ist.

- Der 19. Februar ist durch den 19. November zu ersetzen.

Es könnte in der Tat eine Verwechslung der Daten - 19.2.=19.II.=19.11. - vorliegen). Als Beleg für das Datum "19. Februar 1805" benutzte der Vortragende jedoch nicht Harnack, sondern die "Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus den Jahren 1804 - 1811", Berlin 1815, S. 3: "1805: Zu Mitgliedern wurden aufgenommen [...], Herr Alexander von Humboldt den 19. Februar." Es ist zu prüfen, ob nicht vielleicht eine Direktoriums - Sitzung an diesem Tag stattfand (sofern Archivalien existieren). Denn eine Wahl durchs Plenum war nicht mehr erforderlich (nur die Umwandlung der außerordentlichen Mitgliedschaft in eine ordentliche).

Eine erweiterte Fassung des Vortrags (mit allen Quellenangaben) erscheint im Rahmen der Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung:

Herbert Pieper: "Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick und die seltenste Schnelligkeit der Kombination" Zur Wahl Alexander von Humboldts in die Académie royale des Sciences et Belles-Lettres zu Berlin (2000; Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; Heft in Vorbereitung).

 

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