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HiN XII, 23 (2011)
Von Humboldts Hand
From Humboldt's hand
De la mano de HumboldtÜber die Autoren
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Eberhard Knobloch, Ingo Schwarz
Die Feuer von Baku – ein wiederentdeckter Brief von Alexander von Humboldt
Während eines Forschungsaufenthaltes in St. Petersburg 2010 entdeckte Frau Dr. Elena Roussanova einen Brief von Alexander von Humboldt, der der Humboldt-Forschung bisher unbekannt geblieben war und damit auch nicht in die 2009 erschienenen Ausgabe der „Briefe aus Russland“[1] aufgenommen werden konnte. Diese Lücke wird hier geschlossen. Wir danken Frau Roussanova für den Hinweis auf dieses Schreiben. Der Brief kann durch einen Vermerk von fremder Hand auf die Zeit kurz vor dem 2./14.12.1829 datiert werden. Sein Empfänger war, wie aus dem Inhalt hervorgeht, der russische Physiker Heinrich Friedrich Emil Lenz[2]. Hier nun die Transkription der Handschrift, die wir mit freundlicher Genehmigung der Filiale St. Petersburg des Archivs der Russischen Akademie der Wissenschaften[3] wiedergeben. Dabei gilt unser besonderer Dank der Archivleiterin Frau Dr. I. V. Tunkina für ihre freundliche Unterstützung.
[Von fremder Hand:] Lu le 2 Décembre 1829.
Est-il bien prouvé que les feux de Bakou (le naphte) soienta enflammé[s] d’euxb mêmes ou n’y a t-on pas mis le feu, comme à Pietra Mala[4] près de Bologne? Le sol a-t-il une température élevée? Le Volcan boueux de Taman généralement sans feu, a de 40 à 40 ans aussi jetté des flammes. Les émanations de naphte à Bakou auroient-elles de tems en tems aussi offert des phénomènes d’inflammation spontanée?
Est-il vrai que l’îlot Pogorellaja Plita[5], opposé à la bouche du Koura, (3/4 de degré au sud de Bakou) s’élève progressivement au dessus de l’eau, qu’en 1817 il étoitc couvert d’eau et qu’ild est déjà à 3 sagènes[6] au dessus de niveau de la Mer Caspienne? Augmente-t-ile par des éjections ouf insensiblement par des forces élastiques qui agissent à de grandes profondeurs?
Est-il-vrai que l’Isle Swinoi[7] (Swinoi) a jetté des flammes, il y a quelques années? Y-a-t-il dans ces parages des volcans de boue, de petits tertres (cônes argilleux) qui ont une bouche et projettent des gas et des boues liquides? Ces gas sont-il[s] de l’hydrogène ou de l’azote?
Y-a-t-il près de Bakou des preuves d’une diminution du niveau des eaux ou la Mer paroît-elle gagner sur quelques points? Trouve-t-on | 2 | outre le[s] calcaire[s] coquilles de Bakou quelques roche[s] volcanique[s]? La Mer offre-t-elle des Fucus?
Mr de Humboldt seroit bien heureux d’avoir quelques lignes d’un si excellent observateur que celui que l’Académie possède dans la personne de Monsieur Lenz!
a (1) sont (2) soient Humboldt.
b (1) de (2) d’eux Humboldt.
c il étoit erg. Humboldt.
d (1) elle (2) et qu’il Humboldt.
e (1) elle (2) il Humboldt.
f (1) avec (2) ou Humboldt.
Die Übersetzung des Briefes lautet wie folgt:
[Von fremder Hand:] Gelesen am 2. Dezember 1829.
Ist es gut bewiesen, dass die Feuer von Baku (das Naphta) von selbst entflammt sind oder hat man dort nicht das Feuer gelegt, wie in Pietra-Mala nahe Bologna? Hat der Boden eine erhöhte Temperatur? Der schlammige Vulkan von Taman, im Allgemeinen ohne Feuer, hat alle 40 Jahre auch Flammen gespien. Hätten die Ausflüsse von Naphta in Baku von Zeit zu Zeit auch Erscheinungen spontaner Entzündung geboten?
Ist es wahr, dass sich die kleine Insel Pogorelaja Plita, gegenüber der Mündung der Kura, (ein 3/4 Grad südlich von Baku) schrittweise über das Wasser erhebt, dass sie 1817 von Wasser bedeckt war und dass sie schon 3 Sažen’ über dem Niveau des Kaspischen Meeres ist? Nimmt sie durch Auswürfe oder unmerklich durch elastische Kräfte zu, die in großen Tiefen wirken?
Ist es wahr, dass die Insel Swinoi (Swinoi) vor einigen Jahren Flammen gespien hat? Gibt es in dieser Gegend Schlammvulkane, kleine Hügel (tonige Kegel), die eine Öffnung haben und Gase und flüssige Schlammmassen auswerfen? Sind diese Gase aus Wasserstoff oder Stickstoff?
Gibt es nahe Baku Beweise einer Verminderung des Niveaus der Gewässer oder scheint das Meer an einigen Punkten zu gewinnen? Findet man außer den kalkhaltigen Muscheln von Baku einiges vulkanisches Gestein? Bietet das Meer Algen?
Herr von Humboldt wäre sehr glücklich, einige Zeilen von einem so hervorragenden Beobachter zu haben, wie demjenigen, den die Akademie in der Person von Herrn Lenz besitzt!
Emil Lenz hat diesen Brief ausführlich beantwortet. Wie es Humboldts Gewohnheit war, machte er das empfangene Schreiben unverzüglich der Fachwelt bekannt. Wir finden den Text unter der Überschrift „Ueber die Salsen[8] und die Feuer von Baku (Aus einem Briefe des Hrn. Lenz in St. Petersburg an Hrn. Baron A. v. Humboldt.)“ in den Annalen der Physik und Chemie, hrsg. von Johann Christian Poggendorff (Bd. 23, 1831, S. 297-302)[9]. Zur ersten Frage erläutert Lenz:
Es ist gegenwärtig sehr schwer zu sagen, ob diese Feuer sich von selbst entzündet haben. Die Landeseinwohner und die feueranbetenden Hindus, etwa zwanzig an der Zahl, welche sich hier niedergelassen haben, behaupten, die Feuer brennen seit Anfang der Welt; allein, man weiss, dass dieses Volk geneigt ist, Alles, was seit mehreren Menschenaltern besteht, als da seyend von aller Ewigkeit her zu betrachten. Der Ausbruch indess, welcher sich am 27. Nov. 1827 nahe beim Dorfe Jokmali, 14 Werst westlich von Baku, ereignete, gab sich zuerst durch eine Feuersäule kund, an einem Orte, wo man vorher keine Flamme sah. Diese Feuersäule behielt drei Stunden lang eine ungewöhnliche Höhe, dann sank sie bis auf drei Fuss herab, und brannte so 24 Stunden hindurch.
Diese Erscheinung könnte zu dem Glauben verleiten, die grossen Feuer bei Baku hätten einen ähnlichen Ursprung; allein man muss erwägen, dass das Erscheinen jener Feuersäule zu Jokmali begleitet war mit einem Ausbruch von thonigem Schlamm, der den Boden in einem Kreise von 200 bis 150 Toisen Durchmesser mit einer zwei bis drei Fuss dicken Lage bedeckte. [...] Dieser Boden ist unwiderleglich vulcanischen Ursprungs […]. (S. 297-298)Zur Beantwortung der Frage nach der erhöhten Bodentemperatur holt Lenz weiter aus:
Ausser den grossen Feuern giebt es auch kleine, westlich von Baku, beinah 5 Werste von der Salse bei Jokmali; allein diese werden in jedem Jahre durch Regen oder Schnee ausgelöscht, wenigstens haben wir sie im Monat März in diesem Zustand angetroffen. Das Gas tritt aus einigen trocknen Höhlungen des thonigen Bodens mit Geräusch hervor, oder auch, es entwickelt sich in Blasen aus dem Schneewasser, mit dem die tieferen Theile dieser Heerde angefüllt sind. Ehe ich das Gas anzündete, steckte ich in eine der grösseren trocknen Höhlungen ein Thermometer, ohne dass es die Wände berührte; es zeigte für die Temperatur des Gases 12° C. […] Ich halte diese Bestimmung der Temperatur des Gases für sehr sicher; denn wiewohl ich auch versuchte, die des Gases der grossen Feuer auszumitteln, so kann sie doch nicht genau seyn, weil die vielen Flammen nothwendig den Boden, und folglich auch das aus demselben hervorströmende Gas sehr erhitzen müssen. […] In der Nähe der grossen Feuer, etwa eine halbe Werst vom Hauptheerde, fand ich zwei andere Gasquellen, beide sehr schwach; die Temperatur der einen war 12°, die der anderen 13°,1 C. Der fast gänzliche Mangel an Quellen in dem Gebiete von Baku legt der Bestimmung der Bodentemperatur dieser Gegend ein mächtiges Hinderniss in den Weg. (S. 298-299)
Über die Insel Pogorelaja Plita gibt Lenz diese Auskunft:
Ein Ausbruch gleicher Art mit dem von Jokmali findet sich auf der Insel Pogorelaïa Plita (dem gebrannten Fels) an der Mündung des Kur. Mehrere Personen, die beide gesehen, haben mir ihre völlige Einerleiheit versichtert.
Ein alter persischer Matrose erzählte mir Folgendes: ‚Vor sechszehn Jahren brach auf dieser Insel eine Flamme hervor, deren Hitze man schon in einer Entfernung von sechs Wersten fühlte (?); gegenwärtig ist aber dieses Feuer erlöscht. Die Insel ist mit flüssigem grauen Schlamm bedeckt, und aus diesem steigt ein Dampf empor, der ganz wie das Feuer von Baku riecht, und, wenn man ihn einathmet, Kopfweh verursacht. Dieser Schlamm enthält eine grosse Menge von Steinen, die den Glanz des Goldes besitzen. Man findet auch Salz auf dem Boden, aber er schmeckt bitter.’
Dieselben goldfarbenen Steine habe ich zu Jokmali gefunden; sie bestehen aus Thonschiefer, mit einer schwachen Farbe von Marcasit. Bei Jokmali ist der thonige Boden gleichfalls an vielen Orten mit Natron bekleidet. Zwei Ursachen haben zur Hebung der Insel Pogorelaïa Plita über den Spiegel des Kaspischen Meeres beitragen können… Die eine ist die unzweifelhafte Senkung dieses Meeresspiegels, die von 1805 bis 1830 zehn Fuss betragen hat[10]; die andere aber die Eruption der Salse daselbst. Ich habe nicht mit Gewissheit erfahren können, ob die Insel vor diesem Ereigniss da war. Die Nachrichten, welche ich hierüber einzog, sind widersprechend. (S. 301-302)Humboldt hat den Brief von Lenz unter dem Titel „Sur les salses et les feux de Bakou“ in seine «Fragmens de géologie et de climatologie asiatiques» (Paris 1831) aufgenommen (Bd. 1, S. 172-183). Das Schreiben findet sich dann auch – mit der Datierung Mai 1831 – in dem umfangreichen Werk über Humboldts russische Reise «Asie centrale. Recherches sur les chaînes de Montagnes et la climatologie comparée» (3 Bde., Paris 1843, Bd. 2, S. 504-515). In einer neuen deutschen Ausgabe von „Zentral-Asien“ [11] ist das Schreiben ebenfalls abgedruckt[12].
Mit der Senkung des Spiegels des Kaspischen Meeres und der Lenz’schen Beteiligung an der Erforschung dieses Phänomens hat sich Humboldt immer wieder befasst, wie eine Notiz belegt, die er 1836 in „Poggendorffs Annalen“ einrücken ließ:
Manche Erscheinungen im Becken des Caspischen Meeres scheinen allerdings ebenfalls auf theilweise Senkung des Bodens hinzudeuten, während an anderen Punkten, z.B. durch Aufsteigen der Insel Pogorelaja Plita Hebung mittelst vulcanischer Kräfte, wie tief im Innern der Abscherontischen Halbinsel erweislich ist. Südlich von Baku liegen die Trümmer von Thürmen und einer Karavanserei tief unter dem Wasser. Das Volk nennt es die versunkene Stadt, Schahbach. Was aber periodischen Anschwellungen und Wasserverminderungen in Gruppen nasser und trockner Jahre, was durch Verschwinden der Zuflüsse an der östlichen Küste, der allgemeinen Abnahme des verdampfenden Meeresspiegels zuzuschreiben ist, lässt sich jetzt nicht entscheiden. Neue Beobachtungen an den Ausflüssen des Terek und Kur, besonders aber die Merkzeichen der Höhe des Wasserstandes, welche die Kaiserliche Academie der Wissenschaften auf meine Bitte durch Hrn. Lenz seit 1830 hat setzen lassen, werden die Verhältnisse des Bodens zum Wasserspiegel erst aufklären.[13]
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[1] Alexander von Humboldt. Briefe aus Russland 1829. Hrsg. von Eberhard Knobloch, Ingo Schwarz und Christian Suckow. Berlin 2009 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 30).
[2] Russische Schreibweise Эмилий Христианович Ленц (1804-1865).
[3] Signatur f. 2, op. 1-1829, Nr. 4, l. 100r-100v.
[4] Vgl. dazu: Ueber das brennende Gas bei Pietra-Mala in den Appeninen (Ein Schreiben von einem Herrn Granville an den Dr. Thomson). In: Annalen der Physik 52 (1816), NF 22, S. 345-348.
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15061k/f345.langEN
[5] Russisch: Погорелая Плита (gebrannte Tafel).
[6] 1 Sažen’ = 2,13 m.
[7] Russisch: Остров Свиной (Schweineinsel).
[8] Schlammvulkane.
[10] Vgl. dazu E. Lenz: Ueber die Veränderung der Höhe, welche die Oberfläche des Kaspischen Meeres bis zum April des Jahres 1830 erlitten hat. In: Annalen der Physik und Chemie, hrsg. von Johann Christian Poggendorff, Bd. 26, 1832, S. 353-394.
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k151119/f361.langEN
[11] Alexander von Humboldt: Zentral-Asien. Untersuchungen zu den Gebirgsketten und zur vergleichenden Klimatologie. Nach der Übersetzung Wilhelm Mahlmanns aus dem Jahre 1844. Neu bearbeitet und hrsg. von Oliver Lubrich. Mit einer Auswahl aus Alexander von Humboldts Reisebriefen und Gustav Roses Reisebericht. Frankfurt am Main 2009, S. 457-461.
[12] Der Text aus „Poggendorffs Annalen“ und der Abdruck in „Zentral-Asien“ sind nicht identisch.
[13] Annalen der Physik und Chemie, hrsg. von Johann Christian Poggendorff, Bd. 37, 1836, S. 462-463
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15122z/f476.langEN
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Letzte Aktualisierung: 25 Oktober 2012 | Kraft
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