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H i N

Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     II, 3 (2001)
 
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Ulrike Leitner: Unbekannte Venezuela-Karten
Alexander von Humboldts

 

Der Einfluß der Amerikareise Alexander von Humboldts und seiner Publikationen, insbesondere des vielbändigen Amerikawerkes (1), auf die Entwicklung der Kartographie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ist unbestritten.(2) Humboldts Verdienst auf diesem Gebiet besteht in den auf unzähligen Messungen beruhenden Karten der bereisten Länder, in der Genauigkeit dieser Messungen und vor allem darin, in der Natur die sie steuernden Gesetze, das "Zusammenwirken der Erscheinungen", "die Einheit in der Mannigfaltigkeit" zu suchen. Letzteres widerspiegelt sich auch in seinem Bemühen um die Vervollkommnung der kartographischen Formen. Beispiele dafür sind:

- die Weiterentwicklung der Länderprofile zum idealisierten pflanzengeographischen Profil, benutzt als Schema zur Darstellung der geographischen Verteilung der Pflanzen und ihrer Abhängigkeit von klimatischen u. a. Bedingungen;(3)

- die Entwicklung der "Pasigraphie" 1803, einer kurzen, einprägsamen Formelsprache zur Darstellung geologischer Charakterzüge der Landschaft;(4)

- die Publikation der ersten Isothermenkarte 1817, d.h. einer Karte mit Linien gleicher mittlerer Jahrestemperatur, mit deren Hilfe man die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper darstellen konnte;(5)

- die Unterstützung bei der Entstehung des ersten thematischen Weltatlas 1845 (6).

 

Die zum Amerikawerk gehörenden Kartenwerke sind umfangreiche Foliobände mit vielen, oft zum ersten Mal so detailliert gezeichneten Karten:

- "Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique" 1810-1813 (der "pittoreske" Atlas)

- "Atlas géographique et physique des régions équinoxiales du Nouveau Continent" 1814-1838 (der geographisch-physikalische Atlas)

- Atlas géographique et physique du royaume de la Nouvelle Espagne" 1808-1811 (der sog. Mexiko-Atlas).

Daneben gibt es lt. Engelmann (7) ca. 450 Kartenskizzen in den Reisetagebüchern (8).

Auf diese bekannten und oft zitierten Werke wird im folgenden nicht eingegangen, es sollen hier nur einige weniger bekannte Mosaiksteine aus Humboldts kartographischen Schaffen herausgegriffen werden.

 

1. Eine Profilkarte Venezuelas

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Geognostische Durchschnitt der Küstenkette von Venezuela.
In: Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft 1853, Taf. II.

Der Geographiehistoriker und Humboldtforscher Hanno Beck hat mehrfach betont, daß Humboldt, wahrscheinlich durch seine Arbeit als Bergmann beeinflußt, die Profilkarte, ursprünglich ein seitlicher Einblick in Bergwerke, zu einem wissenschaftlichen Instrument entwickelt hat. Er verwies dabei auf die beiden Profilkarten von Spanien 1799 und Mexiko 1803.(9)

Der hier präsentierte "Geognostische Durchschnitt der Küstenkette von Venezuela" ordnet sich ergänzend in diesen Kontext ein. Humboldt hat während seiner Amerikareise die Profilkarte als nützliches Instrument zur Darlegung geographischer und geologischer Eigenschaften einer Region geschätzt und öfter benutzt, als bisher angenommen wurde. Er sagte später: "Man hat mich verschiedentlich getadelt, daß ich nicht in denselben Aufrissen die Schichtung und Lagerung der Gebirgsmasse, selbst ihr Fallen und Streichen, angegeben habe. Besondere Ursachen hinderten mich daran. In meinem Reisejournalen finden sich hinlängliche geologische Materialien, um sogenannte mineralogische Karten zu entwerfen. Mehrere davon habe ich in einem Werke benutzt, das ich unter dem Titel ‘Nivellement barométrique fait dans les régions équinoxiales du Nouveau Continent’ herausgegeben habe; aber nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die geologischen Profile, welche die Natur und Lagerung der Gebirgsarten anzeigen, ganz von den physikalischen Karten zu trennen, welche bloß die Unebenheiten der Oberfläche vorstellen."(10)

Auf Grund dieser Entscheidung Humboldts ist die hier abgebildete Karte ziemlich unbekannt geblieben, da sie in keinem der verschiedenen Kartenwerke, die das sog. Amerikawerk begleiteten, sondern erst 1853 in der "Zeitschrift der geologischen Gesellschaft" erschien. In einem Begleitschreiben an Julius Ewald, den Geologen und Freund Humboldts, schrieb Humboldt, daß es ihm angenehm wäre, wenn Ewald es übernehmen würde, der "Societät ein Blatt vorzulegen, das vor mehr als dreiundfünfzig Jahren gezeichnet ist [...] Vielleicht hat es einiges Interesse, die periodisch wechselnden älteren Formationen von grünen Schiefern, Serpentin und Grünstein, wie die plutonischen Eruptivmassen (Mandelstein und Porphyrschiefer) ins Auge zu fassen, die das ehemalige Ufer des neptunischen grossen Seebodens (der Llanos de Caracas) bilden. Die Ränder solcher Becken konnten leichter zu Ausbrüchen Anlaß geben."(11) Ewald ergänzte, daß die vorliegende Karte im Jahre 1800 ausgeführt, aber hier zum ersten Mal publiziert sei, und zitierte dazu die entsprechenden Stellen der "Relation historique" (Oktavausgabe, Vol. VI , p. 30-38, Vol. X, p. 261-275), auf die Humboldt ihn in seinem Brief ebenfalls hingewiesen hatte.

Die hier zitierte Publikation ist nicht nur ein interessanter Hinweis auf die Bedeutung, die Humboldt Profilkarten beimaß, sondern auch darauf, daß er gerade geologische Ergebnisse der Amerikareise oft nicht in sein Amerikawerk aufgenommen hatte. Vielleicht sollte diese Karte der geplanten, jedoch nicht zustande gekommenen geologischen Partie des Amerikawerks vorbehalten bleiben.(12)

 

Anmerkungen:

(1) Voyage aux régions équinoxiales du nouveau continent fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 et 1804, par Al. de Humboldt et A. Bonpland. 29 vols. Paris 1805-1839.

(2) Eine umfassende Zusammenstellung s. Engelmann, Gerhard: Alexander von Humboldts kartographische Leistung. In: Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Geographischen Instituts der Deutschen Akademie der Wissenschaften. N. F. 27/28. 1970, S. 5-21.

(3) Géographie des plantes équinoxiales. Tableau physique des Andes et Pays voisins Dressé d'après des Observations & des Mesures prises Sur les Lieux depuis le 10.e degré de latitude boréale jusqu'au 10.e de latitude australe en 1799, 1800, 1801, 1802 et 1803. Par Alexandre de Humboldt et Aimé Bonpland. Esquissé et rédigé par M. de Humboldt, dessiné par Schönberger et Turpin à Paris en 1805, gravé par Bouquet, la Lettre par Beaublé, imprimé par Langlois.

(4) S. Beck, Hanno: Alexander von Humboldts "Essay de Pasigraphie" Mexico 1803/04. In: Forschungen und Fortschritte 32. 1958, S. 33-39.

(5) Humboldt, Alexandre de: Des lignes isothermes de la distribution de la chaleur sur le globe. In: Mémoires de physique, et de chimie, de la Société d’Arcueil. 3(1817), S. 462-602.

(6) Dr. Heinrich Berghaus' Physikalischer Atlas oder Sammlung von Karten, auf denen die hauptsächlichsten Erscheinungen der anorganischen und organischen Natur nach ihrer geographischen Verbreitung und Vertheilung bildlich dargestellt sind. Erster Band 1845.Zweiter Band 1848. Verlag von Justus Perthes in Gotha. Humboldt hatte die Entstehung dieses Atlas 1827 gefördert: s. Engelmann, Gerhard: Heinrich Berghaus. Der Kartograph von Potsdam. Halle 1977. (Acta historica Leopoldina. 10).

(7) Vgl. Fußn. 2.

(8) Tagebücher Alexander von Humboldts. Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz. Handschriftenabteilung. Der größte Teil der Tagebücher ist in drei Bänden publiziert: Alexander von Humboldt. Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico, T. I: Texte. Aus seinen Reisetagebüchern zusammengestellt und erl. durch Margot Faak. Berlin 1986. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. 8) T. II: Übersetzung, Anmerkungen, Register. Übers. u. bearb. v. Margot Faak. Berlin 1990. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. 9) sowie Alexander von Humboldt. Reise durch Venezuela. Auswahl aus seinen amerikanischen Tagebüchern. Hrsg. v. Margot Faak. Berlin 2000. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. 12). Dieser Band enthält eine reiche Beigabe der Kartenskizzen Humboldts aus den Reisetagebüchern.

(9) Alexander von Humboldt. Schriften zu einer Geographie der Pflanzen. Hrsg. u. komment. v. Hanno Beck u. a. Darmstadt 1989. (Studienausgabe in sieben Bänden. 1), S. 21, sowie Beck, Hanno: Profil - Reliefmodell - Panoramakarte - Reliefkarte - Hochgeprägte Reliefkarte. Das Problem der dritten Dimension in Geographie und Kartographie und die relieforientierte Geographie der Zukunft. In: Speculum Orbis 1985, H. 1, S. 24-28.

(10) Humboldt, Alexander von: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien, Bd. 1, Tübingen 1809, zitiert nach: Alexander von Humboldt. Schriften zur Physikalischen Geographie. Hrsg. u. Komment. v. Hanno Beck u. a. Darmstadt 1989. (Studienausgabe in sieben Bänden. 6), S. 6.

(11) Schichtung der Gebirgsarten am südlichen Abfall der Küstenkette von Venezuela gegen das grosse Becken der Ebenen (Llanos). Aus einem Briefe des Herrn Alexander v. Humboldt an Herrn Ewald. In: Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft 1853, 5. Bd., S. 18-20.

(12) Vgl. Leitner, Ulrike: Über den Anteil der Geologie an den Schriften Alexander von Humboldts. In: Studia Fribergensia. Berlin 1994. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. 18.), S.169-176.

 

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