Die Anna-Seghers-Gedenkstätte

Anna-Seghers-Gedenkstätte
12489 Berlin
Anna-Seghers-Straße 81
030.677 47 25

Besichtigungen
DI und Mi 10 bis 16 Uhr
DO: 10 bis 18 Uhr
und nach telefonischen Vereinbarung
 

Veranstaltungen:
Mittwoch, 14.02.2001, 18.00 Uhr: Ein Adlershofer Verlag stellt sich vor. Die Verlegerin Svea Haske präsentiert den APHAIA-Verlag, die Autorin Ina Paul liest Lyrik und kurze Prosa.
Mittwoch, 14.03.2001, 18.00 Uhr: Die Schriftstellerin Christine Wolter (Albavilla/Italien) liest aus
ihrem neuen Roman "Das Herz, diese rastlose Zuneigungs- und Abneigungsmaschine"
Mittwoch, 04.04.2001, 18.00 Uhr: "Immer bleiben die Engel aus am Ende-" Der Theaterwissenschaftler Dr.Fritz Rödel spricht über Heiner Müllers Umgang mit Texten von
Anna Seghers
Mittwoch, 16.05.2001, 18.00 Uhr: Petra Bläss, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, spricht über ihre Beziehungen zu Anna Seghers sowie über heutige Kulturpolitik
Mittwoch, 13.06. 2001, 18.00 Uhr: Elfriede Brüning liest aus ihren Prosawerken "Jeder lebt für sich allein. Nachwende-Notizen" und "Spätlese"

Mittwoch, 5.09.2001, 20.00 Uhr: Dr.Doris Obschernitzki, Flüchtlinge in Frankreich. die Familien Radvanyi-Seghers und Marum-Lunau in Marseille und im Lager Les Milles

 

Jeweils Eintritt frei. Sie sind herzlich eingeladen.

Dr.Monika Melchert

 

Aus dem Prospekt der Anna-Seghers-Gedenkstätte Karikatur von Herbert Sandberg

Anna Seghers 1972 an Lore Wolf
»Zwei Plätze gibt es in dieser mir gleichgültigen Wohnung, die mich freuen, ein Eck im Fenster meines kleinen Schlafzimmers - Ruth sagt Kajüte -, ein Fenstereck, aus dem man weit raus sehn kann und sich einbilden, dahinter läge das Meer und die Schiffe oder sonst was. Und gut ist auch, auf dem kleinwinzigen Balkon zu liegen, und ich gucke mir abends die Vögel an und frage mich, warum sie herumfliegen, und ich denke auch, daß so einen Flug die Menschen noch nicht erfunden haben... Und vor allem: ich kann viel und hoffentlich zum Teil auch gut schreiben.«
 

Für Anna Seghers (eigentlich: Netty Radványi, geb. Reiling) ging das Exil am 22. April 1947 zu Ende. Nach vierzehn Jahren traf sie wieder in Berlin ein, wo sie 1933 nur durch einen Zufall der Polizei entkommen war. Ihr Fluchtweg hatte sie zunächst über die Schweiz nach Frankreich geführt; mit ihrem Mann László Radványi und den Kindern Ruth und Peter lebte sie bis 1940 in Paris. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs gelang es der Familie, 1941 nach Mexiko zu fliehen. Auf die Frage anläßlich ihrer Heimkehr nach Deutschland, warum sie »das sonnige Mexiko gegen die grauen Ruinen Berlins« eingetauscht habe, erklärte Anna Seghers: »... ich bin eine deutsche Schriftstellerin, und in meiner Muttersprache kann ich am besten helfen, etwas Besseres aus dem Schutt zu machen.«

Bei ihrer Rückkehr war Anna Seghers, Trägerin des Kleist-Preises von 1928 und Autorin des inzwischen ins Englische, Spanische und Französische übersetzten Romans Das siebte Kreuz, in Deutschland weitgehend unbekannt. Ihre Romane und Erzählungen, in Frankreich, auf der Fahrt über den Atlantik und in Mexiko geschrieben (Der Kopflohn, Amsterdam 1933; Der Weg durch den Februar, Paris 1935; Die Rettung, Amsterdam 1937; Das siebte Kreuz, Mexiko-City und Boston 1942; Der Ausflug der toten Mädchen, New York 1946; Transit, Boston 1944; das fast vollendete Manuskript des Romans Die Toten bleiben jung, Berlin 1949), erschienen nun endlich auch in deutschen Verlagen: seit Ende der vierziger Jahre im Aufbau-Verlag Berlin und erst eineinhalb Jahrzehnte später bei Luchterhand.

Anna Seghers' erste Unterkunft in Berlin war ein Zimmer im unzerstört gebliebenen Seitenflügel des Hotels Adlon am Pariser Platz. »Wir sahen klarer als vorher die Sprünge in den Wänden, die mit Papier verklebten Scheiben ... Die Ruinenstadt verschmolz mit dem Abendhimmel, als ob sie noch immer schwelte und rauchte.« Nach mehrmaligem Wohnungswechsel zog sie mit ihrem Mann in das obere Stockwerk des neuerbauten dreigeschossigen Mietshauses Volkswohlstraße 81 in Adlershof, heute Anna-Seghers-Straße. Möbel und Gebrauchsgegenstände wurden einzig unter dem Gesichtspunkt überschaubarer Zweckmäßigkeit ausgewählt. Wichtig war lediglich, an soliden Holztischen arbeiten zu können, die umfangreiche Bibliothek bequem zur Hand zu haben und Freunde empfangen und beherbergen zu können.

Neben ihrem vielfältigen kulturpolitischen Engagement - so war sie 1950 Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste (DDR) und von 1952 bis 1978 Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR - schrieb Anna Seghers hier die Romane Die Entscheidung (1959) und Das Vertrauen (1968), in denen sie das gesellschaftliche Selbstverständnis der DDR und die Verantwortung des einzelnen literarisch zu gestalten suchte. Auf die Frage, besonders westlicher Leser, nach einem vermeintlichen künstlerischen Bruch gerade in diesen beiden Büchern antwortete sie 1975: »Die Wirklichkeit, die ich darstelle, hat sich verändert. Nicht wie ich darstelle, sondern was ich darstelle, mißfällt den Kritikern.« Die Erzählungsbände Karibische Geschichten (1962), Die Kraft der Schwachen (1965), Sonderbare Begegnungen (1973), Drei Frauen aus Haiti (1980) sowie Aufsätze und Essays jener Zeit beweisen die ungebrochene Kraft der Schriftstellerin, menschliche Schicksale in einem gesellschaftlichen Geflecht zu erfassen. Waren die Romane und Erzählungen ihrer Exilzeit vom Heimweh nach Deutschland bestimmt, so sind ihre Erzählungen der sechziger und siebziger Jahre von der Sehnsucht nach Ferne und Weite, Freiheit und Glück geprägt.

Fremde Handlungsplätze - vor allem Lateinamerika - und ganz und gar phantastische Stoffe und Ideen gestatteten ihr die Überhöhung menschlicher Konflikte ins Allgemeine, über die eigene Zeit Hinausweisende.

Nach dem Tod von Anna Seghers am 1. Juni 1983 - sie ist auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte neben ihrem Mann beigesetzt - gestaltete die Akademie der Künste der DDR die Adlershofer Wohnung zu einer Gedenkstätte um. Den literarischen Nachlaß hatte Anna Seghers der Akademie testamentarisch vermacht; heute betreut ihn die Stiftung Archiv der Akademie der Künste in ihrem Archivgebäude Robert-Koch-Platz 10 in Berlin-Mitte. Die Tantiemen ihres Werkes kommen, Anna Seghers' Wunsch entsprechend, jungen deutschen und lateinamerikanischen Schriftstellern zugute: Am 19. November, dem Geburtstag der Künstlerin, wird alljährlich der Anna-Seghers-Preis verliehen.

In der Gedenkstätte in Adlershof verblieben das Wohn- und Arbeitszimmer mit der wertvollen Bibliothek im Originalzustand. Im Zimmer von László Radványi ist neben den Erstausgaben und einer umfangreichen Sammlung deutscher und fremdsprachiger Belegexemplare eine kleine ständige Ausstellung zu sehen, die einen chronologischen Überblick über wichtige Lebensstationen von Anna Seghers gibt.