Wie sprechen die Brandenburger
In Brandenburg wurden und werden viele Sprachen und Mundarten gesprochen, oft sogar zur gleichen Zeit. Spuren dieser Mehrsprachigkeit finden sich bis heute: So ist die slawische Herkunft von Personen- und Ortsnamen manchmal deutlich (Kasimir, Stolpe, Köpenick, Lankwitz), manchmal weniger deutlich (Grube, Lübars, Kietz) zu erkennen. Auskunft darüber gibt das Historische Ortsnamenlexikon. Wer aufmerksam hinhört, wird ab und an plattdeutsche Wörter hören (Päde, Äppel, Kippe, lütt), daneben jiddische (keß, Zossen, Jroßkotz) oder französische (Budike, blümerant, Destille). Von den zwei Minderheitensprachen ist das (West-)Jiddische Ende des 18. Jahrhunderts in Brandenburg verschwunden, das (Nieder-)Sorbische hingegen ist bis heute erhalten und wird in Brandenburg an Schulen der Niederlausitz unterrichtet.
Kann man bis Anfang des 19. Jahrhunderts davon ausgehen, daß in den nördlichen und mittleren Landesteilen Plattdeutsch (=Märkisch) in verschiedenen Ausprägungen gesprochen wurde (geschrieben wurde, wenn überhaupt, seit dem 15./16. Jhd. hochdeutsch), so ist die gesprochene Sprache im südöstlichen Teil von Sachsen her beeinflußt, trägt also deutlich ostmitteldeutsche Züge. Berlin hingegen hatte seit dem 16. Jhd. eine Sonderentwicklung genommen: Sprachen die Berliner zunächst - wie das umgehende Land - niederdeutsch, so entwickelte sich vermutlich unter dem Einfluß der als maßgeblich angesehenen Residenzstädte in Sachsen und Meißen, durch Handelsbeziehungen und durch Zuwanderung vor allem von Kaufleuten aus dem mitteldeutschen Raum eine eigene Stadtsprache. Sicherlich hat auch das Hochdeutsche als geschriebene Sprache in den Residenzstädten Cölln und Berlin dazu beigetragen, daß sich die dort gesprochene Sprache zunehmend deutlicher vom Märkischen unterschied.
Im 19. Jahrhundert wird Berlin zur Metropole. Die Bevölkerung nimmt mit unglaublicher Geschwindigkeit zu. Sternförmig führen die Eisenbahnlinien zu den großen Städten in den angrenzenden Ländern, Saisonpendler aus Brandenburg bauen die Mietskasernen für die Industriearbeiter in Berlin, aus dem Umland wird Berlin mit Nahrungsmitteln und Baustoffen versorgt. Berlin wird zum kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Mittelpunkt Brandenburgs, später auch des Deutschen Reiches. Noch sind die Motive und Lebensumstände im einzelnen nicht genau erforscht, die die plattsprechenden Landbewohner dazu bewegt haben, innerhalb weniger Generationen ihre gewohnte Sprache zugunsten des Berlinischen aufzugeben - und noch ist dieser Prozeß nicht völlig abgeschlossen.
Hier genau setzt unser Forschungsinteresse ein: Wir wollen wissen, wie weit dieser Sprachwechsel fortgeschritten ist, vor allem, wie die Brandenburger ihre eigene Sprache und die ihrer Mitmenschen beurteilen, wo sie diese Sprache zwischen Dialekt und Standardsprache (Hochdeutsch) einordnen, wie sie sie bewerten und welche Entwicklungen sie beobachten und wünschen. Sprachgeschichte, so unsere Auffassung, wird entscheidend dadurch bestimmt, welche Auffassungen die Menschen von ihrer eigenen Sprache, der Sprache ihrer Familie, ihrer Freunde und Arbeitskollegen haben.