4. Persönlicher Sprachgebrauch, Alter und Geschlecht

4.1 Spracheinstellungen und -einschätzungen: Persönlicher Dialektgebrauch

Die Umfrage zum Sprachgebrauch in Brandenburg sollte vor allem Einschätzungen und Einstellungen zur Umgangssprache ermitteln und ist keine Dialekterhebung. Für einen Dialektzensus müßten unter anderem die Einschätzungen unserer Gewährsleute verifiziert werden oder verifizierbar sein. Der Fragebogen bietet jedoch Möglichkeiten, Einstellungen, die den Sprechern möglicherweise nicht bewußt sind, zu ermitteln, so etwa die Frage »Verwenden Sie selbst Dialekt?« Sie steht bewußt am Ende des Fragebogens und damit möglichst weit entfernt von der anderen, hier schon behandelten Frage »Wird in Ihrem Ort Dialekt gesprochen?« Die Gewährsleute hatten die Wahl zwischen ja, immer; ja, häufig, ja, aber selten und nein. Werden diese Angaben altersbezogen aufgeschlüsselt, zeigt sich, daß in den mittleren Altersgruppen zwischen 31 und 60 Jahren weniger Befragte als in den jüngeren und älteren Gruppen angeben, selbst Dialekt zu sprechen. Es ist darüberhinaus erkennbar, daß diese altersspezifischen Unterschiede in der Selbsteinschätzung vor allem bei denjenigen vorliegen, die angeben, selbst häufig Dialekt zu sprechen.
Interessant ist, wie sehr sich die Struktur der Antworten bei den ältesten und jüngsten Gewährsleuten gleicht. Doch ist aus dem bereits unter 2.2 vorgestellten Vergleich mit der altersspezifischen Distribution der Dialektbezeichnung bekannt, daß die Jugendlichen hier eine ganz andere Varietät meinen als die Senioren. Ein Abgleich mit den Ausführungen unter 2.2 ergibt, daß für einen großen Teil der unter 30jährigen »Dialekt« mit Berlinisch identifiziert wird. Die Antworten auf die Frage nach dem persönlichen Dialektgebrauch sind vor diesem Hintergrund zu interpretieren: Da die Gewährsleute dieser Altersgruppe unter »Dialekt« vor allem die berlinisch geprägte Umgangssprache verstehen, können sie auch angeben, selbst »Dialekt« zu sprechen.

Der Vergleich der Antworten auf die Frage nach der Existenz eines Ortsdialekts mit denen auf die Frage nach dem eigenen Dialekt ist auch noch in anderer Hinsicht aufschlußreich.






Diagramm 12

Zunächst zeigt sich, daß es in der mittleren Altersgruppe der 31-60jährigen kaum Unterschiede gibt. Die älteren wie die jüngeren Gewährsleute dagegen geben zum Teil erheblich häufiger persönlichen als ortsüblichen Dialektgebrauch an. In der Gruppe der über 60jährigen muß die große Differenz als Indiz für einen den Sprechern bewußten Rückgang des Dialektgebrauchs gewertet werden.

Aufschlußreich ist auch das Verhalten der 31-40jährigen: Sie neigen als einzige Altersgruppe dazu, eher einen Ortsdialekt anzunehmen als einen persönlichen Dialektgebrauch, sehen sich also entweder in der Rolle, eine ortsübliche Varietät vorzufinden, diese aber selbst nicht zu sprechen, oder sie distanzieren sich (un)bewußt von traditionellen Sprachverhältnissen.

In der folgenden Matrix werden die Sprecherinnen und Sprecher in vier Gruppen zusammengefaßt:


Alter

Was wird unter Dialekt verstanden?

Dialektkompetenz

unter 20

Dialekt = Berlinisch

sehr hoch

21-30



31-40

Dialekt nicht Berlinisch

niedrig

41-50

Dialekt nicht Berlinisch

relativ hoch

51-60



über 60

Dialekt = Ortsdialekt

sehr hoch



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