HiN - Humboldt im Netz

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Renato G. Mazzolini (Trento, Italien)

Bildnisse mit Berg: Goethe und Alexander von Humboldt

übers. von Wolfgang Böker (Göttingen)

4. Goethe und Humboldt

Zum ersten Mal begegneten sich Humboldt und Goethe 1794, als Alexander seinen Bruder Wilhelm (1767-1835) in Jena besuchte, der ihn Friedrich Schiller (1759-1805) und Goethe vorstellte, mit dem er sich mehrmals über Botanik und Zoologie unterhielt. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Begegnungen, Briefwechseln und gegenseitigen Zitaten in ihren Werken. Ihre Sympathie für die Vorstellung einer grundsätzlichen Einheit der Natur trotz aller Vielfalt der Erscheinungen scheint die beiden verbunden zu haben, ebenso wie die große Bedeutung, die sie komparativen Studien für die Naturforschung beimaßen, wenn auch Goethes Vorliebe der morphologischen Analyse galt, während Humboldt die auf Messung und Quantifizierung beruhende Analyse bevorzugte. Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nahmen allerdings aus ideologischen Gründen die Beziehungen zwischen Goethe und Humboldt in der Sekundärliteratur breiten Raum ein, und die beiden wurden zu den Koryphäen der deutschen Literatur und Wissenschaft stilisiert. In Wirklichkeit war ihr Verhältnis aber – verglichen mit ihren jeweiligen Beziehungen zu anderen Wissenschaftlern und Schriftstellern – von relativ geringer Intensität und kaum von wechselseitiger Anregung geprägt.[1] Auch darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass zum einen Humboldt vor allem Kontakte zur französischen Wissenschaft pflegte und den Großteil seiner Werke auf Französisch schrieb; und zum anderen standen die beiden in Fragen der Geologie in gegnerischen Lagern, da Goethe ein Neptunist war, während sich Humboldt insbesondere aufgrund seiner Beobachtungen an den Andenvulkanen zum Plutonisten gewandelt hatte. Es gibt jedoch einige Aspekte des Verhältnisses zwischen Goethe und Humboldt, die vor allem wegen der Rolle in Erinnerung gerufen zu werden verdienen, die Berge darin spielen.

Schon in der zeitgenössischen Presse wurde über Humboldts Expedition berichtet, meist aus Briefen, die Humboldt, wann immer es ihm möglich war, nach Europa schickte, vor allem an seinen Bruder. Unter den Zeitschriften, die solche Meldungen druckten, waren auch die Allgemeinen geographischen Ephemeriden, die in Weimar von einer vielseitigen und umtriebigen Persönlichkeit herausgegeben wurden: Friedrich Justin Bertuch (1747-1822). Wir wissen, dass Goethe diese Meldungen las und dass Wilhelm von Humboldt ihm schon im Juni 1805 berichtete, Alexander habe ein Werk über die Geographie der Pflanzen an ihn abgeschickt. [2] In der Zwischenzeit verfasste Goethe eine günstige Besprechung des Vortrages Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse, den Alexander von Humboldt am 30. Januar 1806 in einer öffentlichen Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin gehalten hatte.[3] Möglicherweise veranlasste gerade diese Besprechung Humboldt dazu, Goethe die deutsche Ausgabe seines Essai sur la géographie des plantes zu widmen, während die französische Erstausgabe ja zwei Botanikern aus Frankreich gewidmet war.[4] Die Ausgabe wurde Anfang 1807 gedruckt und trägt den Titel Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Goethe erhielt am 16. März ein Exemplar mit der von Bertel Thorwaldsen (1770-1844) entworfenen Widmungsseite, aber ohne die Bildtafel, die zu dem Buch gehören sollte, jedoch offenbar noch nicht fertig war (Abb. 5).

Abb. 5 - Géographie des plantes equinoxiales

Abb. 5    

Géographie des plantes equinoxiales, die große Bildtafel zum Essai sur la géographie des plantes, accompagné d’un tableau physique des régions équinoxiales (Paris: chez Fr. Schoell; Tübingen: chez J. G. Cotta 1805/7) von Alexander von Humboldt. Sie beruht auf einer Zeichnung Humboldts, der auch den Text redigierte; gezeichnet 1805 von Lorenz Adolf Schönberger (1768-1847) und Pierre Jean François Turpin (1775-1840) in Paris, gestochen von Louis(?) Bouquet (1765-1814) (Bildelemente) und von Claude Louis(?) Jacques(?) Beaublé (1817?) (Text), gedruckt bei Langlois. Von dieser Tafel existieren auch farbige Versionen auf Französisch und Deutsch.

 

In einem Brief vom 3. April[5] dankt Goethe Humboldt für das Geschenk und die Widmung („Ich weiß gewiß den Werth eines solchen Andenkens zu schätzen [...]“); dann berichtet er:

„Ich habe den Band schon mehrmals mit großer Aufmerksamkeit durchgelesen, und sogleich, in Ermanglung des versprochenen großen Durchschnittes, selbst eine Landschaft phantasirt, wo [...] die Höhen der europäischen und americanischen Berge gegen einander gestellt sind [...]. Ich sende eine Copie dieses halb im Scherz, halb im Ernst versuchten Entwurfs und bitte Sie, mit der Feder und mit Deckfarben nach Belieben hinein zu corrigiren, auch an der Seite etwa Bemerkungen zu machen und mir das Blatt bald möglichst zurückzusenden. Denn die [...] Unterhaltungen am Mittwoch, bey welchen ich unserer verehrten regierenden Herzogin, der Prinzeßin und einigen Damen bedeutende Gegenstände der Natur und Kunst vorzulegen pflege, haben wieder ihren Anfang genommen, und ich finde nichts interessanteres und bequemeres, als Ihre Arbeiten dabey zum Grunde zu legen und das Allgemeinere, wie Sie es ja schon selbst thun, anzuknüpfen.“[6]

In Wirklichkeit hatte er den Damen aber bereits am 1. April von Humboldts Überlegungen berichtet und ihnen dabei seine Skizze gezeigt, womit er großes Interesse auslöste, wie beispielsweise eine Äußerung von Charlotte von Schiller (1766-1826) belegt: „Die neue welt ist viel höher als die Alte, eine Sinnreiche Anschauung der Höhen hat G. in einer erfundnen Landschaft gegeben, u. die Höhen der Berge des Alten und neuen Continents bestimmt.“[7] Es ist nicht bekannt, ob Humboldt auf Goethes Bitte geantwortet hat, zumindest aber traf die große Bildtafel zu den Ideen zu einer Geographie der Pflanzen am 5. Mai 1807 in Weimar ein.[8]

Einige Jahre später erfuhr Bertuch, stets auf der Suche nach neuen graphischen Darstellungsformen für Kinderbücher oder für Werke für Erwachsene, von Goethes Zeichnung. Er muss Goethe davon überzeugt haben, dass es sinnvoll sei, sie zu veröffentlichen, weil sie ihm, wie er später schrieb, „angenehmer und nützlicher“ erschien als die große Tafel des Schweizer Kupferstechers Christian von Mechel (1737-1818), der zuerst in Paris gearbeitet hatte, aber während der Revolution nach Berlin übersiedelt und dort Mitglied der Kunstakademie geworden war.[9] Und so publizierte Bertuch 1813 eine Humboldt gewidmete, auf Goethes Zeichnung beruhende Tafel (Abb. 6), der ein kurzes Vorwort und eine von Goethe verfasste Erläuterung beigegeben war.[10] Die Tafel zeigt unter anderem de Saussure auf dem Mont Blanc, Humboldt auf dem Chimborazo und die Montgolfiere von Gay-Lussac. Sie war so erfolgreich, dass Bertuch davon zwei Separatdrucke herausgab, einen in Sepia und einen kolorierten; in Frankreich erschien ein Farbdruck mit einigen von Humboldt selbst angeregten Veränderungen.[11]

 

Abb. 6 - Höhen der alten und neuen Welt

Abb. 6    

Höhen der alten und neuen Welt, bildlich verglichen, Bildtafel (31 x 38,6 cm) auf der Grundlage einer Zeichnung von Goethe, gewidmet Alexander von Humboldt und veröffentlicht von Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) im 41. Band der Allgemeinen Geographischen Ephemeriden von 1813.

  



[1] Rupke, Nicolaas: „Goethe und Alexander von Humboldt“ in: Mittler, Elmar (Hg.): „Göthe ist schon mehrere Tage hier, warum weiß Gott und Göthe“: Vorträge zur Ausstellung „Der Gute Kopf Leuchtet überall hervor“ – Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Göttingen: Wallstein, 2000, S. 197-210.

[2] Nickel, Gisela: „‘Höhen der alten und neuen Welt bildlich verglichen‘. Eine Publikation Goethes in Bertuchs Verlag“ in: Kaiser, G. R. und Seifert, S. (Hgg.): Friedrich Justin Bertuch (1747-1822). Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2000, S. 673-689, hier S. 673.

[3] Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen: in der Cotta’schen Buchhandlung, 1806.

[4] Rupke [wie Anm. 21], S. 200.

[5] Nickel [wie Anm. 22], S. 676 Anm. 14 weist darauf hin, dass der Brief zwar auf den 3. April datiert ist, jedoch wohl erst am 13. April abgeschickt wurde.

[6] WA IV, 19: 296-299. Goethes Zeichnung befindet sich heute in der Sammlung der Stiftung Weimarer Klassik, Inventarnummer 2242. Eine gute Reproduktion in Farbe bietet der Ausstellungskatalog Goethe und die Kunst. Hg. v. Schulze, Sabine. Ostfildern: Hatje, 1994, S. 502 Nr. 329, allerdings mit fehlerhafter Angabe zum Standort, worauf Nickel [wie Anm. 22], S. 675 Anm. 11 hinweist. Die an Humboldt gesandte Kopie befindet sich heute im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt, Inventarnummer 853; zu ihr vgl. Nickel [wie Anm. 22], S. 676 Anm. 15.

[7] Grumach, Renate (Hg.): Goethe. Begegnungen und Gespräche. Bd. 6: 1806-1808. Berlin: Walter de Gruyter, 1999, S. 241 mit der Datierung „Erinnerungen aus G. Unterhaltungen den 1 ten April 1817“.

[8] Nickel [wie Anm. 22], S. 676; ein Faksimile von Humboldts Tafel in Originalgröße bieten Beck, Hanno und Hein, Wolfgang-Hagen: Humboldts Naturgemälde der Tropenländer und Goethes ideale Landschaft. Stuttgart: Brockhaus Antiquarium, 1989; dort auch Faksimilia von zwei auf Goethes Zeichnungen beruhenden Drucken.

[9] Mechel, Christian von: Explication du tableau des hauteurs principales du globe terrestre. Berlin: Chez Simon Schropp, 1806; das Bertuch-Zitat in Nickel [wie Anm. 22], S. 676.

[10] Bertuch, Friedrich Justin: „Höhen der alten und neuen Welt bildlich verglichen“, in: Allgemeine geographische Ephemeriden, vol. 41 (1813), S. 3-8.

[11] Eine Darstellung dieser Episode aus Goethes Sicht findet sich in WA I, 36: 8-9; Angaben zu den Separatdrucken bei Nickel [wie Anm. 22], S. 680-681.

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