Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 18. August 2009 |
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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ
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II,
2 (2001)
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Margot Faak Alexander von Humboldt. Reise durch Venezuela (1)
(Vortrag, gehalten im Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz, Oktober 2000.)
Abstracts
La primera piedra para la edición de los diarios americanos de Humboldt se puso desde 1958 por la transcripción de los 9 tomos de diarios. La edición seleccionada de estos comenció 1982 con la publicación de las manifestaciones socio-críticas por el sistema colonial de España, dos otros tomos (textos y comentarios) debían completar el torso de la "Relación histórica" impresa de Humboldt, que se limitó a Venezuela. En el tomo aquí presentado son publicados aquellos textos que corresponden a la "Relación histórica". La comparación entre los diarios y la "Relación" muestra una identidad estructural. La descripción de los acontecimientos incluye los trabajos científicos y los pone no raramente en el centro. Que se refiere al contenido, hay una diversidad sustancial. Sucesos personales, el juício político y tratados científicas no son siempre idénticos. El texto del tomo referido se dividó en 12 capítulos. Los términos locales son la partida de Paris 1798 y la llegada en Cuba 1800. Los apuntes sirven al conocimiento de la geografía del país, en lo cual el momento etnológico toca un papel grande. Los comentarios añadidos al fin quieren apoyar el entendimiento de los textos, cuatro índices facilítan su penetración.
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Der Grundstein für die Edition der Tagebücher Humboldts wurde ab 1958 durch die Transkription aller 9 Tagebuchbände gelegt. Die Auswahlausgabe der amerikanischen Reisetagebücher Humboldts begann 1982 mit der Publikation der gesellschaftskritischen Äußerungen zum spanischen Kolonialsystem, zwei weitere Bände (Texte und Kommentar) sollten den unvollständig gebliebenen, auf Venezuela beschränkten gedruckten Reisebericht, "Relation historique", ergänzen. In dem hier vorgestellten Band sind die Texte publiziert, die dem gedruckten Reisebericht entsprechen. Der Vergleich zwischen Tagebüchern und Druck zeigt eine strukturelle Identität. Die Ereignisschilderung bezieht die wissenschaftlichen Arbeiten mit ein und stellt sie nicht selten in den Mittelpunkt. Inhaltlich ergibt sich ein Unterschied in der Substanz. Persönliche Erlebnisse, politisches Urteil und wissenschaftliche Ausführungen sind nicht immer identisch. Der Text des Bandes wurde in 12 Kapitel unterteilt. Den lokalen Rahmen bilden die Abreise aus Paris 1798 und die Ankunft auf Kuba 1800. Die Ausführungen dienen der geographischen Erschließung des Landes, wobei das ethnologische Moment eine große Rolle spielt. Die angehängten Kommentare unterstützen das Verständnis der Texte, vier Register dienen ihrer leichteren Erschließung.
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Über die Autorin
Studium der Germanistik und Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin; von 1951 bis 1969 Mitherausgeberin der Schriften und Briefe von G. W. Leibniz; 1965 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit über "Leibniz als Reichshofrat". Von 1969 bis 1986 in der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berliner Akademie der Wissenschaften; Editionen der amerikanischen Reisetagebücher Alexander von Humboldts (insgesamt 4 Bde. erschienen zwischen 1982 und 2000); Einzelpublikationen über G. W. Leibniz und A. v. Humboldt.
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Es ist mir eine besondere Freude, nach so vielen Arbeitsjahren an diesem Ort das Erscheinen eines neuen und damit des letzten Bandes der Reiseerzählung aus den amerikanischen Tagebüchern Alexander von Humboldts vorstellen zu dürfen. Da ich vor einem Kreis von Experten spreche, kann ich darauf verzichten, Ihnen Humboldts Biographie und seine fünfjährige Südamerikareise von 1799 1804 durch die spanischen Kolonien, die heutigen Länder Venezuela, Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und in die Vereinigten Staaten von Amerika und seine dort geschriebenen Reisetagebücher einleitend vorzustellen. In den vergangenen Jahren ist anlässlich des 200. Jahrestages dieser Reise in Deutschland, Spanien und Lateinamerika sehr oft die Rede davon gewesen, namentlich durch die von Frank Holl aus München veranstalteten Ausstellungen in Kuba 1997, in Mexiko 1998, in Deutschland in Berlin und Bonn 1999 unter dem Titel "Alexander von Humboldt Netzwerke des Wissens". Alle diese Ausstellungen waren von wissenschaftlichen Symposien begleitet, auf denen die Humboldt-Forscher vieler Länder Gelegenheit hatten, ihre neuesten Forschungsergebnisse über Leben und Werk eines der in Lateinamerika wie in Deutschland berühmtesten deutschen Wissenschaftler vor einem internationalen Publikum auszubreiten. Die Veranstaltung in Berlin fand im Juni 1999 im Haus der Kulturen der Welt statt. Hier zumal hatten auch die Berliner, die sonst keinen Anlass haben, sich intensiv mit Alexander von Humboldts Werk zu beschäftigen, in der Ausstellung eine bequeme Gelegenheit, sich mit seiner Biographie und dem Forschungsstand der Naturwissenschaften seiner Zeit vertraut zu machen. Außer der Amerika-Reise fanden auch Kindheit und Jugend und die 30 Jahre später von dem 60jährigen Humboldt unternommene Russland-Reise ihre Würdigung. Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang auch die Gedenkfeier, die am 5. Juni 1999, dem 200. Jahrestag der Abreise Humboldts aus La Coruña, vor Ort in La Coruña selbst stattfand, veranstaltet vom "Consello da Cultura Galega", das internationale Symposion "Humboldt en América" in Santiago de Chile im September 1999 sowie das Meeting der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle im Oktober 1999 mit dem Thema "Goethe und Humboldt". Daneben entstand eine zahlreiche Reiseliteratur, Monographien und Zeitschriftenartikel beschäftigten sich sowohl in Deutschland wie in den von Humboldt bereisten lateinamerikanischen Ländern mit der Bedeutung, die Humboldts Wirken heute noch hat. Ich erinnere hier nur stellvertretend an den schön und eindrucksvoll bebilderten Band von Prof. Otto Krätz,(2) der das Schwergewicht auf den von Wissenschaft und Technik zu Humboldts Zeit und unter seiner Mitwirkung erreichten Fortschritt legt. Es wird Aufgabe der Humboldt-Forschung der nächsten Jahre sein, die internationale Literatur zu dem 200. Jahrestag der Reise bibliographisch zusammenzufassen.
Um nicht, wie die Spanier sagen, Apfelsinen nach Valencia zu tragen, erlaube ich mir daher, sofort in medias res, das heißt zur Geschichte der Edition der Tagebücher überzugehen. Wenn ich den neu erschienenen Band den letzten der Tagebuchpublikationen nannte, so bedeutet das nicht, dass nun alle neun originalen Tagebuchbände vollständig ediert wären. Nach unseren Berechnungen und Schätzungen umfassen unsere Editionen ein knappes Drittel des vorhandenen Materials. Wie vielen bekannt ist, sind die Tagebücher nicht als Ephemeriden geschrieben, sondern enthalten das gesamte Forschungsmaterial, das Humboldt während der Reise zusammengetragen hatte. Sie sind die Grundlage für sein amerikanisches Reisewerk gewesen. Sie enthalten Messtabellen aller Art, besonders zu astronomisch-geographischen Ortsbestimmungen und trigonometrischen Höhenmessungen, die den großen Atlanten dienten, welche Humboldt später herausgegeben hat, mineralogische, botanische und zoologische Studien und Abhandlungen, Aufzeichnungen über die Zusammensetzung der Bevölkerung, Weiße, Schwarze und Indios, ihre Geschichte, die Humboldt aus Büchern, aus mündlichen Mitteilungen und aus Archiven erfuhr, schließlich gelegentlich eingelegte Notizen von eigener und Arbeiten von fremder Hand, thematisch einschlägige Briefe an Humboldt, teilweise während, meistens aber nach der Reise geschriebene, sogar einzelne zeitgenössische Drucke. Dies alles muss man sich in enger Verflechtung mit den persönlichen Reiseberichten vorstellen. Die eine Art der Aufzeichnungen ist ohne die andere nicht denkbar. Humboldts Alltag in Südamerika bestand aus wissenschaftlicher Arbeit. Alle seine als Reiseerzählung zu kennzeichnenden Aufzeichnungen schildern nicht nur die Mühen der Reise, die Begegnung mit Menschen, die Schönheit oder Wildheit der Landschaft, sondern behandeln auch ständig deren wissenschaftlichen Aspekt. Die Aufgabe bestand darin, alle Teile, die mehr oder weniger den Charakter einer Reiseerzählung tragen, herauszulösen. Unverständlich wird für den Beobachter nur sein, dass die Reihe unserer Publikationen nicht dem chronologischen Reiseverlauf folgt, sondern dass dieser letzte Band die Aufzeichnungen des Anfangs der Reise enthält.
Der Erklärung dieses Umstands muss ein Blick auf die Geschichte der Tagebücher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorausgehen. Nachdem sie 1958 von der Sowjetunion an die Deutsche Staatsbibliothek der DDR in sehr gutem Erhaltungszustand und nach Vornahme einer Foliierung, die sie zitierfähig macht, zurückgegeben worden waren, hat die Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften ihre vollständige Transkription veranlasst, da sie anders kaum zu nutzen gewesen wären. Bei der Unleserlichkeit der Handschrift und der Unübersichtlichkeit der Aufzeichnungen wäre es niemand möglich gewesen, sie in ihrem Urzustand systematisch auf ein bestimmtes Thema hin abzufragen. Unser großer Dank gilt der Transkriptorin fast des gesamten Textes, Gisela Lülfing. Ihre Tätigkeit war ein Glücksfall für die Forschung. Sie hat nicht nur die große Masse der Aufzeichnungen bewältigt, sondern hatte zudem die Gabe, den Sinn auch der unleserlichsten Worte zu erfassen, sowohl in den deutschen wie französischen Texten. Ihre Arbeit zog sich fast über ein Jahrzehnt hin, was bei der Anzahl von ca. 3600 Seiten nur zu verständlich ist.
Lange vor Beendigung ihrer Arbeit dachte man in der Akademie über eine Edition der Tagebücher nach. Zur Erschließung des Inhalts lag in der DDR der Gedanke nahe, Humboldts Gesellschaftskritik am spanischen Kolonialsystem auszusondern und zu publizieren, die aus Rücksicht auf die spanische Regierung in seinen privaten Aufzeichnungen schärfer ausfiel als in seinen Veröffentlichungen. Es entstand unter der Leitung von Prof. Biermann der Band 5 der Schriftenreihe "Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung" mit dem Titel: Alexander von Humboldt. Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeitsrevolution. Eine Anthologie von Impressionen und Urteilen", der 1982 im Akademie-Verlag erschien. Indessen hatten Prof. Biermann und Vizepräsident Werner Hartke die Idee, aus den Tagebüchern eine Ergänzung der Reiseerzählung Humboldts zu gewinnen, die er selbst nach der Reise nur unvollständig veröffentlicht hatte. Nachdem er von seiner 5jährigen Amerikareise zurückgekehrt war, publizierte er nicht nur ein umfangreiches wissenschaftliches Reisewerk unter dem Gesamttitel "Voyage de Humboldt et Bonpland", sondern auch einen Reisebericht in französischer Sprache, "Relation historique"(3) genannt. Für diesen hatte er vier Bände vorgesehen, doch die Ausarbeitung des sechsteiligen wissenschaftlichen Reisewerks, der Gedanke an eine weitere Reise nach Indien oder Russland und Schwierigkeiten mit den Verlagen waren Hinderungsgründe für die vollständige Durchführung des Plans. Es erschienen nur drei stattliche Quartbände. Der vierte Band fehlt. Ausschlaggebend dafür war nicht zuletzt auch der Umfang des Stoffes. Humboldt hatte den Anfang seiner Reise durch Venezuela geschildert einschließlich der Überfahrt nach Kuba und der Abreise von Kuba nach Kolumbien. Nach der Ankunft auf kolumbianischem Boden bricht Humboldts "Relation historique" ab. Etwa ein Drittel der Reise war dargestellt. Wäre er in dieser Ausführlichkeit fortgefahren, so hätten aus dem vierten Band leicht einige weitere Bände werden können. Hier wollte nun die Humboldt-Forschungsstelle einen Ersatz für das Fehlende schaffen. Prof. Biermanns Gedanke war, die Reiseerzählung für die noch ausstehenden Länder Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexico und die Vereinigten Staaten aus den Tagebüchern zu ergänzen. Das ist in den beiden Bänden 8 und 9 der "Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung" geschehen, die 1986 und 1990 als Band 8 und 9 (Textband und Kommentarband) im Akademie-Verlag erschienen.
Sprachlich ergibt sich im Vergleich mit der "Relation historique" folgendes Bild: Diese ist in französischer Sprache geschrieben. Die deutschen Übersetzungen der "Relation" von Paulus Usteri, Hermann Hauff und Hanno Beck sind separat und später erschienen. Die amerikanischen Tagebücher der nicht Venezuela betreffenden Länder sind teilweise in deutscher, teilweise in französischer Sprache geschrieben. Gegenüber der französischsprachigen "Relation" hat die Tagebuchpublikation den Vorteil, eine deutsche Übersetzung der französischsprachigen Teile gleich mitzuliefern. Der neue Band der Venezuela-Tagebücher hat den Vorzug, dass er nicht übersetzt zu werden braucht. Die Venezuela betreffenden Teile sind in deutscher Sprache geschrieben. Sie sind daher nicht nur zugänglicher für das deutsche Lesepublikum, sondern auch ein literarisches Dokument aus der Zeit der deutschen Klassik, dass den Werken Goethes und Schillers an die Seite gestellt werden kann.
Das Gesagte sollte verdeutlichen, weshalb die Tagebücher der späteren Reisen von uns zuerst publiziert worden sind. Ausgehend von dem Gedanken, der der bisherigen Publikation zugrunde lag, bestand eigentlich kein Bedarf, auch die Venezuela betreffenden Reisetagebücher bekannt zu machen. Sie waren das Arbeitsmaterial für Humboldts gedruckte "Relation". Wenn wir die Veröffentlichung dann doch in Angriff genommen haben, so gab es dafür drei Gründe. Sie sollte die Beantwortung von drei Fragen erlauben: nach der Form, dem Umfang des Stoffes und den stilistischen Merkmalen einerseits der Tagebücher und andererseits der "Relation". Mit anderen Worten: es sollte ein Vergleich möglich werden zwischen dem, was Humboldt unter dem frischen, unmittelbaren Eindruck aufgezeichnet hatte und der späteren, erst 1814 beginnenden und 1834 endenden Publikation. Die Antwort auf diese Fragen zu geben, bemüht sich die Einleitung zu unserem Buch. Darüber hinaus erlauben die nun veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen aber auch jedem Leser, selbst Vergleiche anzustellen. Kurz zusammengefasst lässt sich darüber folgendes sagen: Sowohl die Tagebücher wie die "Relation historique" sind keine reine Biographie. Sie sind mit den wissenschaftlichen Arbeiten Humboldts eng verknüpft. Diese sind der Inhalt der Reise und finden im Rahmen der Erzählung der persönlichen Erlebnisse ihren Niederschlag. Für die Ausarbeitung seiner handschriftlichen Notizen benötigte Humboldt 20 Jahre. Er hatte in Europa durch die Zusammenarbeit mit den Pariser Gelehrten und Lektüre die Möglichkeit, seine Arbeit dem aktuellen Forschungsstand anzupassen und versuchte, alle Neuerscheinungen mit heran zu ziehen, was die Arbeit sicherlich sehr in die Länge gezogen hat. Er benutzte für die Publikation nicht mehr vollständig die in den Tagebuchaufzeichnungen herangezogene Literatur. In den Tagebüchern geschilderte persönliche Erlebnisse findet man in der "Relation historique" wieder, dann jedoch immer mit mehr Abstand geschrieben. Das Urteil über die bereisten Länder, seine Kenntnisse haben sich naturgemäß im Verlauf der Reise immer weiter vertieft. Erstaunlich ist die Tatsache, dass Reiseerlebnisse in den Tagebüchern auch völlig fehlen können und nur in der "Relation historique" erscheinen. Es ist die Frage, ob es als Vorlage dafür Aufzeichnungen gab, die verloren gegangen sind, worauf manchmal Fragmente hindeuten, wie im Fall der Kanarischen Inseln. Für die Vermutung, dass Humboldt sich auf sein unerschöpfliches Gedächtnis verließ, spricht die Äußerung, die wir als Motto vor die Tagebuchanthologie gesetzt haben: "Bei der ungeheuren Mannichfaltigkeit von Gegenständen ist es schwer, alles aufzuzeichnen. Man eilt mit allen einzelnen factis, Messungen, Naturbeschreibungen und alles allgemeinere und grade deshalb interessantere über Menschenbildung, Kultur des geselligen Lebens bleibt zurück. Man glaubt, dass dies dem Gedächtniß weniger entgeht, will mehr Materialien sammeln ... und so bleibt gerade das Beste aus dem Manuskript weg." Diese Betrachtungen führen zu einer Überschau über das Gesamtwerk Humboldts, dessen Fülle von einem einzelnen kaum zu erfassen ist. Man kann nur der Formulierung des kubanischen Redners Jesús Díaz zustimmen, die er während der Ausstellungseröffnung "Netzwerke des Wissens" in Berlin gebrauchte. Er nannte die "Relation historique" eine Enzyklopädie für Lateinamerika.(4)
Ich will nach dieser Einführung nun versuchen, einen kurzen Überblick über den Inhalt des neuen Bandes zu geben möglichst unter Berücksichtigung nicht allgemein bekannter Fakten. Wegen der Übersichtlichkeit empfahl sich eine annähernd chronologische Unterteilung in zwölf Kapitel. Kapitel 1 beginnt mit einem Paukenschlag. Wir erfahren zunächst etwas über Kontakte Humboldts mit der französischen Regierung und mit Gelehrten des Jardin des plantes und des Institut de France in Paris sowie dem gescheiterten Plan der Teilnahme an der Weltreise Baudins. Humboldt änderte daraufhin seine Reisepläne. Er ist mit der diligence von Paris nach Marseille gereist. Die Fahrt in der Postkutsche ist mit so viel Ironie und Witz beschrieben, wie sie in dieser Gedrängtheit wohl einzigartig in seinem Opus sind. Von Marseille aus wollte er einen Übergang nach Afrika finden, um sich dem Gremium der Gelehrten in Ägypten anzuschließen.. Diese Hoffnung schlug fehl trotz verschiedener Möglichkeiten, ein Schiff zur Überfahrt zu chartern. Die Wartezeit vertrieben sich Humboldt und sein Reisebegleiter Bonpland mit Herbarisieren, mineralogischen Studien in der Umgebung der Stadt und einem Besuch in der Hafenstadt Toulon, wo Humboldt die berühmte Werft in Augenschein nahm und den Auswüchsen des Terrorismus während der Französischen Revolution begegnete. Wegen der Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Algier begaben sich Humboldt und Bonpland nach Spanien. Unvermutet wandte sich Humboldt von der südlichen Route ab nach Nordwesten und suchte die Hauptstadt Madrid auf, wo er von Karl IV. am 15. März 1799 einen Pass erhielt, der ihm freien Zugang zu allen spanischen Kolonien verschaffte. Über Spanien sagt Humboldt nichts in den Tagebüchern. Erst beim Ablegen der Fregatte "Pizarro" in La Coruña in Nordwestspanien wird der Faden der Erzählung wieder aufgenommen. Humboldt ist überwältigt von dem Glück, endlich die so lange ersehnte und so lange vorbereitete Forschungsreise in überseeische Länder antreten zu können und schreibt noch 42 Briefe an seine europäischen Freunde.
Mit der Seereise von La Coruña nach Kuba beginnt unser Kapitel 2. Sie verläuft hinsichtlich des Wetters verhältnismäßig ruhig. Humboldt treibt meteorologische und ozeanologische Studien und macht auch wieder bissige oder liebenswürdige Bemerkungen über Passagiere und Mannschaft. Seine nautische Ausrüstung gab ihm auf fast allen Seereisen einen Vorsprung vor den Schiffspiloten, die noch nicht über eine Längenuhr verfügten. Eine Unterbrechung erfährt die Reise auf den Kanarischen Inseln, wo der spanische Kapitän Auskünfte über englische Kriegsschiffe einziehen soll, die während des Krieges mit Spanien den spanischen Seeleuten das Leben schwer machten. Bei einer ersten Landung auf der Insel La Graciosa nicht auf Lanzarote, wie oft behauptet worden ist - ergreift Humboldt die Gelegenheit zu ersten Bodenuntersuchungen, nimmt auf der Weiterreise vom Schiff aus Reliefs der einzelnen Inseln auf und besteigt nach der Landung in Teneriffa den Vulkan Pico de Teide, den ersten von insgesamt sechs, die er auf der Reise besteigen sollte. Hier gerät der Editor zum zweiten Mal in Verlegenheit. Der Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln ist ebenfalls nicht geschildert. Aber es gibt zwei Fragmente, die zeigen, dass etwas mehr an Text vorgelegen haben muss. Um dennoch so viel wie möglich von den schon in Südamerika geleisteten Vorarbeiten für den Druck zu vermitteln, habe ich die in französischer Sprache gemachten Auszüge eingeschaltet, die sich Humboldt später in Mexico aus der Geschichte der Kanarischen Inseln des Abate Viera y Clavijo machte. Man sieht, dass ihn Natur und Gesellschaft jeder einzelnen Insel interessierte, er machte Auszüge zu Bevölkerungsumfang und Wirtschaft. Auch die Höhe des von ihm bestiegenen und vermessenen Pico de Teide kommt relativ ausführlich zur Sprache. Dies steht aber in keinem Vergleich zu den fast 20 Seiten umfassenden Erörterungen dieser Höhenmessung in der "Relation". Aus einer kritischen Ausgabe des Werkes von Viera im Jahre 1952 sieht man andererseits, dass sich der Abate, der während Humboldts Aufenthalt noch auf Gran Canaria lebte, auch für Humboldts schnell bekannt werdende Höhenmessung des Piks interessierte und sie am Rande seines Privatexemplars notiert hat. Leider war Humboldts Messergebnis in der Literatur falsch wiedergegeben worden, wie Humboldt ärgerlich in der "Relation" vermerkt.(5) Unter den Auszügen teilt Humboldt hier und da auch eigene Beobachtungen mit, so dass auch dies ein zureichender Grund war, sie in die Reiseschilderung aufzunehmen.
Kapitel 3 umfasst die Fortsetzung der Seereise von den Kanarischen Inseln bis zur Zwischenlandung in Cumaná. Humboldt setzt seine begonnenen Arbeiten zur See fort und vergleicht seine Positionsbestimmungen des Schiffes mit den mitgebrachten Seekarten, auf denen sich viele Korrekturen ergeben. Endlich läuft man zwischen der Insel Coche und dem Festland in die Reede von Cumaná ein. Eine auf dem Schiff ausgebrochene Fieberseuche bedingt die Unterbrechung der Seereise. Humboldt wusste damals nicht, dass er erst im November des folgenden Jahres, also nach einem Jahr und vier Monaten, Venezuela wieder verlassen würde. Alle, die eine Humboldt-Biographie oder die "Relation historique" gelesen haben, kennen Humboldts Aufenthalt in Venezuela, seine Exkursion von Cumaná auf die vorgelagerte Halbinsel Araya zur Besichtigung der Salinen (in unserem Band Kapitel 4), seine Exkursion in das Kloster von Caripe, um die Höhle der Nachtvögel Guácharos zu besuchen, die durch ihn dann weltbekannt wurde (Kapitel 5), und seine Orinoco-Reise. Beim Aufenthalt in Cumaná zeigt sich nun auch Humboldts Arbeitsweise. Nur bei Seereisen hatte er Muße, tägliche Aufzeichnungen zu machen. Auf dem Lande verfuhr er anders. Wenn er ein bestimmtes Ziel erreicht hatte und einen Aufenthalt von längerer Dauer beabsichtigte, so begann neben seiner Tätigkeit als Naturwissenschaftler seine Arbeit am Reisebericht. Jetzt schilderte er die zurückgelegte Wegstrecke, wobei die geleisteten Forschungsarbeiten einen breiten Raum einnahmen. Zweifellos benutzte er dazu datierte Reisenotizen, die er nach der Auswertung vernichtete. Zwei solcher Notizzettel, die für diese Hypothese sprechen, habe ich in den Kollektaneenkästen des Humboldt-Nachlasses in der SBPK(6) gefunden. Daher rührt es sicher, dass seine Reiseerzählung Tagesdaten enthält, sowohl in den Tagebüchern wie in der "Relation historique". Tagesdaten sind außerdem enthalten in Messtabellen für Meteorologie, Sternbeobachtungen, Höhenmessungen u.a. Tägliche Tagebucheintragungen für einen Ort, an dem er sich längere Zeit aufhielt, gibt es jedoch nicht. So können wir auch für Cumaná keine Reiseschilderung bieten. Ebenso wie in der "Relation historique" muss man hier auf die naturwissenschaftlichen Aufzeichnungen aller Art zugreifen, die vorliegen und die deutlich zeigen, womit sich Humboldt in der fraglichen Zeit beschäftigt hat. Nur sind sie im Tagebuch noch nicht, wie in der "Relation historique", zu einem Gesamtbild komponiert. Gelegentlich ließ sich auch ein kurzes Memoire in französischer Sprache einschalten. Daneben stehen seine Studien in den Archiven, die ihm dank des Passes Karls IV. von Vizekönigen, Generalkapitänen und Gobernadores bereitwillig geöffnet wurden. In den Archiven las und kopierte er Bevölkerungsstatistiken und Wirtschafts- und Handelsberichte, um später mit diesem Material die Geographie der bereisten Länder darzustellen. Die Exkursion nach Caripe in die Guácharo-Höhle ist eine geschlossene kleine Erzählung für sich, eine Perle des Bandes. Die Schilderung des Weges, der waldigen Berge und Schluchten, der Flüsse und Bäche, der Dörfer und einsamen Conucos, auch ihrer landwirtschaftlichen Aspekte, ist so schön, dass man sich wünscht, dabei gewesen zu sein. Die Beschreibung der Guácharo-Höhle ist im Gegensatz zu der der "Relation historique" recht kurz.
An dieses fünfte Kapitel schließt sich die Überfahrt von Cumaná nach Caracas an, von wo aus Humboldt dann in das Landesinnere aufbrechen wollte, um seine Orinoco-Fahrt anzutreten (Kapitel 6). Dem Humboldt-Kenner brauche ich nicht zu sagen, dass das Ziel dieser Reise war, die Verbindung der beiden Flussnetze des Orinoco und des Amazonas durch eine Gabelteilung des Orinoco zu bestätigen, zu untersuchen und nach ihren Ursachen zu forschen. Der Orinoco schickt einen Teil seines Wassers bei Esmeralda als Río Casiquiare in den Río Negro. Bekanntlich ist der Río Negro ein Nebenfluss des Amazonas. Diese Verbindung von zwei großen Flussnetzen über die Wasserscheide hinweg war schon früher von Missionaren entdeckt, aber immer wieder von europäischen Gelehrten in Zweifel gezogen worden. Humboldts wissenschaftliche und persönliche Leistung auf dieser beschwerlichen Reise, auf der die Reisenden fast immer von Moskitos gequält wurden, ist nicht nur von seinen Zeitgenossen bewundert worden, sondern Humboldts Vermutung des Verlaufs der Wasserscheide, also einer Bodenerhöhung im Orinoco selbst als Ursache für die Gabelteilung ist 1958 von dem Biologen Volkmar Vareschi aus Caracas bestätigt und um die Erkenntnis der Düsenwirkung einer Flussenge des Orinoco ergänzt worden.(7) Die genaue kartographische Aufnahme des Orinoco, soweit Humboldt ihn befuhr, war ein weiteres bedeutendes Ergebnis der Reise. Um an den Anfang der Reise zurückzukehren: Fast wäre Humboldts Wunsch, an den Orinoco zu gelangen, durch finanzielle Schwierigkeiten vereitelt worden. Man wollte in Venezuela keine Wechsel auf Kuba annehmen. Der Gobernador Emparan half Humboldt ganz unkonventionell aus eigenen Mitteln und lehnte die Ausstellung eines Schuldscheins beleidigt ab. Am 18. November schifften Humboldt und Bonpland sich nach Caracas ein. Die übrige Reisegesellschaft reicher Hacendados, die in ihre Heimat zurückkehrten, wurde jedoch seekrank und zog von Cap Codera an den Landweg nach Caracas vor, so dass Humboldt, der mit dem Boot weiterfuhr, vier Tage früher dort eintraf. Eine Aufenthaltsschilderung gibt es für Caracas, wo sich Humboldt über 6 Wochen aufhielt, so wenig wie für Cumaná. Aber wir erfahren aus einzelnen Aufzeichnungen (Kapitel 7) viel über Bevölkerung, Wirtschaft und Handel, über den Verteidigungszustand der Stadt, über die korrupte Justiz. Eine spannende Schilderung des Aufstiegs auf die Silla von Caracas, einen Gipfel der Küstenkordillere, lesen wir in der zweiten Hälfte dieses Kapitels. Er war vor Humboldt noch von niemand unternommen worden. Nicht so bekannt dürfte es sein, dass der berühmte venezolanische Staatsmann und Schriftsteller Andres Bello an dieser Besteigung als 18jähriger junger Mann teilgenommen hat. Humboldt nennt ihn nur Bellito, er war, wie mir die Historikerin Luisa de Castillo aus Caracas mitteilte, Mitschüler eines Neffen des Marqués de Ustáriz, mit dem auch Humboldt bekannt war. Die Darstellung entbehrt im übrigen nicht der Dramatik. Schon aus den Reaktionen der anderen Teilnehmer, deren Begeisterung mit steigender Höhe schwand, sieht man, dass der Weg nicht ungefährlich war. Noch schlimmer als beim Aufstieg erging es den Reisenden beim Abstieg. Der sonst verdienstvolle Kapuzinerpater Andújar hatte nach seiner Umkehr einige durchaus kontraproduktive Maßnahmen getroffen. Um Humboldts Gefühle beim täglichen Umgang mit der durchschnittlichen lateinamerikanischen Bevölkerung zu zeigen, möchte ich ihn hier einmal selbst sprechen lassen:
Fürchterliche Plagen des Amerikanischen Lebens, und welche dem Physiker [d.h. dem Naturwissenschaftler] seine schönsten Freuden rauben, sind 1) daß man [in] ihre[n] Wirtshäuser[n] ewig seiner Freiheit beraubt ist, 2) daß wenn der Naturalist in einem Dorfe ankommt, alle Krämer, Weiße und also vornehme Herren zusammenlaufen, um den Fremden zu instruiren, zu erzählen, daß Caimane einen Knaben x Tage im Munde tragen, daß man den Temblador [d.h. den elektrisch geladenen Zitteraal], Tabak im Munde, berühren kann. Stundenlang dauert das Fragespiel um Provinzial-Namen, conoce v[sted] una resina [d.h. Kennen sie ein Harz?] ... Die Geistlichen thun vornehmer, reden vom Padre Almeida, Feijoo, von dem, was los peripatéticos und los filósofos modernos sagen, denn sie glauben, daß ganz Europa einen physikal[ischen] Glauben hat, sie fragen über Seele der Thiere, ob man Insekten habe zu Blättern werden, aus einem Haar eine Schlange entspringen sehen ... ob es [r]ota recibido [d.h. ob die Rota, das Geistliche Gericht in Rom, schon zugegeben habe], daß die Erde um die Sonne laufe ... Und da der Wirth und seine Freunde dies Fragespiel betreiben, muß man immer freundlich anhören und antworten. Bleibt man zwei bis drei Tage, so fragt man, si hay buenas piedras, si v[d]. ha descubierto algo de bueno [d.h. ob man schöne Steine, ob man etwas Gutes gefunden habe], wozu das Pflanzentrocknen nütze, und sie begreifen nicht, daß man schlechterdings etwas wissen müsse, um sich erklären zu lassen qué tal el aire der Schwimmblase [d.h. wie die Luft in der Schwimmblase beschaffen sei] ...Wieviel Zeit und Humor geht dadurch verloren. Wie gequetscht legt man sich oft zu Bette. Wollte doch der Cap[itán] General in Caracas selbst, ich sollte ihm bei Tische sagen, was wir neues entdeckt hätten, seitdem wir in Amerika sind?
3) das ewige Vorspiegeln der Gefahren, die man überstehen wird, cuantos trabajos, cuanto sol [wie viel Arbeit, wie viel Hitze]. Von [einer] Reise bis [zum] Apure wird wie [von einer] Reise um die Welt gesprochen. Folge einer Menschenrace, die nie über 5 l[eguas] [spanische Meilen] reist. Wie entfernt [sind] diese von ihren Ahnherren, den Conquistadoren.(8)
Humboldts Aufbruch von Caracas in südwestlicher, später nordwestlicher Richtung, um das Küstengebiet kennen zu lernen, kann man als den Beginn der Orinoco-Reise ansehen (Kapitel 8). In Caracas werden ihm alle Türen geöffnet und wird ihm alle Unterstützung für seine Unternehmungen zuteil, er wird persönlich von den Regierungsbeamten und reichen Hacendados, den Del Toros, Tovars und Ustáriz, eingeladen, schließt Freundschaften, jedoch immer mit einer gewissen Reserve; denn der auf der Sklavenarbeit beruhende Reichtum ist wenig erfreulich. Er lernt aber auch in allen Gesellschaftsschichten Menschen kennen, die seine Gesinnung teilen und die ihm deshalb besonders lieb sind. Die reichen Haciendabesitzer laden ihn auf ihre Zucker-, Baumwoll- und Kaffeehaciendas im Küstengebiet und südlich davon ein. So hat er Gelegenheit, bis zur Laguna von Valencia zu reisen. Hier verleben Humboldt und Bonpland sieben glückliche Tage auf der Hacienda del Cura des Grafen Domingo Tovar. Gründlich untersucht Humboldt die ökologische und ökonomische Bedeutung des Sees, ist in Guacara zu Gast bei den Del Toros, in der Stadt Valencia bei Fernando Peñalver, dem Revolutionär und späteren Staatsmann. Auf einem Abstecher an die Meeresküste besucht er die heißen Quellen von Trincheras, ist in Puerto Cabello bei dem französischen Arzt G. Juliac zu Gast, der Erfolge bei der Bekämpfung des Gelbfiebers erzielt hat. Dann kehrt Humboldt nach Guacara zurück, um Abschied von den Del Toros zu nehmen.
Von Guacara aus reist er am 6. März 1800 nach Villa de Cura und Güige (Kapitel 9). Man ist am Rande der Llanos. Bis San Juan de los Morros kann Humboldt noch die geologische Struktur der hohen Landkette untersuchen, die der Küstenkette gegenüber liegt, dann beginnt sein Eintritt in die Llanos. Über den Aufenthalt in Calabozo, der Stadt mitten in den Llanos, wird nichts gesagt. Ein kurzes Fragment über die Weiterreise von Calabozo nach San Fernando de Apure bildet den Abschluß.
In San Fernando de Apure angekommen (Kapitel 10), befasst sich Humboldt zuerst mit der Geschichte der Entdeckung des Apure und seiner Schiffbarkeit. Hier und nicht erst im Orinoco, begann auch seine Flussfahrt, weil ihm die Flusslandschaft einen größeren Artenreichtum an Tieren und Pflanzen als die Llanos versprach. An der Einmündung des Apure in den "Oronoco", wie er den Fluss zunächst immer nennt, beeindruckt Humboldt der Blick auf das Gebirge Encaramada. An der Boca de Tortuga beobachtet er die Schildkröteneierernte. Am Palmsonntag 1800 wäre das Boot, das Humboldt gemietet hatte, beinahe im Orinoco gekentert.
An der Playa de Pararuma lernt Humboldt die beiden Padres José Antonio de Torres von Carichana und Bernardo Zea aus Atures, den "Pater der Raudales", kennen, die ihm wie "Algersche Türken" vorkommen, in langen Kaftanen Wasserpfeifen rauchend, beide krank unter den herrschenden, denkbar schlechtesten Lebensbedingungen. In Torres' Boot fährt Humboldt weiter, Zea begleitet ihn auf der weiteren Reise bis zur Rückkehr nach Atures. Humboldt wird allmählich mit dem Despotismus der Mönche bekannt, aber auch mit den Plagen der Natur an den Flüssen, vor allem verursacht durch die Moskitoarten Jejenes, Sancudos und Tempraneros. Er beschreibt die Raudales, durch Unebenheiten des Bodens und Hunderte aus dem Wasser ragende Granitblöcke unpassierbare Strecken des Orinoco, und er schildert die an ihnen gelegenen Missionen Atures und Maipures, die heute allerdings nicht mehr existieren. Er übernachtet auf der Isla Ratón. An der Mündung des Río Vichada lernt er erstmals die Schwarzwasser kennen.
Am 29. April 1800 in San Fernando de Atabapo angekommen, schlägt ihm Mancilla, der Präsident der Missionen am oberen Orinoco, vor, die Flussfahrt nicht auf dem Orinoco bis zur Gabelteilung des Orinoco in den Casiquiare fortzusetzen und dann casiquiareabwärts in den Río Negro zu gelangen, sondern umgekehrt über drei kleinere Flüsse und einen kurzen Landweg zuerst den Río Negro anzusteuern und dann aus dem Río Negro den Casiquiare aufwärts in den Orinoco zu fahren. Humboldt befolgt diesen Rat. In Yavita am Río Temi muß Humboldt auf den fünftägigen Transport seines Bootes zu Lande nach Puerto del Pimichín durch seine Indios warten und schlägt vor, einen kürzeren Weg anzulegen. Er schildert die Bedrückungen der Indios in den Missionen und bezieht dabei auch schon seine letzte Station am Orinoco, Esmeralda, fast ein Strafgefangenenlager auch für Weiße, ein. Der Aufenthalt in San Carlos del Río Negro Anfang Mai 1800, die Fahrt auf dem Casiquiare in den Orinoco und noch ein Stück orinocoaufwärts bis Esmeralda sind nicht mehr in chronologischem Zusammenhang geschildert. Esmeralda war die letzte Station in Richtung auf die Quellen des Orinoco. Humboldt nahm, Erzählungen der Einheimischen folgend, irrtümlich an, dass diese Quellen nun nicht mehr weit entfernt seien. An ein Weiterkommen war aber bei der noch fehlenden Erschließung des Gebietes nicht zu denken. Die Höhenmessung des Gebirges Duida bei Esmeralda bot eine Zäsur an zum Abschluss unseres Kapitels.
Unser letztes und umfangreichstes Kapitel vom Orinoco, das Kapitel 11, enthält nur wenig Reiseschilderung. Es ist eher eine Materialsammlung auf allen Gebieten, bei der der Versuch, sie streng chronologisch zu ordnen, weitgehend scheitert. Humboldt fährt zurückkehrend von Esmeralda aus den Orinoco abwärts bis San Fernando de Atabapo; von hier aus bis zur Einmündung des Río Apure befindet er sich auf dem schon einmal befahrenen Flussabschnitt. Der letzte Teil der Flussfahrt bis zur Provinzhauptstadt Angostura bildet wieder Neuland für die Reisenden. Es gibt eine Reihe von Überschneidungen mit dem Ende des voraufgehenden Kapitels. Daher habe ich in der Hauptsache die Reihenfolge der Tagebuchblätter beibehalten. Wer hier ein bestimmtes Thema sucht, muss auf die Register verwiesen werden, die ich so umfangreich wie möglich angelegt habe, um den Zugang von verschiedenen Gesichtspunkten her zu gewährleisten. Natur und Gesellschaft sind gleichmäßig berücksichtigt. Die Themen umfassen Flora und Fauna, Palmen, Schlangen, Affen, Insekten, Mineralogie, Bergbau, die Verlegung der Hauptstadt Angostura und den Festungsbau am Orinoco, die ca. 90 Indio-Stämme, von denen Humboldt viele kennen gelernt hat, die Herstellung von Curare, den Priesterbetrug des Botuto, das Zusammenleben der Indios mit den Weißen. Es sind eigene und fremde Kartenskizzen enthalten. Auch zwei Buchauszüge wurden mit aufgenommen, da man in ihnen Humboldts große Anteilnahme an der Thematik bemerkt: der eine zum Ausbruch des Vulkans Solfatara auf der Venezuela vorgelagerten französischen Insel Guadelupe, der andere zur Frage, ob die Syphilis durch die Konquista von Südamerika nach Europa gelangte oder vielmehr umgekehrt aus Europa in Südamerika eingeschleppt wurde. Humboldt schloss sich der letzten Auffassung an. Über das Ende der Flussfahrt mit dem Aufenthalt in Angostura, heute Ciudad Bolívar, erfahren wir wiederum nur etwas aus der "Relation historique". Die Rückkehr von Angostura an die Küste durch eine Llanoslandschaft ist ansatzweise geschildert. Dabei begegnete Humboldt in Cari, nördlich von Angostura, einer großen Anzahl von Kariben, die er neben den Inkas und Azteken für den bedeutendsten Indiostamm in Mittel- und Südamerika hielt. Erst in Nueva Barcelona erkrankte Humboldt, während Bonpland durch einen längeren Aufenthalt auf einem Landgut bei Angostura seine durch die Strapazen der Orinocoreise gefährdete Gesundheit wiederhergestellt hatte.
Kapitel 12 enthält die Überfahrt von Venezuela nach Kuba im November und Dezember 1800 mit einem Rückblick auf die Reise von Angostura nach Nueva Barcelona. Da kein Postschiff aus Spanien kommt, schifft man sich am 16. November 1800 auf dem "halb-amerikanischen" Schiff (wie Humboldt sich ausdrückt) des Díaz Macias ein. Humboldt hatte Gelegenheit, die Eigenschaften der spanischen mit denen der amerikanischen Seeleute zu vergleichen. Auf See nimmt Humboldt seine üblichen Beobachtungen und Messungen wieder auf. Die Reise barg, wie viele andere, nicht wenig Gefahren in sich. So hatten die Passagiere einen furchtbaren Sturm zu überstehen. In der Ferne sah man Wasserhosen, die nach Humboldts Ansicht mehr Wirkung auf das Schiff hatten als der Sturm selbst. Am 30. November 1799 bringt er seine Manuskripte in einem wasserdichten Koffer in Sicherheit, und er kritisiert die Navigation der amerikanischen Kauffahrteischiffe im Karibischen Meer, die sich ohne Oktant und Log nur auf die Kenntnis der Küsten, der Winde und Strömungen stützte. Auch auf Humboldts Schiff gibt es erhebliche Mängel dieser Art. Erschwerend kommt die Ungenauigkeit der Seekarten hinzu. Das Schiff läuft beinah auf eine Klippe. Die Aufmerksamkeit des spanischen Piloten rettet sie. Offiziere und Mannschaft waren eben dabei gewesen, dem mitreisenden, unbeliebten und gerade schlafenden Gobernador von Omoa, Imblusqueta, heimlich seinen Zopf abzuschneiden. Die glücklich überstandene Gefahr versöhnte alle. Am 9. Dezember segelt man zwischen beiden Caiman-Inseln hindurch, und Humboldt bedauert hier das Fehlen eines Leuchtturms. Am 19. Dezember gelangt man in den Hafen von Havanna.
Soweit diese Reiseschilderung. Einige Stücke wurden in den Anhang verwiesen. Es handelt sich dabei um zusammenfassende Darstellungen des schon einmal Geschilderten, darunter ein Stück, das mit "Fragment meiner Reise in das Innere von Südamerika im Frühling und Sommer 1800" überschrieben ist. Es ist ein großangelegter Versuch, mit der Reiseschilderung von vorn zu beginnen. Naturgemäß bricht dieser Versuch nach einigen Seiten ab und ist auch nicht wiederaufgenommen worden. Drei kurze, mit "Cumaná. Nachtrag" überschriebene Abschnitte hätte man eventuell in den Text einfügen können, da sie neben den Wiederholungen auch Neues enthalten. Die am Schluss stehenden, von Humboldt so genannten "Addenda et Corrigenda" sind für den Altamerikanisten vielleicht das wichtigste Dokument, da hier von der in Stein gemeißelten angeblichen Buchstabenschrift die Rede ist, die Padre Ramón Bueno Humboldt in La Urbana am Orinoco gezeigt hat. Die Zeichnung Humboldts dazu an einer anderen Stelle des Tagebuchs ließ sich hier am besten einfügen. Sie ist allerdings von Humboldt auch schon in die "Vues des Cordillères" aufgenommen worden.(9)
Bei der Auswahl der Illustrationen wurde auf das einzige Venezuela betreffende Bild der "Vues des Cordillères" Humboldts und die bekannten Bilder des Malers Ferdinand Bellermann verzichtet. Faksimiles von 10 Tagebuchseiten sollen einen Eindruck vom Aussehen des edierten Textes vermitteln. Höhenprofile von den Kanarischen Inseln und eine Zeichnung Bonplands mit Beschreibung stammen aus der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek.
An diese Übersicht über den Inhalt des Buches möchte ich noch einige Worte über die Editionsarbeit anschließen. Wenn man eine Textauswahl getroffen hat, so bedeutet das nicht, dass man es nicht noch hätte besser machen können. Der auf der Reiseerzählung liegende Schwerpunkt bedingte, dass in sich geschlossene Abhandlungen, die als solche von Humboldt konzipiert waren und keine biographischen Bezüge enthalten, nicht in den Text mit aufgenommen wurden. Sieht man sich dann am Ende dem Resultat gegenüber, so sind kurze, die Wirtschaft betreffende Notizen wohl nicht von dem Rang, den eine längere Studie über die Entstehung der Küstenkordillere von Venezuela an gleicher Stelle gehabt hätte. Auch eine Vorstudie zu Humboldts "Geographie der Pflanzen" fällt leider unter die Kategorie der Abhandlungen und harrt noch eines Vergleichs mit dem 1807 in deutscher und französischer Sprache erschienenen Buch dieses Titels. Vielleicht lassen sich diese Arbeiten rein wissenschaftlicher Natur zu einem späteren Zeitpunkt edieren, betreut von Fachkräften, die dann eine bessere Ausgangsposition haben als derjenige, der bei dem alle Naturwissenschaften einschließenden Reisebericht ohnehin nicht überall Spezialist sein kann. Damit kehre ich zu unserem Band 12 zurück. Der Anmerkungsapparat ist nur für den Wissenschaftler gedacht, der sich näher zu informieren wünscht. Es gibt keine Kennzeichnung dafür im Text, sondern er ist mit Angabe der Seiten- und Zeilenzahlen an den Gesamttext angehängt worden und braucht jeweils nur interessehalber konsultiert zu werden. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass es sich bei den Tagebüchern nicht um ein Buchelaborat handelt, sondern um Aufzeichnungen für den Privatgebrauch, bei denen die Zusammenhänge für den Schreibenden selbstverständliche Voraussetzung sind und daher nicht erwähnt werden. Daher erweist es sich bei dieser mehr als bei jeder anderen literarischen Form als notwendig, solche Zusammenhänge durch Anmerkungen herzustellen. Naturgemäß führt eine Fragestellung manchmal bis in den Forschungsstand der Gegenwart. Hier habe ich besonders Herrn Professor Günter Hoppe zu danken, der in solchen Fällen die Rolle des Miteditors übernommen hat. Auch die Register überschreiten, jedenfalls im Fall des Personenverzeichnisses, den normalen Umfang. Dieses Verzeichnis berücksichtigt die Tatsache, dass den deutschen Lesern im allgemeinen die spanischen und französischen biographischen Lexika nicht ohne weiteres zugänglich oder verständlich sind. Es trägt auch einem Seitenblick auf die Register der früheren Bände Rechnung, für die die Ermittlungen infolge nicht zugänglicher Nachschlagewerke vielfach dürftiger ausgefallen sind. Das Literaturverzeichnis enthält die Buchtitel möglichst im vollen Umfang, da sie in der damals üblichen Breite schon selbst eine Erläuterung zum Text sind.
Nach Abschluss der Arbeiten wurde ich gebeten, auch für das bei einer Reiseschilderung unerlässliche Kartenmaterial zu sorgen. Ich hoffe, dass das Gebotene einigermaßen genügt. Im Vorsatz des Buches finden Sie die Karte von Henry Lange, die er 1859 für Humboldts "Relation historique" in der deutschen Übersetzung von Hermann Hauff angefertigt hatte mit dem von mir eingezeichneten Reiseweg. Zusätzlich habe ich mich bemüht, für zwei Gebiete Venezuelas, in denen Humboldt sich lange aufgehalten hat und von denen es keine Karten in seinem "Atlas géographique et physique du Nouveau Continent" gibt, aus eigenen Kräften nachzuliefern. Es handelt sich um die Provinzen Cumaná und Caracas. Ich konnte in Kopien der neuesten venezolanischen Karten die Reisewege eintragen. Für den Orinoco selbst boten sich die beiden Orinoco-Karten aus Humboldts Atlas an. Hier findet man am besten seine Vorstellungen von der Lage der von ihm bereisten Orte, deren Namen heute teilweise nicht mehr existieren, und den Flussläufen. Im hinteren Buchdeckel findet man dann noch eine Karte mit der Seereise Humboldts von Nueva Barcelona nach Havanna. Ich hoffe, dass diese sechs Karten ein hilfreicher Begleiter bei der Lektüre sein werden.
Gestatten Sie mir nun noch ein Wort in eigener Sache. Der persönliche Grund, eine so aufwendige Aufgabe noch nach Beendigung der Dienstjahre zu unternehmen, war zunächst nur ein instinktives Zugreifen auf eine sich anbietende Arbeit. Zum andern gewährte es einen besonderen Anreiz, mit den Mitteln, die nach der Wende zur Verfügung standen, noch einmal von vorn anzufangen und unter wesentlich erleichterten Umständen vielleicht eine bessere Qualität in der Ausführung zu erreichen als früher. Die reichen Bücherschätze der Ibero-Amerikanischen Bibliothek waren mir nun zugänglich, ebenso die Altbestände der Berliner Staatsbibliothek, die zu nutzen mit den Jahren immer schwieriger geworden war. Dazu kam das freundliche Entgegenkommen und das rasche Tempo aller Bibliothekare, die dankenswerterweise für jedes Problem eine Lösung fanden und einem langes Warten ersparten.
Unter den Personen, denen vor allem mein Dank gebührt, steht an erster Stelle der Nachkomme Wilhelm von Humboldts, Herr Ulrich von Heinz, der der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle in großzügiger Weise gestattet hat, die Edition der Tagebücher in der zur Zeit der DDR begonnenen Weise fortzusetzen. Meinen Dank muss ich auch der Akademie und den Kollegen der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle aussprechen, die meine geistige Heimat geblieben sind. Ohne den Leiter der Forschungsstelle, Dr. Christian Suckow, hätte ich die Einleitung nicht in der Form schreiben können, die sie jetzt hat. Er hat es auch übernommen, einige wesentliche Abschnitte darin selbst zu formulieren. Last not least möchte ich dem Lektor des Akademie-Verlages, Herrn Peter Heyl und der Herstellerin, Frau Sabine Gerhardt, für die schöne und sorgfältige Gestaltung des Buches, Frau Brigitta John für das Zeichnen meiner Karten und besonders Herrn Heyl für die Unterstützung auch beim Korrekturenlesen sehr herzlich danken. In gleicher Weise gilt mein Dank der Druckerei "Thomas Müntzer" in Bad Langensalza, deren Mitarbeiter mit großer Genauigkeit gearbeitet und besonders bei der Änderung der vielen hundert Seitenzahlen in den Anmerkungen und Registern eine bewunderungswürdige Geduld bewiesen haben. Jetzt kann ich nur noch der Hoffnung Ausdruck geben, dass das Buch eine gute Aufnahme finden wird, allen Humboldt-Forschern von Nutzen sein kann und keine allzu scharfen Kritiken erfährt.
Literatur
Humboldt (1810), Al[exandre] de: Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de lAmérique. Paris 1810 [-1813].
Humboldt (1814-25), Alexandre de: Voyage de Humboldt et Bonpland. Première partie. Relation historique. T.1-3. Paris 1814-25 [-1831].
Humboldt (1814-34), Al[exandre] de: Atlas géographique et physique des régions équinoxiales du Nouveau Continent, fondé sur des observations astronomiques, des mesures trigonométriques et des nivellemens barométriques. Paris 1814-34 [-1838].
Alexander von Humboldt. (2000) Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern. Hrsg. v. Margot Faak (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Hrsg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 12).
Krätz (2000), Otto: Alexander von Humboldt. Wissenschaftler Weltbürger Revolutionär. Unter Mitarbeit von S. Kinder und H. Merlin. München 22000.
Vareschi (1971), Volkmar: Geschichtslose Ufer. Auf den Spuren Humboldts am Orinoko. München 1971.
Anmerkungen
(1) Humboldt 2000.
(2) Krätz 2000. (3) Humboldt 1814-25. (4) Vortrag gedr. in: Alexander von Humboldt Aufbruch in die Moderne. Hrsg. v. Ottmar Ette, Ute Hermanns, Bernd M. Scherer, Chr. Suckow. Berlin 2001 Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 23, im Druck). (5) Humboldt 1814-25, T. 1, 279. (6) Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. (7) Vareschi 1971, 139-144. (8) Humboldt 2000, 185. (9) Humboldt 1810, Text, 61. (10) Humboldt 1814-34.
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