Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009
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H i N

Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     II, 3 (2001)
 
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Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde

 

3. HUMBOLDTs Uhren

HUMBOLDT hatte eine besondere Vorliebe für das Meer und wohl auch ein besonderes Verhältnis zu Uhren. Er kannte sich hierin gut aus. Wir können über seine Zeitmesser einiges in Erfahrung bringen. Er besaß neben der Seeuhr von Louis BERTHOUD später auch andere Uhren, u.a. einen bemerkenswerten Chronometer, der 1828 von Heinrich Johannes KESSELS (1781-1849) in Altona gefertigt wurde. Es war ein Geschenk des dänischen Königs Frederik VI., der es HUMBOLDT nach Rücksprache mit dem mit HUMBOLDT befreundeten Direktor der "dänischen" Sternwarte in Altona, Heinrich Christian SCHUMACHER (1780-1850) in Berlin überreichen ließ. Der Dänenkönig hatte HUMBOLDT vorher nach seinen Wünschen befragt, und dieser erbat sich wegen seiner schlechter gewordenen Augen eine Uhr mit besonders großem Sekundenblatt (vgl. BIERMANN 1979). HUMBOLDT bedankte sich kurz danach mit voller Begeisterung für das noch erhaltene Präzisionsinstrument, das er aber nie mehr auf Reisen einsetzen sollte. In einem Brief nach Altona schrieb HUMBOLDT aus Potsdam am 25. Mai 1828 hierzu: "Da Sie Offenheit mir zum Gebote machen, so sage ich Ihnen gern, daß ich einen Taschenchronometer vorziehe. Mein König hat mir vor kurzem auch einen von Mellinger aus Berlin geschenkt, aber ein solcher Berliner Taschen-Chronometer ist ein bloßer Versuch. Er ist bei beträchtlichen Temperaturveränderungen von sehr schlechtem Gang, und ich weiß, wie vortrefflich die Kesselschen Taschen-Chronometer sind. Meine einzige Bitte geht dahin, daß meiner alternden Augen wegen die Secunden-Abtheilung etwas groß sei. Den Secundenzeiger der Breguetischen Taschenchronometer finde ich unerträglich klein, und der Chronometer von Louis Berthoud, dessen ich mich auf der amerikanischen Reise bediente, mit emaillenen (nicht metallischen) Ziffernblatt und großen Secunden-Zeiger war mir sehr angenehm" (BIERMANN 1979, S. 30).

Und HUMBOLDT fügt eine weitere Eigenschaft dieser Uhr an: "Lieben Sie nicht auch, daß das Gehäuse so verschlossen werde von dem Künstler selbst, daß es nur durch mehrere Schrauben zu öffnen sei. Man geräth dann nie in Versuchung, zu öffnen, und eine so dichte Verschließung ist eine große Sicherheit gegen den Staub". Im übrigen sind die beiden Taschenchronometer von BERTHOUD und SEYFFERT zusammen mit den anderen wichtigen Instrumenten HUMBOLDTs auf dem berühmten Gemälde von Eduard ENDER "Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland im Urwald" (1856) abgebildet. Die Uhren liegen mit Ketten am Gürtel neben dem Strohhut am Boden der Urwaldhütte nahe HUMBOLDTs linken Fuß. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß HUMBOLDT die Uhren so achtlos auf den Boden geworfen hat.

In einem weiteren Brief an SCHUMACHER aus Potsdam vom 23.8.1830 bedankte sich HUMBOLDT dann zwei Jahre später (nach BIERMANN 1979, S. 43) für die "zuvorkommende Gewogenheit", "mit der Sie mir einen Ihrer schönsten Chronometer bis an die chinesische Dzungarie zu tragen erlaubten.... Das herrliche, bewunderte Werk Kessels ist in meinen Händen".

Der Altonaer Feinmechaniker und Uhrmacher Heinrich Johannes KESSELS unterhielt später eine Filiale in London. Nach BERGHAUS (1837) fuhren die Schiffe der Preußischen Seehandlungsgesellschaft "Mentor"(1823) und "Prinzeß Louise" (1827) mit KESSELS-Chronometern. Für seinen Physikalischen Atlas und den Preußischen Seeatlas analysierte er die Schiffsjournale zur Ermittlung der Meeresströmungen und benutzte hierfür auch hydrographische Manuskriptvorlagen von HUMBOLDT. BERGHAUS führte mit Recht aus: "Obschon die Strömungen des Oceans einen der wichtigsten Theile der Hydrographie bilden, so ist es doch ... erst seit Einführung der Kronometer und der Vervollkommnung astronomischer Beobachtungen zur Bestimmung der Meereslänge gelungen, sich einen richtigen Begriff von ihrer Richtung und Kraft zu verschaffen. Konnte auch vor Erfindung der Zeithalter die Abweichung ... durch Vergleichung der aus der Schiffsrechnung und der unmittelbaren Beobachtung hervorgehenden Breite gefunden werden..." (BERGHAUS 1837, S. 292). HUMBOLDT unterstützte die Handelsfahrten durch wissenschaftliche Ratschläge zur Instrumentenführung und Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen.

Etwa gleichzeitig gab es noch eine weitere eher marginale Beziehung HUMBOLDTs zu KESSELS' Chronometern, die hier der Vollständigkeit halber angemerkt wird. Neben den Engländern, Franzosen und (eher minimal) den Preußen und deutschen Hansestädten war das Zarenreich an eigenen überseeischen Entdeckungs- und Handelsfahrten interessiert. Also brauchte man in St. Petersburg ebenfalls unbedingt gute Chronometer. Im Mai 1833 führte man unter Leitung von Generallieutnant von Theodor Friedrich SCHUBERT (1789-1865) in der Ostsee eine Expedition mit einem Dampfboot zur Erprobung von 40 Chronometern durch, darunter einige von KESSELS', aber auch "wohl einige auf Krücken" (so HUMBOLDT an SCHUMACHER in einem Brief vom 20.4.1833, BIERMANN 1979, S. 25, vgl. ENGELMANN 1970). HUMBOLDT der Seefahrer schaltete sich ein und vermittelte in Berlin eine geodätisch-astronomische Beteiligung Preußens an der Küste von Pommern.

HUMBOLDT schrieb am 12. April 1829 an SCHUMACHER (BIERMANN 1979, S. 42): "Ein gestern aus St. Petersburg eingetroffener Kurier ... zwingt mich, in einer Stunde nach Rußland aufzubrechen. Ich habe nur noch Zeit, mein achtbarer Freund, Ihnen die Versicherung meiner lebhaften Erkenntlichkeit darzubringen und Ihnen zu sagen, daß die zwei Uhren glücklich angekommen sind, ich jedoch nur die herrliche Uhr von Earnshaw mitnehme. Da mir mein Bruder (= Wilhelm von HUMBOLDT) unterdessen sein Chronometer von Breguet geliehen hat, lasse ich die Uhr zum Punktieren, die einer Gefahr aussetzen ich mich fürchten würde, in den Händen von Encke".

Kurz vorher war er von seiner letzten großen Expedition nach Sibirien und Zentralasien zurückgekehrt. Hierfür hatte ihm SCHUMACHER zwei Chronometer ausgeliehen. Im hölzernen Chronometerkästchen ist ein eingeklebter Zettel erhalten geblieben mit folgendem Wortlaut: "Chronometer des Königs v. Dänemark, der mir gehört u. auf der Sternwarte bei Prof. Encke liegt. A. v. Humboldt". Dieser Zeitmesser mit der Seriennummer 1289 ist noch erhalten (vgl. Abb. in KRÄTZ 1997, S. 65, Abb. 2).

In dem 1814 in französischer Sprache als Teil des umfangreichen Reisewerks erschienenen Bericht "Relation historique" findet sich eine Auflistung der wichtigsten von HUMBOLDT mit an Bord der "Pizarro" auf die Reise über den Atlantik genommenen Instrumente (vgl. auch SEEBERGER 1999, mit Abb. eines Taschenchronometers von Ferdinand BERTHOUD, 1799 in Paris gefertigt, mit Zusatz: "Humboldt führte ein ähnliches Instrument von dessem Neffen, Louis BERTHOUD, mit sich", s. Abb.1 unten).

Chronometer von Ferdinand Berthoud

Chronometer von Ferdinand Berthoud, Paris 1799. (Die Längenuhr von Louis Berthoud war von ähnlicher Bauart) (aus: SEEBERGER 1999)

In der "Relation historique" (1814, S. 57 f.) führt HUMBOLDT auf: "Eine Uhr zur Bestimmung der Länge von Louis BERTHOUD Nr. 27, die dem berühmten BORDA gehört hat. Ich habe die Details über ihre Funktionsweise in der Einführung meiner ‚Recueil d’observations astronomique’publiziert."

Ferner hatte HUMBOLDT "ein Halb-Chronometer von SEYFFERT zum Transport der Zeit in kurzen Zeitintervallen" im Reisegepäck, es diente insbesondere zur Längenbestimmung durch Zeitmessung bei kürzeren und beschwerlichen Ausflügen, wenn es nicht unbedingt notwendig war, die sehr präzise, empfindliche und sehr teure BORDA-Uhr mitzuführen (SEEBERGER 1999, S. 59). Diese instrumentenkundlichen Details fehlen leider in der gekürzten von HUMBOLDT autorisierten deutschen Übersetzung durch H. HAUFF (Bd. 1, 1861, S. 25). Hier ist nur von der Positionsbestimmung zahlreicher Punkte durch rein chronometrische Mittel die Rede. Auch über diese Uhr kann er interessanterweise noch Zeitzeugnisse beibringen: BECK (1961, S. 280, Fußnote 274) fand in der Sammlung DARMSTAEDTER in Marburg eine Auflistung der mitgeführten Instrumente, die HUMBOLDT mit eigener Hand während der Reise 1803/04 in Mexico-Stadt zusammenstellte. Unter Nr. 4 heißt es:

"Une montre de Longitude de Seyffert ou Chronometre de poche d'après les principes de Madge avec les compensations de temperature. (Le boite n'est pas d'or comme dans tous les Time-Keeper de cette Classe. Cette montre vient d'être nettoyé il y a mois 280."

Die Instrumentenliste enthält auch Wertangaben in Piaster. Das unter Nr. 15 aufgeführte "Chronometre de L. Berthoud" wird mit 800 Piaster als teuerstes Gerät aufgeführt, es wird ein nahezu dreifacher Preis genannt.

In einem weiteren (unvollständigen) "Verzeichnis der von HUMBOLDT bei den Beobachtungen in Amerika angewandten Instrumente in der von Franz von ZACH herausgegebenen "Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde (Bd. XXI) werden aufgelistet 5) eine Längen-Uhr von Louis BERTHOUD sowie 6) ein Vice-Taschenchronometer von SEYFFERT" (BECK 1959, S. 281).

Johann Heinrich SEYFFERT (1751-1818) war Uhrmacher und Mechaniker am Physikalisch-Mathematischen Salon in Dresden und arbeitete für dessen Inspektor Johann Gottfried KÖHLER (1745-1801), der HUMBOLDT auch ein Meßfernrohr mit Mikrometerschraube überließ und ihm auch Anweisungen zur Durchführung astronomischer Ortsbestimmung gab. In einem Brief von Franz Xavier Freiherr von ZACH (1754-1832), Astronom auf dem Seeberg bei Gotha an seinen Prager Kollegen Martin A. DAVID vom 21. August 1797 erfährt man, daß HUMBOLDT den Chronometer wohl in Dresden auf der Durchreise nach Wien erwarb. "Was des Herrn Seyfferts sogenannten Chronometer betrifft, so ist es wohl wahr, daß ich ihn in Gotha geprüft, aber auch gefunden habe, daß er nichts mehr, als eine höchst mittelmäßige Minutenuhr ist, solche Sprünge von denen Sie sprechen, hat diese Uhr auch in Gotha gemacht. Ich bedaure den Herrn von Humboldt sehr, wenn er glaubt, daß er einen Chronometer besitzt. Es ist nichts weniger als das vielmehr himmelweit davon entfernt" (zitiert bei BIERMANN 1990, S. 191). HUMBOLDT wußte mithin sehr wohl um die Unzulänglichkeit dieses Chronometers und beschaffte sich deshalb in Paris ein besseres.

 

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