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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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HiN
III,
4 (2002)
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Michael Zeuske
Humboldt, Historismus, Humboldteanisierung.
Der "Geschichtsschreiber von Amerika", die Massensklaverei und die Globalisierungen der Welt.
9. Negativbeispiel „großes Kuba“
Die zitierten Stellen über die „Insel Cuba oder vielmehr die 100 Quadratleguas", sind einige der wenigen Partien, die sich in den von Margot Faak betreuten Tagebuchpublikationen[31] finden lassen. Die Hauptstelle über eines der wichtigsten Strukturprobleme Kubas findet sich aber nicht unter Kuba, sondern unter der Rubrik „In Bogotá“ und vergleicht den Zuckerrohranbau im Valle de las Guadas (Neu-Granada) mit dem Kubas[32]. Humboldt entdeckte sein „kleines Kuba“ in Neu-Granada.[33] Kurz und zugespitzt gesagt, Kuba war für Humboldt sowohl 1800/01 wie auch 1804 (und darüber hinaus, bis Mitte der zwanziger Jahre) wenig interessant und „Teil“ Mexikos bzw. notwendige Durchgangsstation in das eigentliche, das kontinentale Hispano-Amerika. Das wird an der Entstehungsgeschichte und aus Konstruktion des Textes des Essai politique mehr als deutlich.[34] Humboldt spricht ganz aus Perspektive Havannas, denn er hat ja nicht einmal Matanzas besucht. Wenn er in der Einführung des Essais davon spricht, er habe „nur die Umgebungen Havannas, das schöne Tal von Güines und die Küste zwischen Batabanó und dem Hafen von Trinidad durchstreift“ [35], so handelt es sich bei den Reisen in die „Umgebungen Havannas“ und in „das schöne Tal von Güines“[36] quasi um Ausflüge, wie sie die Zuckerhacendados zu ihren Besitzungen machten. Das Verb durchstreifen könnte zur Annahme führen, Humboldt und Bonpland[37] hätten die Südküste zu Land erforscht, was wirklich eine Entdeckungsleistung gewesen wäre, denn dort findet sich eine einmalige Sumpflandschaft (Ciénaga de Zapata), genau so einmalig wie die Everglades in Florida. Humboldt hat dafür nur recht abschätzige Bemerkungen übrig: „... die Ciénaga, eine fürchterlich morastige Gegend ..., die blos Gräser, Iridoida und kränkliche Fächerpalmen hat“.[38] Diese Südküste hat Humboldt mitnichten durchstreift; seine Aussagen über die Sumpfgebiete zeigen auch ein uns völlig fremdes Naturverständnis. Kuba war nach der ersten Forschungsreise durch Venezuela eigentlich nur Anfangs- und Endpunkt der langen Fahrt durch Neu-Granada, Ekuador, Peru und Mexiko.
Während Humboldt alle seine anderen amerikanischen Schriften auf Augenzeugenschaft und auf relativ dichte Tagebuchnotizen stützte (Relation historique, Essai politique über Mexiko), gab und gibt es für Kuba in den bisher publizierten Tagebüchern nur die Textpartien, die die Überfahrt von Nueva Barcelona in Venezuela nach Kuba (24. November 1800 bis 19. Dezember 1800) und die, die die Abreise von Batabanó bis zum Aufenthalt in Trinidad beinhalten (6. März 1801-15. März 1801), also Kuba eigentlich nur aus der Perspektive eines anlaufenden oder ausfahrenden Schiffes betrachten. In den publizierten Werken, bilden diese Tagebuchaufzeichnungen die Grundlage für den letzten Teil des Kapitels XXVII und XXVIII der Relation historique. Der Haupttext des „Cuba-Werkes“, der Essai politique, hat nur eine relativ schmale Grundlage in Humboldts Tagebüchern.
Es muß deswegen fraglich bleiben, ob Humboldt wirklich „ ... in Cuba selbst alles Zugängliche ausgewertet ...“[39] hat. Humboldt selbst: „Ich habe diese [wertvollsten statistischen] Urkunden durchforscht, und die Beziehungen, welche ich nach meiner Rückkehr nach Europa mit Amerika bewahrte, haben mich in den Stand gesetzt, die an Ort und Stelle gesammelten Materialien zu ergänzen.“[40]. Aber in welchen Verhältnis stehen Materialien von „Ort und Stelle“[41], die Humboldt vor allem (nach Morales Morales) von Jauregui, Arango und Valle Hernández bekommen hatte[42], und Ergänzungen durch „Beziehungen“ in Europa? Die jüngsten, von Humboldt im Text oder in den Fußnoten des Essai politique zitierten Arbeiten stammen von 1826. Wir glauben, daß diese späteren, nach seiner Reise erarbeiteten Ergänzungen den übergroßen Teil der Quellen und des Rohmaterials für den Essai politique ausmachen.[43] Humboldt schrieb den Essai politique wahrscheinlich 1826, weil sich die „Weltstellung“[44] Kubas verändert und weil sich seine eigene Haltung zu Kuba als Kolonie und als monarchisch geordnetem Territorium geändert hatte. Den „Supplément“ schrieb er erst nach der Rückkehr von der Rußland-Expedition 1830, denn er verwandte dabei den Vives-Zensus von 1827, der erst 1829 publiziert worden war. Erst nach 1819 fand Humboldt, dessen Interesse an der weiteren Bearbeitung seiner vorhandenen Reisematerials eigentlich abnahm, wie Kurt-R. Biermann dargelegt hat, überhaupt wieder Interesse an einem „amerikanischen Thema“.
Humboldt hat diese veränderte strategische Stellung Kubas, die erst eintreten konnte, als sich nach 1819, eigentlich erst 1824, der Sieg der Patrioten um Bolívar in Südamerika abzeichnete, dann in seinem „schwarzen Neger-Buch über Kuba“[45] (so sein ironischer Titel für den Essai politique über Kuba) dargestellt. Gleichzeitig hat er damit den physiokratischen Mythos Kubas mitkonstruiert, der diese Stellung im 19. Jahrhundert weiter stärkte! [46]
Dabei sollte endlich mit dem Mythos aufgeräumt werden, der immer noch den Eindruck zu erwecken versucht, Humboldt habe im Gegensatz zu anderen Texten besonders intensiv „über Jahre hinweg“ am Essai politique über Kuba gearbeitet. Intensiv hat er gearbeitet, wie er selbst darlegt. Wahrscheinlich aber nur ziemlich kurze Zeit. Am Essai selbst vielleicht sogar nur in der zweiten Hälfte des Jahres 1826, wobei wir hier nicht wissen, wann die mit Erscheinungsjahr „1826“ publizierten Bücher wirklich auf dem Markt waren. Er könnte also auch noch am Anfang des Jahres 1827 daran gearbeitet haben.
Die Arbeit war schwierig, vor allem auch deswegen, weil sich einerseits kein oder nur sehr wenig Kuba-Material in seinen Tagebüchern[47] befand. Und weil die „damals vorhandenen offiziellen Dokumente“[48] nicht ausreichten. Vor allem und zuallererst aber, weil sich auf der Insel wegen der erfolgreichen Restaurationsreformen zwischen 1815 und 1825 „Zucker und Sklaverei“ in der Realität zu einer Art karibischem Wirtschaftswunder[49] entwickelt hatte. Andererseits schienen die zunächst von den Liberalen hochgepriesenen Freistaaten Bolívars nach 1826 in Anarchie zu versinken. Der Essai politique über Kuba ist eine Frucht der Jahre nach 1825 und der Enttäuschung über die liberalen Illusionen in bezug auf die „Freistaaten“. Er analysiert die Ergebnisse eines Wirtschaftsbooms – sehr salopp formuliert, eines prosperierenden „Silicon Valley“ des Zuckers, - am Beginn der zweiten Globalisierung.
Er ist auch ein Zeugnis für die geänderte Haltung Humboldts zu den Mitteln sozialen Wandel, zum Republikanismus im ehemaligen Spanisch-Amerika und zum Monarchismus.[50]
[31] Auch alle anderen Stellen, soweit sie einen Bezug zu unserem Thema haben, befassen sich mit den Verwerfungen, die sich für Humboldt aus der ungünstigen Struktur der Insel
(„ ... Tyrannei, welche die Havana auf den Rest der Insel ausübt ...“), aus den negativen Folgen der Zuckerproduktion mit Massensklaverei ergaben sowie aus Urteilen über die Unmoral der Sklaverei und Überlegungen zur Handelsfreiheit, siehe: Vorabend ..., S. 77, 98, 102-104, 252, 258f., 283 siehe auch: Reise auf dem Río Magdalena ..., S. 66, 87, 261.
[32] Faak, Alexander von Humboldt auf Kuba, Berlin: Alexander von Humboldt-Forschungsstelle, 1996² (Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 11), S. 3f.
[33] Siehe den Kommentar bei: Pietschmann, „Humboldts Bild von Kuba ...“, S. 144-146.
[34]Zeuske, „Vater der Unabhängigkeit? ...“ S. 179-224.
[35] Cuba-Werk ..., S. 8. Siehe auch: Vorabend ..., S. 296.
[36] Humboldt nutzt diese „Landschaftsfotos“ („... das Tal von Güines auf der Südostseite Havannas, eine der herrlichsten Gegenden der Neuen Welt“, Humboldt, Mexico-Werk ..., S. 341), um zum Beispiel den Unterschied im Sinn des Begriffs „Ackerbau“ zwischen Mexiko und Kuba zu verdeutlichen.
[37] Foucault, Philippe, Le pêcheur d’orchidées. Aimé Bonpland; 1773-1858, Paris: Seghers, 1990.
[38] Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena ..., I, S. 41.
[39] Cuba-Werk, S. 247.
[40] Ebd., S. 8.
[41] Siehe künftig: Zeuske, „Geschichtsschreiber von Amerika“ (II): die Quellen von Humboldts Essai politique über Kuba (in progress).
[42] Um die Humboldt nach Vidal Morales Morales bei seiner ersten Abreise von Havanna Andrés de Jauregui, Francisco de Arango und Antonio del Valle Hernández gebeten hatte und die er, vor allem wohl von letzterem (nach Pérez de la Riva „erster Statistiker Kubas“), auch bekam, siehe: Morales y Morales, Vidal, „El barón de Humboldt en la Isla de Cuba“, in: El Figaro, La Habana, 6. Juni 1897, S. 258; Ibid., 21. Juni 1897, S. 286; Ibid., 22. Juni 1897, S. 300 (wieder abgedruckt in: Serie Histórica, núm. 9, La Habana: Academia de Ciencias de Cuba, 1969, S. 27-32. Juan Pérez de la Riva, „Antonio del Valle Hernández, ¿El primer demógrafo cubano?“, in: Antonio del Valle Hernández, Sucinta noticia de la situación presente de esta colonia, ed. Chávez Álvarez, Ernesto, La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 1977, S. 3-40. Pérez de la Riva ist auch der Meinung: „Fue también nuestro autor [Valle Hernández] quien acompañó al barón de Humboldt durante su breve estancia en La Habana, y quien le sumunistró más tarde gran parte de los datos con que elaboró el célebre Ensayo Político.“ Ibid., S. 8f; siehe aber Ortiz und Einleitung Puig Samper.
[44] Cuba-Werk, S. 244, nach Carl Ritter.
[45] Ferdinand T. Bratranek (Hrsg.), Goethe's Briefwechsel mit den Gebrüdern Humboldt (1795-1832), Leipzig 1876, S. 319.
[46] Ähnliches gilt für Mexiko, siehe: Bernecker, Walther L., „Der Mythos vom mexikanischen Reichtum. Alexander von Humboldts Rolle vom Analysten zum Propagandisten“, in: Ette, Ottmar; Bernecker, Walther L. (eds.), Ansichten Amerikas. Neuere Studien zu Alexander von Humboldt, Frankfurt am Main: Vervuert 2001, S. 79-104.
[47] Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena ..., I, S. 41-48. Nach Margot Faak, der besten Kennerin der Tagebücher, handelt es sich um die Blätter 187v-191r und 193v-194r des Tagebuchs II und VI; siehe auch die Note, ibid., S. 394.
[48] Cuba-Werk ..., S. 177. Humboldt hatte, nach Vidal Morales Morales, bei seiner ersten Abreise von Havanna Andrés de Jauregui, Francisco de Arango und Antonio del Valle Hernández um diese „Dokumente“ gebeten. Humboldt bekam sie, vor allem wohl von letzterem (nach Pérez de la Riva „erster Statistiker Kubas“), auch, siehe: Morales y Morales, Vidal, „El barón de Humboldt en la Isla de Cuba“, in: El Figaro, La Habana, 6. Juni 1897, S. 258; Ibid., 21. Juni 1897, S. 286; Ibid., 22. Juni 1897, S. 300 (wieder abgedruckt in: Serie Histórica, núm. 9, La Habana: Academia de Ciencias de Cuba, 1969, S. 27-32.
[49] Zeuske; Zeuske, Kuba 1492-1902 ..., S. 205-227.
[50] Die Aussagen über die Vorgeschichte der Rußlandreise und die Kompromisse, die Humboldt dabei einging, bestärken mich in dieser Auffassung, siehe: Suckow, „Alexander von Humboldt und Russland“, S. 247-264, hier S. 248f.
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